Ursula Strauss


„Es wäre langweilig, wenn ich immer mich selbst spielen müsste!“

13.11.2013
Interview:  Gunther Baumann

Eine Wirtstochter vom Lande: Ursula Strauss in „Oktober November“ © Filmladen

Durch die ORF-Serie „Schnell ermittelt“ wurde Ursula Strauss zum Star.  Doch Kinofans wissen, dass die Wienerin, die in Pöchlarn aufwuchs, weit mehr drauf hat als die Rolle einer kessen Chefinspektorin: Mit Filmen wie „Revanche“, „Vielleicht in einem anderen Leben“ oder „Mein bester Feind“ wurde sie zu einer der führenden Charakter-Darstellerinnen des österreichischen Kinos. Jetzt ist die 39-Jährige in Götz Spielmanns fesselndem Familiendrama „Oktober November“ zu sehen. Sie spielt eine Wirtstochter vom Lande, die Besuch von ihrer weltgewandten Schwester erhält, als der Vater im Sterben liegt. Im FilmClicks-Interview erzählt Ursula Strauss über die Provinz und die große weite Welt, über ihre Lust am Spiel und über Ängste.


FilmClicks: Die Figur der TV-Ermittlerin Angelika Schnell hat Sie in Österreich sehr populär gemacht. Ist dieser Ruhm etwas Verblüffendes für Sie?
Ursula Strauss: Total verblüffend. Ich tu‘ mich schwer damit, das mit mir in Einklang zu bringen. Ich habe immer das Gefühl, da geht es um jemand anderen. Es wäre Quatsch, darunter zu leiden, dass ich jetzt oft erkannt werde. Dann dürfte ich den Beruf nicht machen. Aber natürlich wird das manchmal anstrengend, wenn man einmal nicht so gut drauf ist. Wenn man sich nicht so stark fühlt oder nicht so schön.  Dann ist schwieriger, beäugt zu werden.  Man braucht halt eine dicke Haut und die Stärke, es auszuhalten, dass jeder eine Meinung zu einem hat, die nicht immer nur gut ist. Man kann es allerdings gut aushalten, wenn man weiß, dass man nicht der Mittelpunkt des Universums ist.
 
Als Sie anfingen mit der Schauspielerei – hatten Sie da den Plan, Karriere zu machen?
Nein. Ich wollte spielen. An Karriere habe ich nie gedacht. Meine Kolleginnen in der Schule, in der Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik – dass ich’s rausbring‘ – in Amstetten, haben mir erzählt, dass ich schon damals davon sprach, dass ich einmal in Filmen mitspielen will. Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Aber ab dem Moment, als ich in Wien auf die Schauspielschule ging, war ich glücklich,  diesem Traum näher gekommen zu sein. Ich wollte spielen, und ich wollte davon leben können. Alles andere, was kam, hat mich überrascht.

Beim Dreh: Ursula Strauss mit Regisseur Götz Spielmann und Kameramann Martin Gschlacht © Filmladen

„Oktober November“ ist nach dem Oscar-Kandidaten „Revanche“  schon Ihr zweiter Film mit Autor/Regisseur Götz Spielmann.
Stimmt, und ich bin Götz sehr dankbar dafür, dass ich wieder dabei sein konnte (sie spricht direkt ins Mikrofon: „sehr dankbar Götz, bussi, bussi“), weil es einfach toll ist, mit ihm zu arbeiten. Götz ist bei den Proben sehr genau, doch auf dem Set lässt er dann locker, weil er vorher schon alles so streng erarbeitet hat. Es ist ein sehr konzentriertes und zugleich sehr lustvolles Filmen. Extrem lebendig. Wir haben viel über die Figuren gesprochen – das war fast wie eine Familienaufstellung.
 
Sie spielen eine Frau vom Lande, die nie in die Welt hinausgegangen ist. Konnten Sie da ein bisschen aus Ihrer Jugend in Niederösterreich, in Pöchlarn, schöpfen?
(Lacht) Pöchlarn ist im Vergleich zu Annaberg, wo unser Film spielt, fast eine Metropole. Pöchlarn hat ja 3.000 Einwohner, liegt an der Westbahn und ist gut angebunden an andere große Städte, die wir in Österreich haben, wie St. Pölten und Amstetten (lacht). Ich bin nicht so aufgewachsen wie die Verena, meine Figur im Film. Ich hatte eine Kleinstadtjugend, in einem Ort, in dem es ein Stadtzentrum gibt, ein großes Stadtbad, einen großen Fußballplatz und ein Pfadfinderheim. Ich bin ein typisches Siedlungskind, wo man miteinander Räuber und Gendarm spielte,  ein Lager in der Au hatte und den ganzen Tag unterwegs war zwischen Spielplatz und Donau.
 
