Wim Wenders über…
...seine Anfänge als Fotograf:
„Ich habe mit sechs Jahren begonnen, zu fotografieren. Damals war Schwarz-Weiß das Einzige, was man sich leisten konnte; Farbfilme waren viel teurer. Ich lernte dann auch, die Bilder zu entwickeln, das war billiger. Abzüge habe ich jedoch kaum gemacht. So hatte ich nie etwas zu zeigen, außer Kontaktbögen. Aber ich liebte den Akt des Fotografierens als Verstärkung des Sehens und des Erinnerungsvermögens. Das Fotografieren gehörte zu meinem Leben wie Atmen, Kaffee trinken oder Musik hören.“
…über seine Vorliebe für Sofortbildkameras:
„Dann kam das Polaroid-Sofortbild. Es war derselbe Akt des Fotografierens, doch man bekam ein kleines Objekt. Damals war das Science-Fiction, dass sich das Bild selbst entwickelte. Ein früher Zwitter zwischen digital und analog. Ein schöner, unschuldiger, poetischer Zwischenzustand der Fotografie. Polaroids waren ein sehr soziales Medium, das war für einen wie mich ein großer Fortschritt. Man konnte die Bilder in ein Tagebuch oder an den Eisschrank kleben. Fast zehn Jahre lang habe ich hauptsächlich Polaroids gemacht. Der Großteil der Aufnahmen ist vergessen, doch viele habe ich in Zigarrenkisten aufgehoben, weil ich damals Zigarren rauchte, Gott sei Dank. Da haben wir 3.500 Bilder gefunden. Und es entstand die Idee, daraus eine Ausstellung zu machen.“
…die Wirkung seiner Fotografien:
„Wenn man über meine Fotografien sagt, dass sie eine melancholische Weltsicht zeigen, dann ist das nicht falsch. Ich bin ein hoffnungsloser Optimist, blicke aber auf eine Welt, die nicht so schön ist. Daraus ergibt sich Melancholie. Ich habe auch die Neigung, Dinge aufzunehmen, die dabei sind, zu verschwinden. Fotografie hat ja die Eigenschaft, zu konservieren.“
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…Wahrheit und Illusion bei Fotografien:
„Polaroid-Sofortbilder waren sehr kunstlos, nicht richtig belichtet, aber zu 100 Prozent unbearbeitet. Was man sah, war ein Ebenbild des Fotografierten. Das hatte einen ganz starken Wahrheitsbezug. In der digitalen Fotografie hat man sich mittlerweile daran gewöhnt, die Files zu bearbeiten. Man glaubt keinem Bild, dass es genau das wiedergibt, was man gesehen hat. Der Zusammenhang zwischen Wahrheit und Fotografie ist verlorengegangen. Aber die analoge Fotografie ist der digitalen nicht überlegen, denn auch analoge Bilder kann man manipulieren. Ich persönlich hänge an der Idee, dass die Fotografie die Welt wiedergibt und nicht eine neue Realität schafft.“
…analoge und digitale Vorlieben beim Fotografieren und beim Film:
„Beim Fotografieren war ich lange Zeit der letzte Mohikaner, der noch mit Negativfilmen arbeitete. Als dann nach Reisen mehrmals die Negative kaputt waren, weil sie unter der Röntgenkontrolle am Flughafen litten, sah ich widerwillig ein, dass ich vielleicht doch digital fotografieren muss. Als Filmemacher habe ich das digitale Medium hingegen von Anfang an geschätzt und nutzen gewollt. Wir setzten die allerersten Prototypen von High-Resolution-Kameras schon ein, als selbst die Entwickler mit ihren Kameras noch nie etwas gemacht hatten. Eine Musik-Dokumentation wie ,Buena Vista Social Club‘ zum Beispiel wäre auf Celluloid nicht realisierbar gewesen, denn jede Filmkamera besitzt ein Eigengeräusch und wir hätten immer wieder die Filme wechseln müssen. Digital konnten wir bei den Szenen im Tonstudio 24 Stunden pro Tag drehen.
…seine Hassliebe zu Videos:
„Ich habe ein sehr gespaltenes Verhältnis zu Videos. Die ersten VHS-Cassetten kamen am Ende der Siebziger Jahre auf, und ich habe mich endlos geschämt, wenn jemand meine Filme so anschaute. Die Bildqualität fand ich eine Zumutung. Das Fernsehen sah ich damals als Feind des Kinos. Video – das war die Krätze. Doch 1979, in ,Nick’s Film – Lightning Over Water‘, haben wir die Videotechnik selbst eingesetzt, und das belehrte mich eines Besseren. Wir drehten die letzten Lebenswochen von Nicholas Ray, doch auf dem 35-Millimeter-Filmmaterial wirkte alles beschönigt. Die Video-Aufnahmen hingegen waren erschütternd, sie zeigten die krasse Wahrheit von Nicholas Rays Krebserkrankung. Das gab dem Film eine andere Wahrheit. Da lernte ich, dass das verfluchte Scheißmedium Video Dinge kann, die der Film nicht kann. Und ich fing an, mit diesem Medium Frieden zu schließen.“
…die Konservierung seiner Filme:
„Meine Filme gehören nicht mehr mir, sondern einer Stiftung. Das heißt, die Filme gehören sich selbst, alle Erlöse werden zurückinvestiert. Inzwischen haben wir 18 Filme restauriert, und einige werden noch folgen. Die einzig mögliche Art des Restaurierens ist es, vom Original-Negativ auszugehen, sonst kann man es auch bleiben lassen. Die Restaurierung soll den Film nicht schöner machen. Die Aufgabe ist, es, den Film möglichst so aussehen zu lassen, wie er am ersten Tag in der ersten Kopie aussah. In einer 4K-Auflösung sieht man dann jedes einzelne Korn des Negativs. Im Negativ liegt die Wahrheit des Films. So kann man die Seele des Films original wiedergeben.“
…sein Projekt, einen Film zum Thema Frieden zu realisieren:
„Ich recherchiere gerade über das Phänomen Frieden, das unterschätzteste Phänomen der Weltgeschichte. Es gibt unglaublich viele Geschichten und Filme über den Krieg. Jeder interessiert sich für Konflikte – niemand für Konfliktfreiheit. Ist der Frieden langweilig? In Europa haben wir jetzt die längste Friedensphase unserer Geschichte, aber viele Zeitgenossen wollen neue Grenzen und Konflikte, die in Europa immer zu Blutvergießen führten. Der Krieg ist – auch – eine Industrie, der Frieden nicht, Wir müssen eine Friedensindustrie erfinden.“
Info:
Ausstellung: „Wim Wenders. Frühe Photographien 60er – 80er Jahre“. Bis 9. Juni 2019
Retrospektive: „Wim Wenders – Weltreisender“. Bis 28. Februar 2019
Ort: Metro Kinokulturhaus, Wien 1., Johannesgasse 4
Programm:
www.filmarchiv.at