Wim Wenders über seinen Film „Das Salz der Erde“


„Es zählt der zweite Blick“

14.11.2014
Interview:  Peter Beddies

Wim Wenders beim Dreh von „Das Salz der Erde“ (Foto: Sebastião Salgado / Amazonas images)

Wim Wenders hat sich im Lauf der Jahrzehnte eine einzigartige Position în der Cineasten-Szene erworben: Als Schöpfer von Spielfilmen („Der amerikanische Freund“, „Paris, Texas“) genießt er genauso Weltruf wie mit seinen Dokumentationen („Buena Vista Social Club“, „Pina“). Jetzt hat sich der 69-Jährige einem seiner Lieblingsthemen gewidmet, der Fotografie. In „Das Salz der Erde“ porträtiert Wenders den brasilianischen Fotokünstler Sebastião Salgado, dessen Arbeit er seit vielen Jahren bewundert. Im FilmClicks-Interview spicht Wender über „Das Salz der Erde“ – und lässt auch ein paar Sätze über seinen kommenden Spielfilm „Every Thing Will Be Fine“ (mit James Franco und Rachel McAdams) fallen.


FilmClicks: Warum macht der Fotografie-Fan Wim Wenders erst jetzt einen Film über einen Fotografen?
Wim Wenders: Stimmt. Das war lange überfällig. Schon seit Jahren habe ich in Interviews immer wieder betont, dass mein Lieblingsfotograf Sebastião Salgado hieße. Ich ihn aber nicht einmal kannte. Irgendwann bekam ich mit, dass er noch arbeitet und ich dachte mir: „Kann man den mal treffen?!“. Das ist mittlerweile schon wieder fünf Jahre her.
 
Weil Sie einen Film über ihn drehen wollten?
Nein, überhaupt nicht. Mir ging es darum, den Menschen hinter diesen tollen Bildern aus aller Welt kennenzulernen. Ich kannte mittlerweile 400 Bilder von ihm. Und ich wollte wissen, ob das Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte, mit der Wirklichkeit übereinstimmte.
 
„Ein monomanischer Schwarz-Weiß-Fotograf“: Sebastião Salgado © Donata Wenders / NFP

Und wie war der Eindruck?
Naja, wir haben uns ein paar Mal getroffen und waren uns sehr sympathisch. Dann habe ich seinen Sohn kennengelernt. Und irgendwann stand dann die Idee im Raum, einen Film drehen zu wollen. Aber schon eigenartig, dass ich erst einen Modeschöpfer portraitieren musste und Musiker und eine Tänzerin, bis ich einen Fotografen erforscht habe.
 
Was macht Salgado aus? War es schwer, ihm auf die Spur zu kommen?
Ich dachte - weil ich seine Fotos so gut kannte und Ausstellungen gesehen hatte und Bücher von ihm - dass es leicht werden würde. Aber da hatte ich mich schwer getäuscht. Denn ich musste nicht nur einen Fotografen, sondern mehrere Leben erforschen. Das war nicht einfach. Aber zum Glück hatte ich den Sohn von Sebastião an meiner Seite, der mir sagte, dass sein Vater in seiner Kindheit so oft weg war, dass er das Gefühl hat, ihn nicht zu kennen. Und so waren wir schon zwei Suchende. Allerdings sind aus den paar Wochen Arbeitszeit, die ich eigentlich veranschlagt hatte, dann doch insgesamt drei Jahre geworden.
 
Am Set: Wim Wenders & Team (Foto: Sebastião Salgado / Amazonas images)

In Salgados Fotos passiert immer wahnsinnig viel. Haben Sie ihn mal gefragt, warum er nie Filme gedreht hat?
Die Antwort habe ich bekommen, als wir mit ihm gedreht haben. Er war uns mit der Kamera immer voraus. Stehenbleiben oder vielleicht sogar Dinge wiederholen oder etwas inszenieren, das erschien ihm völlig unsinnig. Gibt es in seiner Welt nicht. Wie langwierig und aufwändig Filmedrehen ist, sagte er mir, das hat er immer unterschätzt. Zum Beruf des Regisseurs würde ihm einfach die Geduld fehlen. Er ist monomanischer Schwarz-Weiß-Fotograf.    
 
