Schloss aus Glas

Eine Kindheit im siebten Kreis der Hölle


FilmClicks:
„Schloss aus Glas“: Eine schrecklich nette Familie mit ganz armen Kindern © Studiocanal
DIE STORY: „Schloss aus Glas“ ist der Titel eines internationalen Buch-Bestsellers, in dem die US-Journalistin Jeannette Walls die traumatisierenden Erlebnisse ihrer Kindheit beschreibt.  Die Verfilmung bietet Brie Larson, Woody Harrelson und Naomi Watts als Hauptdarsteller auf.
Die kleine Jeanette (Ella Anderson) verbringt ihre jungen Jahre gemeinsam mit ihren drei Geschwistern in einer schwer dysfunktionalen Familie. Ihr Vater Rex (Woody Harrelson) ist ein intellektueller Tüftler, aber auch ein unzähmbarer Alkoholiker, der keinen Job länger als ein paar Monate behalten kann. Ihre Mutter Rose Mary (Naomi Watts) kümmert sich wenig um die Kinder: Sie ist eine verhuschte und egozentrische Person, die sich am liebsten auf die Malerei konzentriert.
Die Kinder wachsen in bitterer Armut auf und müssen immer wieder die Launen des Vaters ertragen, der im Rausch zu Jähzorn und Gewaltausbrüchen neigt. Die Eltern suggerieren den Kids, in einer idealen Welt zu leben. Diese hat, real betrachtet, freilich viel mit einem Gefängnis zu tun, denn der Vater lässt seinen Sprösslingen keine Freiheit, das Leben außerhalb der Familie zu erproben.
Folglich planen die Kids, wenn sie das Teenager-Alter erreichen, den Ausbruch. Jeanette Walls schafft es als junge Erwachsene (nun gespielt von Brie Larson), als Journalistin in New York Karriere zu machen. Die Schatten der Vergangenheit lassen sie allerdings auch dort nicht los.

Der verstörte Rex Walls (Woody Harrelson) ist seinen Kindern kein guter Vater © Studiocanal

DIE STARS: Brie Larson gewann 2016 für ihre Rolle im Geiseldrama „Raum“ den Oscar als beste Schauspielerin. Woody Harrelson (demnächst im sensationellen Thriller „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ zu sehen) und Naomi Watts („21 Gramm“, „King Kong“) zählen ebenfalls zur Hollywood-Elite.  

Die erwachsene Jeanette Walls (Brie Larson, r.) begegnet ihrer Mutter (Naomi Watts) in New York © Studiocanal

DIE KRITIK: Die Frage, „Mama, was gibt es heute zu essen?“ kennt jedes Kind. Bei der kleinen Jeanette Walls ist in der Frage allerdings die Position des was verrutscht: „Mama, gibt es heute was zu essen?“ Und sie weiß schon aus magenknurrender Erfahrung, dass sie als Antwort nicht automatisch ein „Ja“ erwarten darf.
Jeanette und ihre Geschwister wachsen in einer Welt auf, die an den siebten Kreis der Hölle gemahnt. Ihrem psychisch angeknacksten Vater dient die Familie als hermetisch abgeschlossene Hülle, in der er sich vor der Welt verstecken kann, mit deren Anforderungen er nicht zurechtkommt.  Der Mann ist aggressiv und wehleidig zugleich.
Die Kids werden mit größenwahnsinnigen Phantasien ihres Erzeugers konfrontiert, in denen er Luftschlösser baut oder über ein „Schloss aus Glas“ referiert. Doch sie dürfen von ihrem Daddy weder Vertrauen noch Solidarität erwarten. Bezeichnend ist eine Szene, in der Rex Walls seiner Tochter Jeanette das Schwimmen beibringen will. Er trägt sie hinaus ins tiefe Wasser und lässt sie dann einfach fallen. „Geh‘ unter oder stirb‘“, herrscht er das panisch herumrudernde Mädchen an.
Dass Jeanette und ihre Geschwister angesichts solcher Eltern nicht untergehen (die exzentrische Mutter bleibt eine Randfigur, die sich kaum in die Erziehung einmischt), grenzt an ein Wunder.
Dieses Wunder bleibt der Verfilmung des Millionen-Sellers „Schloss aus Glas“ allerdings versagt. Das Drama, das in den USA an den Kinokassen floppte, marschiert schnurstracks in Richtung Untergang.
Dafür trägt ganz wesentlich der Nachwuchsregisseur Destin Daniel Cretton Verantwortung. Der mochte der Versuchung nicht widerstehen, den harten Realitäten der Story mit einer  Familienpackung Schmalz & Kitsch zu begegnen.
Der Film ist bisweilen unerträglich melodramatisch. Die Schauspieler balancieren  mit wildem Overacting an der Grenze zur Peinlichkeit.  Der absolute Tiefpunkt wird erreicht, wenn eine Szene mit einem pathosgeschwängerten Vortrag des Weihnachtslieds „Oh Tannenbaum“ (auf Englisch und mit Opern-Tremolo)  begleitet wird.
Im Finale versucht „Schloss aus Glas“ noch die Wendung zu einem tränentriefenden versöhnlichen Ausklang zu nehmen: Die nun erwachsenen Kids versichern dem sterbenden Vater, ihre Kindheit sei irgendwie eh ganz prima gewesen.  Und das nach all dem Leid, der Unterdrückung und Peinigung? Die Filmemacher müssen ihr Publikum für sehr naiv halten, um so einen Schluss anzubieten.
Der Zufall will es, dass in Österreichs Kinos parallel zu „Schloss aus Glas“ auch ein heimischer Film über eine schwierige Kindheit läuft: „Die beste aller Welten“ von Adrian Goiginger. Der Vergleich macht uns sicher: Das eindringliche Drama aus Österreich ist dem Kitschpaket aus Hollywood um Lichtjahre überlegen.
 
IDEAL FÜR: die LeserInnen von „Schloss aus Glas“ – möglicherweise.






Trailer
LÄNGE: 127 min
PRODUKTION: USA 2017
KINOSTART Ö: 22.09.2017
REGIE:  Destin Daniel Cretton
GENRE: Biografie|Drama
ALTERSFREIGABE: ab 12


BESETZUNG
Brie Larson: Jeanette Walls
Ella Anderson: Jeanette Walls (als Kind)
Woody Harrelson: Rex Walls
Naomi Watts: Rose Mary Walls