Oktober November
Vom Spüren und gespürt werden
DIE STORY: Ein alternder Patriarch (Peter Simonischek), der auf dem Land in Niederösterreich einen Gasthof besitzt, erleidet in Götz Spielmanns Filmdrama „Oktober November“ einen Herzinfarkt. Seine Tochter Verena (Ursula Strauss), die mit ihm nach dem Tod der Mutter den Gasthof führte, steht ihm bei, ihre Schwester Sonja (Nora von Waldstätten), die eine Karriere als Schauspielerin in Berlin hat, eilt zurück in die alte Heimat. Am Sterbebett des Vaters kommt die Familie nach langer Zeit wieder zusammen – und alte Konflikte brechen auf.
DIE STARS: „Oktober November“ versammelt mit Peter Simonischek, Ursula Strauss, Nora von Waldstätten und Sebastian Koch ein hochkarätiges Schauspielerensemble des deutschsprachigen Raums. Vor allem Strauss hat man bislang noch nie in einer derart intensiven Performance gesehen. Ein wunderbar gespieltes Drama!
KURZKRITIK: „Oktober November“ ist das subtil inszenierte Psychogramm einer Familie. Wie schon in seinen früheren Arbeiten, etwa im oscar-nominierten „Revanche“, versteht es Regisseur Götz Spielmann, in scheinbar simplen Geschichten die großen Fragen des Lebens zu verhandeln.
IDEAL FÜR: Liebhaber des österreichischen Films kommen auf ihre Kosten, und wer sich emotional auf den Film einlässt, wird mit einer nahe gehenden Geschichte belohnt, die stark nachwirkt.
FilmClicks Kritik. Gleich zu Beginn von „Oktober November“ gibt es einen Augenblick, der die Türen zu diesem feinsinnigen Familiendrama aufstößt: Die junge Schauspielerin Sonja Berger (Nora von Waldstätten) sitzt mit einem Kollegen in einem noblen Berliner Restaurant; beide besprechen bevorstehende gemeinsame Dreharbeiten, und irgendwann, als das Gespräch intimer wird, springt Regisseur Götz Spielmann über die Achse und setzt kurz die Logik filmszenischer Auflösung außer Kraft.
Was man bei Filmstudenten als gravierenden Fehler werten würde, benutzt Spielmann geschickt, um den Bruch in der Persönlichkeit Sonjas (und im weiteren Verlauf den Bruch in ihrer gesamten Familie) zu symbolisieren.
Der kleine Schnitt ist der Zugang zu dieser emotional aufgeladenen Geschichte: Sie erzählt von einem alten Vater (Peter Simonischek), der mürrisch geworden ist, in seinem Dorfgasthof im tiefsten Niederösterreich. Davon, wie es seine Tochter Sonja nach draußen, in die große weite (Schein-)Welt trieb, nach Berlin, wo sie als Schauspielerin in mittelmäßigen TV-Filmen mitwirkt, die ihr ihre gesamte Energie rauben. Sonja hat es „zu etwas gebracht“, aber sie selbst spürt, dass das eine Lüge ist.
Ihre Schwester Verena (Ursula Strauss) hat einen anderen, den gegenteiligen Lebensweg eingeschlagen; sie ist zuhause beim Vater geblieben, hat ihm im Wirtshaus assistiert und wird mit der Enge, die ihr die beschränkte Entfaltungsmöglichkeit am Land vorschreibt, nicht fertig.
Es sind zwei Gegenpole, zwei Lebensentwürfe, die in „Oktober November“ aufeinander treffen, als Sonja in das kleine Dorf, ihre Heimat, zurückkehrt. Der Vater hat einen Herzanfall, sein Arzt (Sebastian Koch) verordnet ihm Bettruhe. Die Familie steht plötzlich seltsam geeint vor dem späteren Totenbett des Patriarchen. Die Tage und Wochen des Wartens, bevor er aus dem Leben scheidet, entspinnen sich zu einerseits nervenaufreibenden Aufarbeitungen der familiären Vergangenheit, andererseits zu einer in den Protagonisten wachsenden Selbstreflexion über eigene Versäumnisse und schmerzhafte Eingeständnisse des eigenen Scheiterns.
Mit großer Sorgfalt hält Götz Spielmann seine Erzählung möglichst simpel. Doch bald entwickelt sich die wachsende Agonie aller Beteiligten zu einer äußerst komplexen und vielschichtigen Auseinandersetzung mit familiären Banden und Zusammenhalt, mit Verdrängung und mit dem Tod.
Die wunderbaren Bilder einer herbstlichen Landschaft, getaucht in sanfte Sonnenstrahlen, die Kameramann Martin Gschlacht mit großer Präzision fotografierte, strahlen zugleich Hoffnung und Hoffnungslosigkeit aus, je nachdem, in welcher Verfassung dieser Film betrachtet wird; „Oktober November“ ist kein intellektuelles Kino, sondern eines, das die Sinne anspricht;
Wenn das hervorragend agierende Ensemble in den Figuren zueinander findet, dann bleibt doch ein großer Rest aus beklemmender Leere in ihren Seelen. Diese Leere kann nur füllen, was man Heimat nennt: Kein Ort, sondern ein Seelenzustand, in dem es nur ums Spüren geht. Und um das Gespürt werden.