„Die weibliche schonungslose Sicht der Dinge“
14.09.2014
Interview:
Peter Beddies
Charlotte Roche: Sie war das Bad Girl der deutschen VJs im Musik-Fernsehen. Dann probierte sie kurz die Schauspielerei aus. Aber anders als ihre Kollegin Heike Makatsch blieb sie nicht dabei hängen, sondern wurde zur Schriftstellerin – mit Büchern, die sich sehr explizit mit Körperlichkeit und Sexualität beschäftigen. Ihr erster Roman „Feuchtgebiete“ war eine Sensation. Er verkaufte sich mehr als 1,3 Millionen Mal. Die Kritiken waren überschwänglich. Im letzten Jahr wurde ein vieldiskutierter Kinofilm daraus. Das ist nun auch mit ihrem zweiten Werk „Schoßgebete“ (Kinostart: 19. September) geschehen. Sönke Wortmann („Das Wunder von Bern“) inszenierte, Lavinia Wilson spielt die Hauptrolle. Wir haben Charlotte Roche bei der Deutschland-Premiere von „Schoßgebete“ in Berlin getroffen.
FilmClicks: Gibt es viele Menschen, die von Ihnen wissen wollen, wie man Bestseller-Autorin wird? Ihr Erfolg kam ja quasi über Nacht.
Charlotte Roche: Wenn ich einen Tipp geben müsste: Nicht darüber nachdenken, dass man einen Bestseller schreiben möchte. Wenn ich vermuten sollte, warum meine beiden Bücher erfolgreich waren, würde ich sagen, weil sie ehrlich sind und ich meine Seele reingesteckt habe. Ohne Rücksicht auf Verluste habe ich die geschrieben und zum Teil gedacht, dass ich danach keine Freunde mehr haben würde. Aber es kam genau anders herum.
Genau. Sie sind populär. Ihre Bücher verkaufen sich gut. Kann der Erfolg auch manchmal zu viel werden?
Ach, das merke ich doch nur an den Tagen, wenn ich über mich selbst reden muss. Da macht mir das auch Spaß. Ich finde die Verfilmung von „Schoßgebete“ total gut, stehe voll dahinter. Ich habe doch eine tolle Position: Ich bin nicht im Film. Muss nicht aufgeregt sein. Es erscheint kein neuer Roman von mir. Alles bestens. Ich kann daneben stehen und manchmal, wenn man mich fragt, beraten.
Wie sieht es mit Ihrem dritten Buch aus? Schon angefangen?
Ja, angefangen zu schreiben habe ich schon. Es wird sicher wieder so ähnlich wie die ersten beiden Bücher. Auch das dritte wird viel mit mir und meinem Leben zu tun haben. Die weibliche schonungslose Sicht der Dinge. Aber wann es erscheinen wird, das weiß ich noch nicht.
Mir ging es in „Schoßgebete“ so, dass ich Sie im Film immerzu gesucht, aber natürlich nicht gefunden habe. War es angedacht, dass Sie die Hauptrolle spielen?
Das würde ich supergern machen. Aber ich kann nicht schauspielen. Das ist so ein großer Film. Und dann verbocke ich vielleicht die Verfilmung meines eigenen Romans. Wie scheiße ist das denn? Nein, das wäre nicht gegangen. Und was Lavinia Wilson aus der Rolle herausgeholt hat, davor habe ich den allergrößten Respekt. Ich sehe da eine jüngere und dünnere Ausgabe meiner selbst. Und dennoch ist es die Arbeit einer großen Schauspielerin.
In „Schoßgebete“ geht es um eine Frau, für die Sex eine Möglichkeit ist, Traumata kurzfristig zu vergessen. Außerdem ist es ein Trauerfilm. Sie verarbeiten die reale Katastrophe, bei der 2001 drei Ihrer Geschwister in einem Unfall ums Leben kamen. Wie schmerzhaft war es, das noch einmal auf der Leinwand zu sehen?
Also, ich hätte es mir nicht anschauen müssen. Als Autorin der Vorlage bin ich dazu nicht verpflichtet. Aber ich habe es getan. Die Entscheidung fällt, wenn man sich entscheidet, die Filmrechte zu verkaufen. Da hätte ich verhindern können, dass daraus ein Film wird. Sich den Film aber nun nicht anzuschauen, das wäre feige gewesen. Beim Schauen habe ich dann festgestellt, dass das Grauen der Realität viel schlimmer ist, als jetzt den Film zu sehen. Das ist immer noch meine Geschichte. Aber gefiltert gesehen durch die Augen anderer kreativer Menschen.
Es hat nichts mehr mit Ihnen zu tun? Weil das Schreiben des Buches die Therapie war?
Das war es auf jeden Fall. Das Schreiben hat mir sehr geholfen. Aber was mir beim Filmschauen noch aufgefallen ist. Es sieht alles anders aus. Die Leute zum Beispiel oder mein Hochzeitskleid. Und was Sie nicht vergessen dürfen. Wenn Sie den Unfall im Film zum ersten Mal sehen, dann ist das ein Schockeffekt. Ich beschäftige mich mit dem Unfall seit mehr als zehn Jahren. Sehe die Bilder in meinem Kopf jeden Tag. Wie soll mich da ein Film schocken?! Stimmt doch, ne?
Im Zusammenhang mit dem Unfall wird noch etwas anderes in Buch und Film verhandelt. Ihre Wut auf die „Bild“-Zeitung. Ein Reporter hatte Ihre Telefon-Nummer herausbekommen und versucht, Ihnen eine erste Reaktion auf die Katastrophe zu entlocken. Woraufhin Sie der Zeitung den Krieg erklärt haben. Wäre so ein Film nicht die Gelegenheit, Frieden zu schließen?
Nein, niemals! Was so was angeht, bin ich sehr nachtragend. Und ich sehe mich als 90jährige noch, wütend auf die „Bild“-Zeitung, oder Druck-Zeitung, wie sie im Film heißt. Ich habe doch am eigenen Leib erlebt, wie die arbeiten. Wenn eine Katastrophe passiert ist und jemand ein Interview gibt, dann wurde er wahrscheinlich erpresst. So ist das und das will ich immer sagen dürfen. Ich finde, dass es in Buch und Film einen sehr kreativen Umgang mit Hass gibt. Da wird nicht groß rumgejammert. Es ist sehr befriedigend für mich zu sehen.
Sie meinen die Eröffnungs-Szene, als sich die Heldin in einer Art Phantasie drastisch zur Wehr setzt gegen diese Art des Journalismus.
Ja, als ich die gesehen habe, musste ich richtig schmunzeln.
Hinter „Schoßgebete“ steckt Oliver Berben und damit die Filmfirma Constantin.
An die wollte ich zu Beginn überhaupt nicht verkaufen. Oliver Berben hat bei meinem Verleger immer wieder nachgefragt und der hat zu ihm gesagt: „Vergiss es. Charlotte findet große Filmfirmen Scheiße. Die findet nur Independent-Sachen gut“. Aber nach gefühlten 100 Anrufen hat mich mein Verleger überredet, mich mit Oliver zu treffen. Und dann war der das krasse Gegenteil von dem, was ich erwartet hatte. Er war ganz bescheiden, korrekt und genau. Hat ganz viele private Sachen erzählt, wie ihn das Buch berührt hat. Und da habe ich schon gedacht: „OK, mich haste im Sack!“. Aber das sagt man natürlich nicht, bevor man nicht verhandelt hat.