Wie ist es zu Salgado, dem Fotografen der großen Widersprüche, gekommen?
Man muss wissen, dass Sebastiao schon eine Karriere hatte, bevor er zur Fotografie kam. Er war ausgebildeter Wirtschaftswissenschaftler, hatte bei der Weltbank einen guten Job gehabt und Entwicklungsprojekte in Afrika begleitet. Irgendwann hat er mal den Fotoapparat seiner Frau mitgenommen.
 
Er selbst hatte keinen?
Nein. Wozu auch? Er hatte ja eigentlich kein  Interesse für die Fotografie. Mit der Kamera wollte er seiner Frau daheim zeigen, was er so in Afrika jeden Tag tut. Auf jeden Fall hat er die Kamera dann jeden Tag dabei gehabt und musste sich irgendwann eingestehen, dass ihn die Bilder mehr interessieren als seine Statistiken. Dass sein Herzblut darin steckt. Also ist er zu seiner Frau gegangen und hat ihr davon erzählt. Und sie hat ihm gesagt, dass er wohl auf sein Herz hören muss.
 
Was passierte dann?
Er war so um die 30 Jahre alt und war plötzlich wieder der Anfänger unter anderen Fotoreportern, die alle viel jünger waren als er. Aber mit denen hatte er nicht lange etwas gemein. Denn er hat gemerkt, dass er nicht wie sie arbeitet. Während der typische Fotoreporter ins Krisengebiet fliegt, dort seine Fotos macht und schnell wieder heimfliegt, merkte Salgado, dass er gern bleiben würde. Also blieb er Tage, Wochen, Monate. Am Ende hat sich seine Arbeitsweise so ergeben, dass er sich immer ein Thema nimmt – wie die Arbeit der Menschen oder die Gebiete, die heute noch so aussehen wie zur Urzeit. Und dann arbeitet er an diesen Themen zehn Jahre lang.
 
Was kann man von Salgado lernen? Dass wir uns mehr Zeit nehmen oder genauer hinschauen müssen?
Das eine ist bei Salgado nicht ohne das andere denkbar. Es ist bei ihm immer der zweite Blick, der zählt. Es gibt berühmte Bilder von ihm, die Menschen bei der Arbeit zeigen. Sie sehen so aus, als würde ein alter Bekannter sie fotografieren. Und das war Salgado auch für diese Menschen. Er hat monatelang unter ihnen gelebt, bis sie ihn als einer der ihren wahrgenommen haben. Und natürlich sind seine Bilder immer ein Appell an uns, doch einmal innezuhalten und nicht ständig weiter zu hetzen. Seine Bilder sind Inseln großer Ruhe.
 
Salgado hat jahrzehntelang analog fotografiert. Wie kommt er mit der digitalen Technik zurecht?
Naja, früher hatte er immer eine Filmrolle mit Foto-Material dabei. Jeden Abend hat er sich mit seinem Dunkelsack hingesetzt und Material für den nächsten Tag aufgewickelt. Mehr hatte er nicht und so hat er bedacht fotografiert. Heute fotografiert er digital und bringt säckeweise Speicherkarten mit nach Hause. Er selbst hätte keine Ahnung, was er damit machen soll. Seine Assistenten spielen die Bilder ein und er selbst sucht dann Bilder aus, die ihn interessieren. Dann werden sie entwickelt und erst, wenn er sie dann in den Händen hält, fangen sie an, für ihn zu existieren.
 
Sie arbeiten mittlerweile schon wieder an einem neuen Film. „Every Thing Will Be Fine“ mit James Franco und Rachel McAdams. Was wird denn alles gut?
Wahrscheinlich nicht viel. Es geht um eine Katastrophe, die ein Mensch auslöst, und die Frage, wie man danach weiterleben kann. Aber wie bei all meinen Filmen - jetzt sitze ich gerade im Schneideraum - bin ich mir nicht sicher, ob der Titel nicht schon zu viel verrät.



Kritik
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