Eva Spreitzhofer über ihre erste Regie: „Unter Blinden“


„Ein Film über den Umgang mit Grenzen“

02.04.2015
Interview:  Gunther Baumann

Eva Spreitzhofer: „Das Regieführen ist der beste meiner Berufe beim Film“ © Brunner / Thimfilm

Schauspielerin, Drehbuchautorin und Regisseurin: Die Wienerin Eva Spreitzhofer kennt das Filmgeschäft von allen Seiten. Der Film „Unter Blinden – Das extreme Leben des Andy Holzer“ bedeutet für sie eine doppelte Premiere. Die Autorin von TV-Hits wie „Weihnachtsengel küsst man nicht“ und Erfinderin der Serie „Schnell ermittelt“ schrieb erstmals das Drehbuch zu einer Doku – und  sie nahm erstmals auf dem Regiesessel Platz. Im FilmClicks-Interview spricht sie über ihre drei Berufe und über das Abenteuer, mit dem blinden Extrembergsteiger Andy Holzer zu drehen.


FilmClicks: Gratulation zu Ihrer ersten Regie! Wie kamen Sie zu dem Doku-Projekt „Unter Blinden“?
Eva Spreitzhofer:  Ich hatte schon lange den Wunsch, eine Regie zu übernehmen. Denn bei meinen anderen zwei Berufen, als Darstellerin und Autorin, liegt die Verantwortlichkeit für den kompletten Film nicht bei mir. Ich liebe es aber, wenn ich für das, was ich mir ausgedacht habe, auch die ganze Verantwortung übernehmen kann – im guten wie im schlechten Sinne.  Ich wollte jedoch nicht mit der Verfilmung eines eigenen Drehbuchs beginnen, weil man da überhaupt kein Korrektiv hat. Und bei einem Spielfilm wäre mein Perfektionismus wahrscheinlich zu groß gewesen für ein Regiedebüt. Das Projekt „Unter Blinden“ begann dann damit, dass man mich fragte, ob ich für eine Spielfilm-Doku über den blinden Bergsteiger Andy Holzer die Spielfilm-Szenen schreiben wollte. Mit Dokumentationen hatte ich bisher professionell noch nichts zu tun.  

„Unter Blinden“ ist dann aber keine Spielfilm-Doku geworden.
Nein. Ich habe Andy Holzer kennengelernt und bekam rasch Zweifel, ob man angesichts einer so starken Persönlichkeit auch Spielfilmszenen schaffen könnte, die genauso stark sind wie er. Da kamen Fragen auf: Welcher sehende Schauspieler sollte den blinden Andy Holzer spielen, welches sehende Kind könnte ein blindes Kind verkörpern, das so aufwuchs wie Andy Holzer in Osttirol? Ich konnte mir das nur schwer vorstellen, doch ich hatte einen Auftrag. Also schrieb ich ein Konzept, das wir zur Stoffentwicklung einreichten. Das wurde abgelehnt. Durchaus nicht unberechtigt. Ich erläuterte dann den Produzenten Dieter und Jakob Pochlatko von der Epo-Film meine Vorstellungen, wie man das Thema als Dokumentation umsetzen könnte. Das hat den beiden gut gefallen. Dieses Projekt bekam von allen Förderstellen grünes Licht, und ich sagte den Produzenten, das Konzept sei so stark mit mir verbunden, dass ich auch selber Regie führen möchte. Das war vielleicht ein bisschen überraschend für alle Beteiligten, aber die Pochlatkos sagten dann, okay, das Risiko gehen wir ein, einer Erstlings-Regisseurin diese Dokumentation anzuvertrauen.

Premiere: Die Produzenten Jakob (l.) und Dieter Pochlatko (r.) mit Andy Holzer und Eva Spreitzhofer © Nagl / Thimfilm

War Ihnen Andy Holzer vor diesem Projekt ein Begriff?
Nein. Ich hatte noch nie etwas von ihm gehört.  Ich las zunächst einmal sein Buch „Balanceakt – Blind auf die Gipfel der Welt“.  Dann haben wir uns getroffen. Es war lustig, er machte mir die Türe auf und trug ein Leiberl mit der Aufschrift „Sexiest Man In Town“. Und ich dachte mir, wow, bisher hatte ich ein ganz anderes Bild von Blinden. Andys Selbstbewusstsein und sein selbstverständlicher Umgang mit der Blindheit haben mich durchaus überrascht. Für den Film lernte ich dann auch andere blinde Menschen kennen, mit der Folge, dass sich mein Bild von der Blindheit stark gewandelt hat.

Inwiefern?
Es ist unglaublich, wie versteckt das Leben von blinden Menschen nach wie vor stattfindet.  Das hat viel damit zu tun, dass die Integration weiterhin völlig im Argen liegt. Nicht nur, was die Schule betrifft – da wird es langsam ein bisschen besser -, sondern vor allem in der Arbeitswelt.

Sind Sie selbst Skifahrerin und Bergsteigerin?
Ich fahre total gern Ski, das Bergsteigen hat mich aber nie gereizt.  Bei den Kletter-Szenen ging unser zweites Kamerateam mit hinauf, das war ein sehr steiler Berg, ein Siebener – Bergsteigern sagt dieser Begriff etwas. Da entstanden spektakuläre Bilder. Doch ich blieb unten, beim Einstieg in die Wand, mit dem anderen Team, wo wir eine Totale drehten mit der Wand und den kleinen Maxerln, die sich im Fels bewegten.