Warum ist diese Verena in „Oktober  November“ stets auf dem Lande geblieben?
Wegen des Vaters – aber auch aus Angst. Aus Angst vor großen Schritten, was zu einer scheinbaren Verbitterung führt. Doch als sie mit dem Sterben des Vaters konfrontiert ist, bekommt sie automatisch eine geschärfte Wahrnehmung ihrer Umgebung. Sie sieht das Leben auf einmal wie durch eine Lupe. Sie nimmt ihren Mann anders wahr als zuvor, sie erkennt seine Tiefe und was sie an ihm hat. Sie spürt, dass sie ein großes Glückspotenzial in sich trägt, weil sie eine Heimat hat. Durch das Begleiten des Vaters zum Tode erlebt sie, dass sie ankommt im Leben. Sie macht ihren Frieden mit der großen weiten Welt, weil sie begreift, dass die große weite Welt überall da ist, wo man selber ist, weil jeder von uns ein Teil der großen weiten Welt und ihrer Vielfalt ist. Sie erkennt, dass das Glück nicht im Draußen liegt, sondern in ihr drinnen.
 
Stimmt es, dass Sie vier Tage lang die Sterbeszene des Vaters, gespielt von Peter Simonischek, gedreht haben?
Ja. Das war heavy, weil man sich dieser Stimmung nicht entziehen kann. Man ist mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert, die dann nicht mehr weggehen.  Ich weiß gar nicht, wie es Peter Simonischek dabei erging. Wir haben es vermieden, darüber zu sprechen. Ich habe mich nie getraut, zu fragen. Eigentlich merkwürdig. Dadurch, dass wir uns so viel mit dem Tod beschäftigt haben, waren wir dann am Abend, nach Drehschluss, sehr lebendig.  Peter Simonischek spielt diesen alten Mann – der er selbst ja gar nicht ist – sensationell.
 
Ist es ein großer Sprung, von einem heiteren Krimi wie „Schnell ermittelt“ zu einem schweren Familiendrama zu wechseln?
Ach, ein Film wie „Oktober November“ bedeutet einfach, dass man mehr Zeit hat.  Wir haben fünf Wochen in Annaberg gelebt – das ist eine ganz andere Konzentration, als wenn man in Wien dreht und abends nach Hause geht. Ich tu‘ mich prinzipiell nicht schwer damit, zu verschiedenen Geschichten Zugangspunkte zu finden. Das Umschalten passiert dann automatisch.
 
Das merkt man auch an Ihren Rollen: Sie sind definitiv keine Schauspielerin, die auf einen bestimmten Typ festgelegt ist.
Stimmt. Und das ist mir auch sehr wichtig bei meiner Arbeit. Diese Verwandlungen – das ist der Beruf. Es wäre mir recht langweilig, wenn ich immer mich selbst spielen müsste. Denn dann bräuchte ich ja meinen Beruf nicht auszuüben. Ich mache ihn ja, damit ich nicht ich selber sein muss! 

Ursula Strauss: „Ein großer Teil des Schauspielens ist die Phantasie“ © Katharina Sartena

Das mag jetzt viele Ihrer Fans enttäuschen, die träumen, Sie seien genau so wie auf der Leinwand oder auf dem TV-Bildschirm…
Nun, natürlich könnte man keine Rolle spielen, wenn es nicht einen Teil gäbe, den man in sich selbst findet. Diesen Teil zu verstärken, das macht man dann eh automatisch. Und es gibt so Vieles, das einem hilft: Die Kostüme oder die Sprache zum Beispiel. Jede Geschichte verlangt eine andere Körperhaltung und eine andere innere Haltung. Was davon bin ich, was nicht? Na, alles und gar nichts. Ein großer Teil des Schauspielens ist die Phantasie und die Lust daran, sich in andere Geschichten zu versenken.  Aber natürlich sind es meine Stimme, mein Körper und meine Phantasie, die etwas mit den Figuren macht. Um zwei Beispiele zu nehmen: Ich bin kein Sozialfall und keine psychisch gestörte Mutter. Aber trotzdem muss ich solche Frauen spielen.
 
Haben Sie manchmal auch Ängste, dass eines Tages keine neuen Rollen mehr kommen?
Ja, natürlich. Das hört nicht auf. Mein Beruf ist ein großes Spiel, das jederzeit vorbei sein kann. Das ist aber auch ganz gut so. Der Beruf fordert von einem,  immer wachsam zu sein und nicht einzuschlafen.  Man darf nicht stehenbleiben oder am Leben vorbeigehen, sondern man muss sich weiterentwickeln. Denn sonst könnte man keine neuen Figuren entwickeln.



Kritik
Oktober November
Ein alternder Patriarch (Peter Simonischek), der auf dem Land in Niederösterreich einen Gasthof besitzt, erleidet in Götz Spielmanns Filmdrama „Oktober November“ einen Herzinfarkt.Seine Töchter Verena (Ursula Strauss) und Sonja (Nora von Waldstätten) stehen ihm bei. Mehr...