Moritz Bleibtreu


„Ein kompromissloser Film, der keine Gefangenen macht“

15.05.2014
Interview:  Gunther Baumann

„Stereo“: Moritz Bleibtreu als Henry, der nur in der Vorstellung von Jürgen Vogel existiert © Filmladen

Wie spielt man eine Figur, die gar nicht real existiert? Diese Frage musste sich Moritz Bleibtreu bei der Vorbereitung auf den Thriller „Stereo“ stellen. Denn als Henry ist er zwar auf der Leinwand unbersehbar, doch dieser Henry lebt nur in der Vorstellung der Motorrad-Mechanikers Erik (Jürgen Vogel). „Stereo“ ist der erste Film, in dem die deutschen Stars Bleibtreu und Vogel gemeinsam zu sehen sind: Eine Zusammenarbeit, für die Bleibtreu im FilmClicks-Interview nur schwärmerische Töne findet.


Herr Bleibtreu, „Stereo“ ist ein echter Genrefilm, ein Thriller mit Mystery-Elementen. Woran liegt es, dass solche Filme – im Unterschied zu den allgegenwärtigen Komödien – in Deutschland so selten gedreht werden?
Der deutsche Film hat, was Thriller betrifft, nicht sehr viele Vorbilder, auf die er sich beziehen kann – nimmt man mal „23“, „Das Experiment“ oder „Die Welle“ aus.  Dadurch wird das Finanzkonstrukt solcher Filme kompliziert. Wenn man ein Projekt wie „Stereo“ Verleihern, Produzenten und Förderstellen vorstellt, kann man sich nicht auf deutsche Filme beziehen, sondern man muss Titel wie „Fight Club“ nennen. Das macht es schwer, denn der, der Geld dafür ausgeben soll, hätte gern ein greifbareres Beispiel. Darüber hinaus haben die Versuche, bei uns Genrefilme zu machen, gerade bei Thrillern oft nicht funktioniert. Deswegen sind alle Geldgeber sehr vorsichtig.
 
Ist „Stereo“ denn sehr teuer geworden?
Nein Wir waren insofern nicht unschlau, als wir die Produktion als Low-Budget-Film kalkuliert haben. „Stereo“ kostete 2,6 Millionen Euro, und das  gab uns die Freiheit, uns vom kommerziellen Druck ein bisschen freizumachen. Weil wir nicht so viele Zuschauer brauchen, damit das Ganze sich refinanziert.
 
Sie treten in „Stereo“ als Wesen namens Henry auf, das nur für Erik, die Figur von Jürgen Vogel, sichtbar ist und nur in seiner Vorstellung existiert. Wie stellt man sich auf so eine Rolle ein?
Moritz Bleibtreu: Das war eine sehr spannende Aufgabe. Man hat ja immer eine visuelle Vorstellung von einem Film und auch ein physisches Gefühl für eine Figur. Aber bei einem wie Henry, der gar nicht existent ist, stellt sich dann die Frage: Wo hat der seine Vergangenheit? Was war sein Anfang, sein Werdegang, seine Biografie?  Wie wirken Henry und Erik gegenseitig aufeinander? Wir merkten bei der Arbeit, dass in diesen Fragen viel Spannung und viel Potenzial steckt. Diese Konstellation unterscheidet „Stereo“ auch von anderen Filmen, die schon mit solchen Ideen gespielt haben. Henry ist keine pure Wahnvorstellung. Wir haben beschlossen, er ist ein Mensch. Das ist eine Super-Grundzutat für einen Thriller. Wie sich das Geheimnis im Laufe des Films auflöst, sollten wir jetzt aber nicht unbedingt verraten. Alles ist nicht so, wie es scheint.
 
Sie spielen zum ersten Mal mit Jürgen Vogel zusammen. Man hat das Gefühl, dass die Chemie zwischen Ihnen beiden stimmt.
Jürgen und ich kennen, schätzen und mögen einander seit langer Zeit. Jürgen war, weil er ein paar Jährchen älter ist als ich, auch einer, an dem ich mich in meiner Anfangszeit irgendwie orientiert habe. Deswegen war es eine riesengroße Freude und auch eine Ehre, dass es jetzt endlich mit einem gemeinsamen Film geklappt hat. Alles, was ich mir von dieser Zusammenarbeit versprochen habe, wurde mehr als eingelöst. Es hat echt Spaß gemacht, uns beide aufeinander loszulassen – und ich hoffe, dass das irgendwann wieder der Fall sein wird.
 
