„Die 727 Tage ohne Karamo“: Die Liebe als großer Hindernislauf
05.09.2013
Interview:
Gunther Baumann
Die Weltpremiere fand bei der Berlinale statt. Die Wiener Regisseurin Anja Salomonowitz porträtiert in „Die 727 Tage ohne Karamo“ Paare unterschiedlicher Nationalität, die in Österreich miteinander leben wollen. Freilich stoßen sie mit ihrer Multi-Kulti-Liebe rasch auf den Widerstand der Staatsmacht: Wenn Österreicher und Nicht-Österreicher ihr Herz füreinander entdecken, dann findet die Republik, dass sie dabei etwas mitzureden hat. Der Film ist die dritte Kino-Doku der 36-jährigen Wienerin. In „Das wirst du nie verstehen“ ging es 2003 um das Thema der Nazi-Diktatur, in „Irgendwann ist es passiert“ 2006 um Frauenhandel. Ihr Talent bewies Anja Salomonowitz außerdem mit dem Spielfilm „Spanien“, der 2012 bei der Berlinale herauskam.
Wie sind Sie auf das Thema gekommen, eine Doku über internationale Paare zu drehen?
Anja Salomonowitz: Aus Wut über die Ungerechtigkeit. Und aus Empörung über die Geschichten, die ich kenne und recherchiert habe. Ich bin empört über den Umgang des Fremdenrechts mit den Menschen
„Die 727 Tage ohne Karamo“ hat eine sehr lange Entstehungsgeschichte…
Ich begann schon 2006 mit der Arbeit an dem Film. Doch dann hatten wir das Pech und das Glück, immer wieder Ablehnung und Zustimmung von den Förderstellen zu bekommen. Es war also immer so viel Geld da, dass ich weiterarbeiten konnte, aber nicht so viel Geld, dass ein Drehbeginn möglich gewesen wäre. Irgendwann unterwegs hielt ich es nicht mehr aus, nicht arbeiten zu können. Das kam mir wie eine Zwangs-Babypause vor, denn ich habe in der Zeit auch zwei Kinder bekommen. Also hatte ich die Idee, das Thema von „Die 727 Tage ohne Karamo“ in einer fiktiven Geschichte zu verarbeiten, damit ich weiterkomme. Daraus entstand dann 2011 mein Spielfilm „Spanien“, auch wenn die Geschichte durch das Drehbuch von Dimitré Dinev eine völlig andere Wendung bekam. Mit „Die 727 Tage ohne Karamo“ habe ich nachher wieder weitergemacht. Das ging dann relativ schnell.
Wie haben Sie die Paare gefunden, die in „Die 727 Tage ohne Karamo“ zu sehen sind?
Da arbeitete ich mit einer NGO namens „Ehe ohne Grenzen“ zusammen, deren Obfrau Angela Magenheimer uns sehr viel geholfen hat. „Ehe ohne Grenzen“ ist eine Organisation, die von Betroffenen gegründet wurde und die mittlerweile Beratungen anbietet. Angela erzählte bei den Beratungen, dass ein Film gemacht wird, und etliche Paare haben sich bei uns gemeldet. Wir haben die Leute dann gecastet und interviewt. Im Laufe der Zeit haben wir sicher mit über 150 Paaren gesprochen. Das liegt an der langen Entstehungsgeschichte der Produktion: Wir haben quasi drei Mal den ganzen Film gecastet, ohne anfangen zu können. Weil ich wollte, dass die Menschen direkt in der Situation sind, die wir drehen – wenn jemand heiratet, ist das eine aktuelle Hochzeit -, haben wir immer neue Paare in den jeweiligen Situationen gebraucht. Wenn wir nach anderthalb Jahren eine neue Förderung bekamen, waren die Paare vom letzten Casting längst geschieden…
(lacht)
Im Ernst?
Nun, das ist etwas überspitzt formuliert, aber viele waren leider wirklich wieder getrennt. Das mag am Verlauf ihrer Beziehungen gelegen haben, die in sehr vielen Fällen nach einem identischen Muster verliefen: Zwei Menschen verlieben sich und beschließen nach sechs Wochen oder so, zu heiraten, damit sie trotz der unterschiedlichen Staatsbürgerschaften – oder dem Asylstatus - miteinander leben können. Natürlich kennen sie einander nach der kurzen Zeit noch nicht sehr gut. Doch sie sind total beschäftigt damit, den bürokratischen Wahnsinn zu bewältigen, um heiraten können. Und wenn sie nach anderthalb Jahren alles geschafft haben und miteinander leben können, dann kommen sie drauf, dass sie nur noch durch diesen Wahnsinn zusammengeschweißt sind. Viele Beziehungen sind daran zerbrochen. Im Film wollte ich diese eine Geschichte, die mir immer wieder erzählt wurde, in ihre einzelnen Elemente aufteilen und jedes Element mit einem neuen Paar darstellen. „Die 727 Tage ohne Karamo“ erzählt also eine Geschichte, die sich aus vielen Menschen zusammensetzt. Im Film sieht man 21 Paare.
Sie berichten aber nicht über Scheinehen.
Nein. Dies sind alles Menschen, die zusammenleben wollen.
Der Film hat, gemessen am schweren Thema, eine erstaunliche Leichtigkeit.
Ich wollte einen Film machen, der nicht jammernd ist, sondern der sehr knallig und ungewöhnlich aussieht – auch fröhlich und sonnig, dafür steht die Farbe Gelb. Es ist auch eine Farbe, die den Mut der Menschen widerspiegelt, den ich oft erlebt habe. Die ungewohnte Optik hat das Ziel, dem Zuschauer noch einmal einen anderen Blick auf die Realität der Menschen zu eröffnen. Es geht mir darum, ihre Würde und ihre Kraft zu zeigen. Deswegen strahlt der Film so. Umgekehrt habe ich versucht, im Film Mitleid zu vermeiden. Denn das bringt den Leuten nichts – sie brauchen eine Veränderung der gesetzlichen Struktur. Ich wollte keine dieser Mitleids-Dokus machen, sondern auf die Ebene der Solidarität gehen.
Was denken Sie über die Vorgangsweise des Staates, wenn es um internationale Paare geht?
Das Fremdenrecht wird von einem Apparat verwaltet, der sich durch sein Apparat-Sein schützt. Man kann mit konkreten Anfragen anklopfen, wird aber immer wieder weiterverwiesen. Es ist wie in einem Dschungel-Dickicht. Man bekommt bürokratische Briefe, man bekommt mit sehr komplizierten Worten sehr unmenschliche Dinge gesagt. Eine Frau sagt im Film, das Verfahren habe ihr Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert. Das trifft es auf den Punkt. Denn im Endeffekt lautet die Aussage: „Sie dürfen nicht mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin zusammenleben“. Ich wollte die Struktur herausschälen, wie die Paare langsam, aber sicher, fertiggemacht werden.