Margarethe von Trotta über ihren Film „Die abhandene Welt“


„Ich bin mit Familiengeheimnissen groß geworden“

09.07.2015
Interview:  Matthias Greuling

Margarethe von Trotta (2. v. re.) mit (v. l.) Barbara Sukowa, Matthias Habich und Katja Riemann © Filmladen

Margarethe von Trotta, 73, war einst Fassbinders Muse und später die Ehefrau von Volker Schlöndorff. Dann entwickelte sie als Regisseurin ihre eigene Stilistik, der sie bis heute konsequent folgt. Ihr neuer Film „Die abhandene Welt“ verhandelt mit Barbara Sukova, Matthias Habich und Katja Riemann in den Hauptrollen ein äußerst persönliches Thema: Riemanns Figur findet im Film heraus, dass sie eine Halbschwester in den USA hat. Ein Umstand, der von Trotta bekannt ist: Auch Sie erfuhr erst spät von ihrer eigenen Schwester. „Die abhandene Welt“ ist daher auch eine Verarbeitung eines Familientraumas.


FilmClicks: Frau von Trotta, „Die abhandene Welt“ ist für Sie die Aufarbeitung eines sehr persönlichen Vorfalls: Sie selbst haben eine Halbschwester, von der Sie Jahrzehnte lang nichts wussten. Wie war das für Sie?
Margarethe von Trotta: Ich hatte beim Drehen des Films ein starkes Deja-vu-Gefühl. Denn meine Mutter litt an Alzheimer und fragte mich eines Tages, wie es denn meiner Schwester ginge. Doch ich dachte mir nichts dabei, da meine Mutter ja selbst eine Schwester hatte und ich dachte, sie wollte wissen, wie es ihr ginge. Erst später ist mir bewusst geworden, dass sie da meine echte Schwester gemeint hatte. Ich erinnere mich an den Moment, als mir meine Schwester verriet, dass sie meine Schwester ist. Danach haben wir das alles aufgearbeitet und nachgeforscht. Meine Mutter war damals mit einem Mann zusammen, der einen Erbonkel hatte und der ihn enterben wollte für den Fall, dass er meine Mutter, diese verarmte Adelige, ehelichte. Sie hat darunter sehr gelitten, dass er sie verlassen hatte als sie schwanger war, und dass sie die finanzielle Not nachher dazu zwang, das Kind zur Adoption freizugeben.
 
Haben Sie sehr darunter gelitten, nicht früher von Ihrer Schwester erfahren zu haben?
Ich bin mit Familiengeheimnissen groß geworden. Zunächst mit der Tatsache, dass ich nicht wusste, dass meine Eltern tatsächlich nicht verheiratet waren. Und dann die Sache mit meiner Schwester. Ich habe tatsächlich das Gefühl, ich bin im Dunklen aufgewachsen, nicht nur, weil die Nachkriegszeit eine dunkle Zeit gewesen ist, und weil meine allerersten Erinnerungen das Schwarz der Luftschutzkeller in Berlin sind und ich überall nur Ruinen sah.
 
„Die abhandene Welt“ spielt sehr mit dem Aspekt eines Verwirrspiels, der Ratlosigkeit. Wie haben Sie diese Atmosphäre hergestellt?
Ich habe mich hingesetzt und geschrieben, ich kann diese Vorgänge nicht erklären. Ich hatte für meine Geschichten immer mehr oder weniger Vorbilder, es gab nur wenige Filme, bei denen ich mich hinsetzte - völlig ahnungslos - und anfing zu schreiben. „Die abhandene Welt“ ist so ein Film. Da kommen eben Sachen zustande, von denen man nicht mehr weiß, wieso. Vieles meiner Arbeit ist bestimmt von einem Gefühl.  Es gibt ja so viele Bücher, in denen steht, wie man Drehbücher schreibt. Da habe ich noch nie hineingeschaut, weil ich einfach nicht glaube, dass man sowas lernen kann.

„Abhandene Welt“: Katja Riemann, Barbara Sukowa & Filmlegende Karin Dor (M.) © Filmladen

Mal abgesehen von den autobiografischen Aspekten: Inwieweit bestimmten Ihre beiden Hauptdarstellerinnen den Inhalt der Geschichte?
Der Film ist auch eine Hommage an Barbara Sukova und Katja Riemann, weil die beiden abseits ihres Schauspielerinnen-Berufs auch als Musikerinnen arbeiten. Ich wollte ihnen die Gelegenheit geben, diese beiden Talente einmal in einem Film zusammenzubringen.
 
Wie würden Sie Ihr künstlerisches Credo formulieren?
Schwer zu sagen. Man kann einen Maler nicht fragen, warum er gerade das malt. Es muss etwas in einem vorhanden sein, aber der Vorgang der Veräußerung ist nicht immer ganz klar.
 
Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass jeder Film, den Sie machen, Ihr erster ist.
Absolut! Und ich bin auch jedes Mal davon überzeugt, dass ich es nicht schaffe. Manche Themen erfordern so viel Einarbeitung - „Hannah Arendt“ zum Beispiel -,  dass ich nie weiß, wie ich an das Thema rankomme. Dann werde ich unsicher. Eigentlich sehe ich erst im fertigen Film, ob etwas gelungen ist.
 
Bekommt man mit der Zeit nicht eine gewisse Routine?
Ne, so etwas habe ich nicht, aber ich weiß immerhin, dass ich gewisse Dinge nicht ins Drehbuch hineinschreiben darf, weil ich sie sowieso nicht finanziert bekomme. Menschen, die durch das Berlin der 1920er spazieren, zum Beispiel. Weil ich weiß, da muss ich mir nachher sowieso was anderes ausdenken, weil das keiner zahlt. Bei „Hannah Arendt“ eröffnete mir die Produzentin auch erst ein paar Tage vor dem Dreh, dass wir uns die Außenszene in New York nicht leisten können, und ich musste in Windeseile umdenken und die Szenen auf Innenräume umschreiben. Das hat zwar wunderbar funktioniert, aber es ist nicht immer so.
 
Allzusehr einschränken lassen Sie sich dennoch nicht. Vor Aufwand schrecken sie nicht zurück.
Sagen wir lieber, vor Schwierigkeiten. Aufwand ist die eine Sache, aber Schwierigkeiten können mich nicht bremsen.



Kritik
Die abhandene Welt
Die deutsche Regisseurin Margarethe von Trotta erzählt in „Die abhandene Welt“ eine verrätselte Familiengeschichte, die mit Stars wie Katja Riemann, Barbara Sukowa und Matthias Habich glanzvoll besetzt ist. Mehr...