DIE STORY: Wer bei „Schoßgebete“ auf die Fortsetzung von „Feuchtgebiete“ hofft, könnte sein blaues Wunder erleben. Denn die Verfilmung des zweiten Bestsellers von Charlotte Roche hält sich eng an die Vorlage. In der geht es nicht mehr um das sexuelle Erwachen einer jungen Frau.
Es geht darum, dass Elizabeth (Lavinia Wilson) einen tragischen Unglücksfall in der Familie nur dann zeitweise vergessen kann, wenn sie Sex hat. Den hat sie mit ihrem sehr verständnisvollen Gatten Georg (Jürgen Vogel) daheim oder im Puff. Eine sehr intensive – wenn auch ungewöhnliche – Trauerarbeit.
DIE STARS: Lavinia Wilson als Elizabeth – aber eigentlich als Charlotte Roche – ist schlicht eine Sensation. Wie sie Trauer und Neurosen völlig normal spielt und sehr an die Autorin der Vorlage erinnert, das ist groß.
Dass Jürgen Vogel neben beinahe jeder Schauspielerin dieser Welt bestehen kann, das gilt als sicher. Aber wie er als Elizabeths Mann hier einen völlig in sich ruhenden Typen porträtiert, bei dem sich wohl jede Frau gern anlehnen würde, das hat er so noch nie gespielt – Weltklasse!
DIE KRITIK: Charlotte Roche ist schon eine gnadenlos gute Verkäuferin ihrer selbst. Ihren zweiten Roman beginnt sie, wie sie den ersten abschloss. Mit jeder Menge Ficken, Bumsen, Blasen. Und wenn nach 20 Seiten der Ton plötzlich ein ganz anderer wird, hat sie einen schon am Haken.
Der „Schoßgebete“-Auftakt funktioniert als Buch sehr gut. Filmisch wäre dieser ausufernde Sexualakt sicher eine extrem schwierige Angelegenheit. Drehbuchautor Oliver Berben (ja, der Sohn von Iris, der hier einen exzellenten Job gemacht hat) und Regisseur Sönke Wortmann („Das Wunder von Bern“) wählen einen anderen, ebenfalls sehr verblüffenden Einstieg in den Film. Sie zeigen Elizabeth (Lavinia Wilson), die ihren größten Albtraum auslebt: Mit Waffen gespickt und wie Lara Croft aussehend, stürmt sie ein Verlagsgebäude und schießt im Redaktionsraum ungehemmt um sich.
Wer nicht mit dem Buch und nur lose mit dem Leben von Charlotte Roche vertraut ist, versteht erst einmal herzlich wenig. Erst Stück für Stück wird deutlich, warum die Frau so eine Wut auf die „Druck“-Zeitung hat. Denn ein Reporter von denen hatte bei Elizabeth/Charlotte angerufen, nachdem bei einem furchtbaren Unfall auf dem Weg nach England zu ihrer Hochzeit mehrere Mitglieder ihrer Familie ums Leben gekommen waren.
Dieser eine Strang macht einen Teil des sehr elegant erzählten Films aus, während der andere davon erzählt, dass Elizabeth ihre Trauer in Gesprächen mit ihrer Therapeutin (Juliane Köhler) oder mit ausgiebigem Sex zu verarbeiten versucht.
Der Sex wird anders als bei „Feuchtgebiete“ nur in Andeutungen oder – in einer sehr schön gefilmten Szene im Bordell – als Akt der Befreiung und der Selbstsuche einer erwachsenen Frau und nicht eines Teenagers gezeigt. Und Sönke Wortmann, dafür gebührt ihm großer Dank, hat sich entschlossen, viele Dinge einfach wegzulassen.
In einer Szene gehen Elisabeth und Georg in einen Sexshop und kaufen einen Dildo. Für ihn wohlgemerkt. Das ist Kopfkino genug. Was danach im ehelichen Schlafzimmer passiert, das bleibt uns zum Glück erspart. Wer doch mehr wissen möchte, der mag einfach einen der frühen Ulrich-Seidl-Filme einlegen.
IDEAL FÜR: alle, die sich im Kino gern überraschen lassen. Und die Problemfilmen in Edeloptik nicht abgeneigt sind.