„Der Klassenclown war ich nie“
10.10.2013
Interview:
Peter Beddies
Dieter Hallervorden will nicht mehr. Der Schauspieler, der als unermüdlicher Pointenschleuderer zur Kultfigur wurde, hat keine Lust, länger den Spaßvogel zu geben. Das ernste Fach interessiert den 78-jährigen Berliner heute bedeutend mehr. Drum stand er für ein ambitioniertes Projekt wie das Rentner- und Sportler-Drama „Sein letztes Rennen“ mit vollem Einsatz zur Verfügung. Zumal er, wie er im FilmClicks-Interview verrät, schon vor Drehbeginn absolut überzeugt davon war, dass bei diesem Kino-Schmuckstück nichts schiefgehen könnte. Hallervorden erzählt auch über seine Kindheit – und über sein ganz spezielles Verhältnis zum Ex-DDR-Staatschef Walter Ulbricht.
FILMCLICKS: Wieso waren Sie sich so sicher, dass „Sein letztes Rennen“ ein sehr guter Film wird?
Dieter Hallervorden: Also, wenn ich mitlaufe, dann nicht, um Zweiter zu werden. Das heißt also, als ich das Drehbuch las, dachte ich: „Das ist genau meine Sache!“. Endlich mal ein Drehbuch, das Format hat. Das den Ansprüchen genügt, gleichzeitig unterhaltend zu sein und zu berühren. Der Film, das merkte man schon beim Lesen, balanciert auf dem schmalen Grat zwischen Schmunzeln und tiefer Rührung.
Der Ex-Sportler Paul Averhoff, den Sie spielen, liegt Ihnen sehr am Herzen, oder?
Ich würde sogar sagen, dass es da eine Art Seelenverwandtschaft gibt. In weiten Teilen bin ich das ja selbst. Er sagt immer als Lebensmotto: „Nie stehenbleiben. Wer stehenbleibt, hat schon verloren“. Und mein Lebensmotto ist: „Mindestens einmal mal mehr aufstehen als hinfallen“. Das sagt ja mit anderen Worten dasselbe.
Wer einen Marathon-Läufer spielt, muss sich darauf einstellen, dass er viel laufen muss. Haben Sie Ihren Regisseur manchmal verflucht?
Nein, auf keinen Fall. Ich wusste ja genau, was auf mich zukommt. Außerdem bin ich ein Pflichtmensch. Wenn ich einen Vertrag unterschreibe, bin ich in der Pflicht, dem Produzenten gegenüber, das leisten zu können, was vereinbart ist.
Das heißt. Sie sind zum Läufer geworden?
Na ja, ganz unsportlich war ich auch früher nicht. Aber für diesen Film musste ich ein straffes Programm absolvieren und viele Wochen lang jeden Tag laufen.
Laufen Sie auch heute noch?
Nicht mehr so viel. Aber drei- bis fünf Mal die Woche. Aber nicht mehr so lange. Ich begnüge mich jetzt mit 40 Minuten.
Es klingt so, als hätten Sie die Dreharbeiten locker weggesteckt.
Locker nicht. Es war schon manchmal so, dass ich am Ende der Tage, an denen wir Berlin-Marathon-Szenen gedreht hatten, tränenüberströmt auf meinem Stühlchen gesessen habe. Zur Anstrengung kam auch noch eine Reizung in der Achilles-Sehne. Mit Spritzen und Kühlung wurde ich wieder flott gemacht. Das war schon eine harte Zeit. Ich kann Ihnen sagen, dass ich mich noch nie in meinem Leben so intensiv auf ein Projekt vorbereitet habe.
Der Film geht sehr zu Herzen, aber er hat keinerlei Komik.
Das würde auch überhaupt nicht dazu passen.
Wie oft wurden Ihnen in den letzten Jahren Komödien angeboten, in denen Sie nur altbekannte Figuren aufwärmen hätten müssen?
Keine Ahnung. So etwas zähle ich nicht nach, weil mich das nicht interessiert.
Und wie oft begegnen Ihnen Menschen, die Sie auf Didi reduzieren?
Also die Zeiten, in denen das passierte, sind längst vorbei. Dadurch, dass ich 100 Folgen „Hallervorden Spott-Light“ gemacht habe und jetzt so viele andere Dinge im Theater, liegt das in weiter Ferne. Wissen Sie, jeder Mensch mit ein bisschen Grips im Kopf, begegnet mir nicht mehr so. Ich bin im Theater oder beim Film der oder der. Aber das bin nicht unbedingt immer ich. Didi schon gar nicht.
Sind Sie denn mit dem Alter etwas ruhiger geworden und waren früher – zum Beispiel in der Schule – derjenige, der immer Scherze gemacht hat?
Sie meinen so eine Art Klassenclown? Überhaupt nicht! Ich war schüchtern, ich war der Kleinste und auch der Jüngste, weil ich schon mit fünf Jahren eingeschult worden bin. Ich habe mit 17 schon Abitur gemacht. Nein, ich war zwar jemand, der einen eigenen Willen hatte, der sich nicht alles gefallen ließ. Aber aus mir herausgegangen bin ich während der gesamten Schulzeit überhaupt nicht.
Wie und wann haben Sie dann gemerkt, dass in Ihnen ein Schauspieler schlummert?
Das war in West Berlin bei einer Laiengruppe. Die hieß „Die Gruppe der Unbekannten“. Dort hatte ich die Lacher auf meiner Seite. Das hat mir Spaß gemacht und ich dachte, dass es toll wäre, aus dem Hobby einen Beruf zu machen. Zu der Zeit war ich im Doktoranden-Seminar der Freien Universität und da habe ich mich dann entschlossen, das Studium abzubrechen und Schauspieler zu werden.
Lassen Sie uns noch über eine interessante Episode sprechen. Sie wollten – wenn das stimmt – massiv in deutsch-deutsche Geschichte eingreifen.
Ich ahne, worauf Sie hinaus wollen. Aber ganz so hoch würde ich das nicht hängen.
Aber die Fakten sind doch, dass Sie in Dessau geboren wurden, irgendwann diese DDR nicht mehr ertragen haben und in West-Berlin den DDR-Staatschef Walter Ulbricht erschießen wollten.
Stimmt alles – das ist richtig.
Und wie wollten Sie Ulbrichts Leben ein Ende setzen?
Jede Woche spielte Ulbricht in der Nähe der Walter-Seelenbinder-Halle Tennis. Und wir - eine Gruppe von Studenten und ich – hatten uns in unserem jugendlichen Leichtsinn vorgenommen, Ulbricht aus der fahrenden S-Bahn heraus zu erschießen.
Woran ist es gescheitert?
Zum einen konnte niemand von uns – da wir keine Experten waren – sagen, welche ballistische Kurve eine Kugel nimmt, wenn sie aus einem fahrenden Zug abgefeuert wird. Außerdem gab es noch unsere Freundinnen, die uns händeringend davon abrieten, das zu tun. Mit dem kleinen Hinweis, dass wir alle ja vielleicht doch noch ein bisschen länger leben wollten.
Das hätte auf jeden Fall die Geschichte verändert.
Möglich. Die größte Strafe für Ulbricht wäre es allerdings gewesen, wenn er den Zusammenbruch der DDR noch miterlebt hätte. Das haben wir nun leider nicht hingekriegt. Er hat vorher den Löffel abgegeben. Aber das, was damals in unseren Hirnen rumspukte, ist quasi so, wie sich Klein Moritz die Politik vorstellt.