GESAMTEINDRUCK: „System Error“ ist ein eindrucksvoller Dokumentarfilm über den Glauben von Finanzmagnaten, Konzernmanagern und Politikern an ewiges Wirtschaftswachstum – unbeeindruckt von der Tatsache, dass die Ressourcen der Erde begrenzt sind.
DIE STORY: Der Berliner Filmemacher Florian Opitz bereiste drei Kontinente, um in Gesprächen mit hochrangigen Akteuren des Finanzkapitals einen Einblick in das Denken der Propheten des Wirtschaftswachstums zu bekommen. „System Error“ konfrontiert das Publikum mit der Weltsicht einer fast religiös angehauchten Parallelgesellschaft („Wachstum ist ein Naturgesetz“), der eine Ökonomie ohne ewigen Aufwärtstrend unvorstellbar erscheint.
DIE STARS: Angela Merkel, Ronald Reagan und der junge Donald Trump haben Kurzauftritte (News- und Archivmaterial). Karl Marx wird immer wieder als Thesengeber zitiert. Ansonsten: Keine Stars. Auch wenn sich manche der zu Wort kommenden Magnaten und Finanzjongleure wie Stars ihres Metiers fühlen mögen. Zum Beispiel der Wall-Street-Grande Anthony Scaramucci, der 2017 mit einem skurrilen Zehn-Tage-Intermezzo als Kommunikationschef von Donald Trump Schlagzeilen machte.
Regisseur Florian Opitz wurde für seine Dokumentationen („Der große Ausverkauf“, „Akte D“) schon zwei Mal mit dem deutschen Grimme-Preis ausgezeichnet.
DIE KRITIK: „System Error“ beginnt mit Ultraschall-Bildern eines Embryos und mit einer Feststellung aus dem Off: „Die Natur kennt kein unendliches Wachstum. Für eine Art Wachstum scheint diese Regel allerdings außer Kraft gesetzt. Das Wirtschaftswachstum soll immer weitergehen.“
Soll es das? In den nächsten anderthalb Stunden hört man Sätze wie „Kapitalismus funktioniert nur mit Wachstum“ oder „Eine Gesellschaft ohne Wachstum kann es nicht geben“ oder „Ohne Wachstum können die Staaten ihre Schulden nicht zurückzahlen“. So geht’s dahin – bis hin zur sarkastischen Quintessenz „Die Welt scheint dem Kapital zu klein geworden zu sein.“
Es ist das Verdienst der Doku von Florian Opitz, dass hier die Argumentationsketten der Wachstums-Anbeter so konzentriert und nahtlos verknüpft werden, wie man das sonst kaum jemals erlebt: Der Industrie-Lobbyist spricht ähnliche Worte wie der Hedgefonds-Manager. Der Airbus-Verkäufer will immer mehr Airbusse verkaufen, der brasilianische Soja-Produzent immer mehr Soja (dass seine Äcker eine grüne Wüste entstehen lassen, wo früher der Regenwald wucherte, ist ihm egal).
Nur vereinzelt werden auch Stimmen laut, denen die Wachstums-Sermone unheimlich sind. Mal zaghaft, wie bei einem Börsenreporter („Der Aktienmarkt koppelt sich von der Realität ab“). Und mal lautstark, wie beim britischen Wirtschaftswissenschaftler Tim Jackson: „Was ist dieses Wachstum? Ist es eine Religion, der sie folgen, oder ein Gott, dem sie nachjagen? Ist es ein Virus, der sie befallen hat?“
Aus den spannend anzuhörenden Pros und Contras entsteht eine starke Dokumentation, die zwar keine Lösung für die Grenzen (oder die Grenzenlosigkeit) des Wachstums anbietet, aber intensiv zum Diskutieren und zum Nachdenken anregt. „System Error“ trägt den Untertitel „Wie endet der Kapitalismus?“ Eine Antwort auf dieses
Wie wird allerdings nicht gegeben; stattdessen hört man im Finale ein
Wann: „Das Ende des Kapitalismus ist näher als wir denken.“
Ob das die Finanzmagnaten genauso sehen? Wenn man sie auf der Leinwand so reden hört, lassen sie keinerlei Lust darauf erkennen, ihrem Wachstums-Credo zu entsagen. Die Herren der Fonds und der Konzerne (im ganzen Film kommt keine einzige Frau als Auskunftgeberin vor!) wollen lieber so weitermachen wie bisher. Und sie haben verdammt viel Macht.
IDEAL FÜR: alle, die sich fragen, wann die Welt und die Wirtschaft die Grenzen des Wachstums erreichen.