Die 727 Tage ohne Karamo
Wenn der Staat in der Liebe mitmischt
DIE STORY: Die Wiener Regisseurin Anja Salomonowitz beleuchtet in der famosen Doku „Die 727 Tage ohne Karamo“ die Situation von Paaren unterschiedlicher Nationalität. Wenn die Liebenden gemeinsam in Österreich leben wollen, obwohl nur eine(r) von ihnen den österreichischen Pass besitzt, beginnt ein enervierender Hürdenlauf mit den Behörden.
DIE STARS: Keine. Hier werden keine Film-Schicksale bebildert, sondern die Träume und Ängste echter Paare dokumentiert.
KURZKRITIK: Anja Salomonowitz lässt nie einen Zweifel daran, dass ihre Sympathie den Paaren auf der Leinwand gehört, denen das Zusammenleben so schwer gemacht. Doch „Die 727 Tage ohne Karamo“ liefert kein Agitations-Kino, sondern eine kluge und obendrein beschwingte Analyse der Situation: Die Regisseurin streut immer wieder Humor in ihre ernste Arbeit ein. Visuell hat der Film durch seine stilisierte, von gelben Farbtönen geprägte Optik einen sehr persönlichen – und attraktiven – Stil.
IDEAL FÜR: Filmfreunde, die mehr wissen wollen über die Entstehung und die Probleme des multikulturellen Lebens, wie es in Europa längst zur Realität geworden ist.
FilmClicks Kritik. „Es war ein nebliger Tag im November" flüstert eine Frauenstimme aus dem Off. Mit diesen Worten beginnt die Doku „Die 727 Tage ohne Karamo“ von Anja Salomonowitz. So könnte auch ein Märchen beginnen. Schließlich geht es im Film um die Liebe, und die ersten Bilder zeigen eine Blondine, die in einen innigen Kuss mit einem dunkelhäutigen Mann versunken ist.
Doch der Titel deutet es schon an: Dieser Film wird keine Romanze. So romantisch die Gefühle der Liebenden füreinander auch sein mögen: Spontane Zweisamkeit bleibt ihnen verwehrt. Der Staat mischt sich ein.
Die Doku begleitet Paare, die in Österreich leben wollen, obwohl nur einer der Partner aus Österreich stammt. Die anderen kommen aus China oder der Mongolei, aus Afrika oder Lateinamerika. Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie einen Vorschriften-Slalom durchlaufen müssen, der von der Republik Österreich ausgeflaggt wurde. Die Niederlage (sprich: Die Ausweisung) ist für viele im Starterfeld vorprogrammiert. Und vom Staat vielleicht sogar erwünscht.
Die Liebenden, die hier den Kampf mit der widerwilligen Bürokratie ausfechten, haben eines gemeinsam: Sie wollen heiraten. Gewiss könnte ihre Beziehung auch ohne Trauschein florieren, aber das würde das Aufenthaltsrecht des/der Zugereisten gefährden. „Mit einem Drittstaatsangehörigen“, lernt man im Film, „kommt man ums Heiraten nicht herum.“
„Die 727 Tage“ führen vor, wie viele Fallen im Papierkrieg lauern. Im Dokumentenzirkus ist das Ehefähigkeitszeugnis (welch schönes Wort!) vorzuzeigen, gemeinsam mit vielen anderen gestempelten Schriften. Liegt endlich alles vor, wollen die Behörden auch noch Beglaubigungen sehen - ausgestellt im Herkunftsland.
Die Wiener Regisseurin Anja Salomonowitz bewies schon mit der Menschenhandel-Doku „Irgendwann ist es passiert“ oder dem Spielfilm „Spanien“ , dass sie zu den Top-Talenten der österreichischen Szene gehört. Das setzt sich in „Die 727 Tage“ fort: Sie zeigt nicht nur bewegende Geschichten, sondern auch eine beachtliche handwerkliche Pratz'n.
Ihr Stil, die realen Storys in ein inszeniertes (und sehr ästhetisches) Ambiente zu stellen, erinnert manchmal an die Dokus von Ulrich Seidl. Und die Offenheit, mit der ihre Protagonisten aus ihrem Leben erzählen, weckt Assoziationen zu den TV-„Alltagsgeschichten" von Elizabeth T. Spira.
Wo immer möglich, zeigt „Die 727 Tage" auch Humor. Etwa dann, wenn eine der Frauen von einer großen Beziehungskrise erzählt. Endlich hatten sie und ihr zugereister Geliebter alle Papiere beschafft und alle Formalitäten erledigt. Endlich hatte man geheiratet. Doch dann trat eine große Leere ein.
Der Grund: Das Problem, alle juristischen Hürden zur Hochzeit zu überwinden, hatte das Leben des Paars so stark und so lange geprägt, dass die beiden danach erst mal gar nichts miteinander anzufangen wussten. Auch so können Märchen enden.