Ist es in Deutschland generell schwierig, neue oder unkonventionelle Ideen durchzusetzen?
Ja. Das ist nicht nur im Filmbereich so – da kann man jedes Start-Up-Unternehmen fragen. Es wird Leuten, die eine Idee haben, unheimlich schwer gemacht, diese Idee schnell umzusetzen.  Da haben uns andere Länder leider viel voraus. Wir sind halt einfach ein vorsichtiges Volk. Wir sind durch so viel Scheiße gegangen – wir kaufen keine Häuser, denn die waren alle mal kaputt. Nicht umsonst hat Deutschland den kleinsten Immobilienmarkt Europas. Bei uns kauft keiner Grund, weil wir Schiss haben, es könnte wieder kaputtgebombt werden. Wir sind vorsichtig bei allem, was wir tun. Wir sind nicht wie das Silicon Valley, wo ja auch der Misserfolg quasi eine Visitenkarte ist. Wenn du in Amerika mit einem Wagnis scheiterst, wirst du nicht schief angeguckt. Im Gegenteil: Die Leute respektieren dich für dein Wagnis. Hinter Erfolgen wie WhatsApp hängen meistens drei Versuche, wo es nicht funktioniert hat. Bei uns läuft es andersrum. Wenn jemand einen Misserfolg hat, dann traut man dieser Person erst mal nix mehr zu.
 
Mit „Stereo“ wurde aber ein formal wie inhaltlich mutiger Film realisiert.
Absolut. Der Film ist kompromisslos, er macht keine Gefangenen. Der Film begeht nicht den Fehler, im Finale über die Befindlichkeits-Schiene die Figuren zu erklären. Im Gegenteil. Die Story setzt im Showdown noch mal einen drauf und feiert das Ganze in einer krassen Style-Orgie ab, was ich total gut finde. Das wäre aber nicht gegangen, wenn wir nicht irgendwann gesagt hätten, wir realisieren den Film jetzt einfach so. Das funktioniert aber nur, wenn die Budgets überschaubar sind. Wenn ein Film nicht von fünf bis sieben Millionen Euro aufwärts kostet, sondern möglichst weniger als drei.
 
Haben Sie schon einmal einen ähnlichen Film wie „Stereo“ gedreht?
Nein. Dies aber auch, weil „Stereo“ eigentlich beispiellos ist. Es gibt „Funny Games“ von Michael Haneke aus Österreich…  aber mir fällt aus Deutschland nichts Vergleichbares ein. Das Tolle an „Stereo“ ist für mich der Genre-Mix. Klar, dies ist ein Thriller, der die Gesetze dieses Genres bedient. Zugleich verliert der Film aber nie den Anschluss an die emotionale Wahrhaftigkeit der Figuren. Man schwenkt also zwischen einem Thriller und einem Psychodrama hin und her.  
 
Ist „Stereo“ ein Arthaus-Film oder Mainstream?
Das sind alles schwammige Begriffe geworden. Jürgen Vogel hat sehr schön gesagt, das Arthaus-Kino macht, was es will, es kommt ohne den Mainstream aus. Doch der Mainstream braucht das Arthaus-Kino, weil es von dort seine Autoren, Regisseure und wen auch immer bezieht. Wenn man sich einen Film wie „The Wolf of Wall Street“ anschaut: Da kann man ja nicht mehr von Mainstream sprechen, das sind hochkomplexe Stoffe, die jetzt realisiert werden. Ich begrüße das total. Ich glaube, seit den Siebziger Jahren gab es keine so kreative Phase im Kino, wie wir sie heute haben. Dasselbe passiert im Fernsehen. Dort wurde die Serienstruktur als Kunstform erkannt. Es lassen sich halt nicht alle Geschichten in einem 100-minütigen Film-Korsett erzählen. Diese Neuerung ist etwas ganz Tolles. Das hat es vor „The Sopranos“ nicht gegeben. Wenn mir jemand so eine Reihe auf den Tisch legen würde, wäre ich sofort dabei.



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