DIE STORY: Kinder im Krieg: „Maikäfer flieg“, die Verfilmung des Bestsellers von Christine Nöstlinger, schildert die Zeit um das Kriegsende 1945 in Wien aus der Sicht der achtjährigen Christine (Zita Gaier).
Zu Beginn fallen noch Bomben. Nazis patroullieren durch die Stadt. Dann enden die Kämpfe. Die Nazis ziehen sich zurück (oder wollen keine mehr gewesen sein). Die Russen ziehen ein.
Christine verfolgt die Veränderungen mit großen, interessierten Kinderaugen. Sie erträgt ihre ständig genervte Mutter (Ursula Strauss), sie schmiegt sich an den sanften Vater (Gerald Votava), der aus dem Lazarett abhaute, bevor er zum letzten Gefecht abkommandiert werden konnte. Und sie schließt Freundschaft mit Cohn (Konstantin Khabensky), einem wunderlichen Soldaten und Koch der Roten Armee.
DIE STARS: Mit der mittlerweile zehnjährigen Zita Gaier fand die Produktion für die Hauptrolle von „Maikäfer flieg“ ein Naturtalent mit enormer schauspielerischer Begabung.
Um Zita herum agieren Spitzenkräfte der österreichischen Szene wie Ursula Strauss, Gerald Votava, Heinz Marecek, Krista Stadler oder Hilde Dalik. Konstantin Khabensky, der den russischen Soldaten Cohn spielt, stand im Action-Hit „Wanted“ schon mit Angelina Jolie vor der Kamera.
Die Wienerin Mirjam Unger, Regisseurin und Co-Autorin, hat nicht nur als Filmemacherin, sondern auch als Radio-Moderatorin einen bekannten Namen.
DIE KRITIK: „Ich kann mich nicht erinnern, dass einmal kein Krieg war.“ So lautet der erste Satz der kleinen Christine in „Maikäfer flieg“. Es ist ein verblüffender Spruch, wird er doch von einer Wienerin gesprochen. Und dass im friedlichen Wien Krieg herrschen könnte, daran können sich nicht mal jene erinnern, die jetzt ihren 70. Geburtstag feiern.
Doch damals, im Frühjahr 1945, war Wien utopisch weit entfernt davon, die „lebenswerteste Stadt der Welt“ von heute zu sein. Zu Beginn des Films hört man die Kampfflugzeuge und den Donner der detonierenden Bomben. Man sieht die Angst in den Gesichtern der Menschen, die im Luftschutzkeller kauern.
Diese Angst setzt sich fort, wenn der Alarm vorbei ist: Steht das eigene Haus noch? Stehen irgendwo Nazi-Patrouillen, die auch jetzt, wo ihre Niederlage längst besiegelt ist, noch immer die Macht besitzen, zu töten? Und: Wie wird es in ein paar Tagen sein, wenn die russischen Besatzer einmarschieren?
Bei allem Leid, bei aller Dramatik: „Maikäfer flieg“ strahlt eine erstaunliche Gelassenheit aus. Die entspricht dem Blickwinkel von Christine. Die Achtjährige neigt nicht zur Panik, sondern zur Neugier. Egal, was rundum passiert: Sie gestaltet sich ihre Welt als persönlichen Abenteuerspielplatz. Respekt zeigt das Mädchen noch am ehesten vor der strengen Mutter, wenn sie wieder einmal etwas angestellt hat.
Die Erwachsenen stehen natürlich unter Strom. Christines Mutter ist vom Krieg derart mitgenommen, dass sie das Leben (fast) nur noch keifend erträgt. Raue Schale, weicher Kern: Ursula Strauss spielt diese Wesenszüge perfekt übellaunig aus. Christines Vater, der Uhrmacher (wunderbar feinfühlig: Gerald Votava), steht viel liebenswürdiger da. Allerdings steht er auch mit dem Rücken zur Wand. Zu Beginn muss er sich vor den Nazis fürchten (weil er aus dem Lazarett desertierte), und später vor den Russen (weil er bei der Wehrmacht war).
Alles ist in Bewegung. Da ist die adelige Villenbesitzerin Frau von Storch (kalkuliert nobel: Bettina Mittendorfer), die erst ihrem gefallenem Mann nachtrauert und dann einem russischen Leutnant. Der hat sich nicht nur in ihrem Haus, sondern auch in ihrem Herzen einquartiert. Und da ist vor allem der russische Soldat Cohn (Konstantin Khabensky). Mit seiner linkischen Art ist er in der eigenen Truppe ein Außenseiter. Doch zwischen ihm und Christine entwickelt sich eine tiefe Freundschaft.
Hier steckt vermutlich die wichtigste Botschaft des Romans und seiner Verfilmung: Wenn die Menschen einander nicht mehr mit der Waffe in der Hand gegenüberstehen, sondern mit den Worten des Dialogs, dann können auch Feinde auf einmal Gemeinsamkeiten finden. Und sich aneinander gewöhnen. Nur die übereifrigen Nazis, die der verlorenen Diktatur nachtrauern, bleiben außen vor.
Regisseurin Mirjam Unger, die auch gemeinsam mit Sandra Bohle das Drehbuch schrieb, inszeniert dieses vom Krieg umtoste Kammerspiel mit Tempo, mit großer Sensibilität und (wo immer möglich) auch Humor. Von ihrer famosen Personenführung profitiert ganz besonders die kleine Zita Gaier, die sich bei ihrem Filmdebüt als Christine als energiegeladenes Top-Talent entpuppt.
Auch die erwachsenen Darsteller, unter ihnen Krista Stadler, Heinz Marecek, Hilde Dalik und Konstantin Khabensky als scheuer Cohn, füllen ihre Figuren mit jeder Menge Leben. Kamerafrau Eva Testor illustriert das Drama mit prallen Bildern, die den Kontrast zwischen der grauen Zerstörung und dem frühlingshaft üppigen Grün neuer (Friedens-)Hoffnung fast spielerisch leicht herausarbeiten.
In Summe: Ein starker Film, der gewiss zu den Höhepunkten des österreichischen Kinojahres 2016 zählen wird. FilmClicks-Empfehlung: Nichts wie hin.
IDEAL FÜR: Nöstlinger-Fans und für alle, die erspüren wollen, wie sich Wien am Kriegsende angefühlt haben mag.