Hatten Sie keine Lust, mit hinauf zu gehen?
Nein (lacht). Ich sagte gerade zum Team, dieses Bergsteigen erschließt sich mir irgendwie Null – da sah ich einen Kletterer, der aus vielleicht fünf Metern Höhe abstürzte. Zum Glück ist er auf seinen Rucksack gefallen, es ist ihm nichts passiert, sonst könnte ich das nicht so lustig erzählen. Ich finde es super, wenn jemandem das Bergsteigen Spaß macht, aber ich kann selbst wenig damit anfangen.

Was ist die Motivation von Andy Holzer, zu klettern?
Er stammt aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Lienz und er sagt, wenn man dort, umringt von den Gipfeln der Dolomiten, aufwächst, dann gehört es einfach dazu, dass man auf den Berg geht. Andy war von Geburt an blind, er ist aber, wie er selbst sagt, aufgewachsen wie ein Sehender. Also wollte er überall mitmachen. Bis heute. Er will überall mitmachen und, wenn das geht, auch noch besser sein als alle anderen.

Am Set: Eva Spreitzhofer mit Andy Holzer und Kamerafrau Leena Koppe © Brunner /Thimfilm

Wie erklärt man ihm als Blinden, was ein Film ist?
Es war eher so, dass er uns alles erklärte (lacht). Er unterhält sich mit der Kamerafrau, ob sie auf 2K oder auf 4K dreht, er sagte uns, dass wir aufs Gegenlicht aufpassen müssen, damit die Gesichter nicht finster sind. Andy beschäftigt sich unglaublich stark mit den Bildern der Sehenden. Im Film gibt es ein Streitgespräch zwischen ihm und dem blinden Musiker George Nussbaumer, wo die beiden über Farben und Bilder diskutieren.  Es ist spannend, zuzuhören,  wie zwei blinde Menschen über ihre Vorstellung von Bildern reden.

War „Unter Blinden“ Andy Holzers erster Auftritt in einem Film?
Nein. Dies ist sein erster Kinofilm, doch er hat schon viel fürs Fernsehen gedreht. Das hört er sich dann alles an, und er hält auch Vorträge,  zu denen er gemeinsam mit seiner Frau Videos schneidet. Auch Computer sind wichtig. Das habe ich übrigens bei allen blinden Menschen, mit denen ich sprach, festgestellt: Seitdem es die Computer gibt, hat sich ihr Leben extrem erleichtert.  Weil durch die Spracherkennung sehr viel an Kommunikation möglich ist – zu lesen und Informationen zu bekommen. Das ist ein Segen.

Wie würden Sie die Behinderung durch fehlendes Sehen nach diesem Film einschätzen?
Die Vorstellung, dass man als Blinder weniger tun kann, ist ein Irrtum. Natürlich fehlt den Blinden ein ganz wichtiges Sinnesorgan; das ist einfach so. Entscheidend ist dann, wie man mit diesem Defizit umgeht. So ist „Unter Blinden“ weniger ein Film über Sehbehinderungen geworden als einer über den Umgang mit Grenzen. Jeder von uns ist im Leben mit Einschnitten konfrontiert, die so schlimm sind, dass sie sich kaum ertragen lassen: Man verliert einen Job, man wird verlassen, man hat bei bestimmten Fertigkeiten das Gefühl, sie nie zu beherrschen.  Da muss man dann neue Möglichkeiten finden, mit so einer Situation umzugehen.

Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Film?
„Unter Blinden“ ist kein Nischenfilm, den man unter dem Motto rezipiert, ich schau‘ halt ein paar Blinden zu, was geht’s mich an. Andy Holzer liefert den roten Faden als Persönlichkeit, die in der Öffentlichkeit steht und sehr spektakuläre Aktionen setzt. Wir zeigen, wie er zu dem Mann wurde, der er heute ist – damals war für die Leute im Dorf der kleine Blinde, heute ist er weltberühmt.

Haben Sie das Gefühl, dass sich blinde Menschen gegenüber den Sehenden generell benachteiligt fühlen?
Nein, nicht unmittelbar. Nicht durch das Defizit – eher durch die äußeren Umstände. Etwa, wenn sie trotz beruflicher Qualifikation keinen Job bekommen. Klar, sie würden gerne sehen, und sie haben auch eine Vorstellung davon, was sehen bedeutet. Aber ob das mit unserem Sehen übereinstimmt, wissen wir natürlich nicht.

Zurück zu Ihnen: Hat das Regieführen das gehalten, was Sie sich von dieser Aufgabe versprochen haben?
Ich muss sagen, es ist der beste meiner Berufe. Ich bin sehr gerne unter Menschen – das ist beim Schreiben schwierig. Ich bin auch sehr gerne auf einem Filmset, und es hat mir wahnsinnigen Spaß gemacht, ein Team zusammenzustellen, das gemeinsam mit mir diesen Film machen wollte. Das kann ich weder als Schauspielerin noch als Autorin.



Kritik
Unter Blinden
Die Dokumentation „Unter Blinden – Das extreme Leben des Andy Holzer“ porträtiert den Osttiroler Bergsteiger, Mountainbiker und Skifahrer, der seit seiner Geburt blind ist, doch seinen eigenen Weg geht und sehr hellsichtige Aussagen zum  Leben trifft.  Mehr...