Österreich-Kinocharts 2014

Die Filme des Jahres: „Das finstere Tal“ und „Streif – One Hell of a Ride“

02.01.2015
von  Gunther Baumann
„Streif – One Hell of a Ride“, erst seit 25. Dezember im Kino, eroberte Rang 5 der Jahres-Charts © Thim Film
Der Alpen-Western „Das Finstere Tal“ siegte vor der Doku „Alphabet“ und der Groteske „Bad Fucking“: Das ist der Zieleinlauf bei den Jahres-Charts des österreichischen Films 2014. Alle drei Produktionen lockten mehr als 100.000 Kinobesucher in Österreich an; die Hürde für das Austria Ticket (ab 80.000 Zuschauer) nahmen sie also locker. Auch der viertplatzierte Film, „Die Mamba“,  holte sich das Austria Ticket. Die wahre Sensation ist aber der Blitzstart der Sport-Doku „Streif –  One Hell of a Ride.“ Der Film lief erst am 25. Dezember an und lockte in seiner ersten Woche bereits 65.000 Fans in die Kinos. Das bedeutet Rang fünf in den Jahres-Charts. Hier die komplette Top Ten der Besucher-Hitparade, Kategorie: Österreichische Filme in Österreichs Kinos.


1
Andreas Prochaska: „Das finstere Tal“

Kinostart: 14. Februar 2014
Besucher: 154.721

„Das Adrenalin war immer auf Anschlag“, sagt Regisseur Andreas Prochaska über die Herausforderung, im eisigen Osttiroler Winter einen mit Action aufgeladenen Alpen-Western zu drehen. Seit der Berlinale-Premiere von „Das finstere Tal“ sind bei Prochaska wohl eher die Glückshormone im Einsatz. Das kühle Drama erntete nicht nur begeisterte Kritiken, sondern wurde auch der mit Abstand meistbesuchte österreichische Kinofilm des Jahres 2014. Bei den Deutschen Filmpreisen wurde die österreichisch-deutsche Koproduktion mit acht Auszeichnungen belohnt – das war Spitze. Und Prochaska hat einmal mehr bewiesen, dass er in allen möglichen Genres Qualität und Publikumserfolg verbindet. Prochaska kann nicht nur Horror („In drei Tagen bist du tot“), Komödie („Die unglaubliche Entführung der Frau Elfriede Ott“) und Krimi (die grandiose ORF/ZDF-Serie „Spuren des Bösen“ mit Heino Ferch) – er kann auch Western. Was kommt als Nächstes? Science Fiction?
 


2
Erwin Wagenhofer: „Alphabet“

Kinostart: 11. Oktober 2013
Besucher: 120.006

„Alphabet“ stand auch in den Jahres-Charts 2013 an zweiter Stelle. Die Dokumentation, im Herbst gestartet, zog bis Jahresende knapp 106.000 Besucher ins Kino und packte dann 2014 noch mal gut 14.000 drauf. Endstand: Exakt 120.006 Zuschauer (nach den Zahlen des Österreichischen Filminstituts). Mittlerweile ist „Alphabet“ längst auch als DVD ein Hit. Der Wiener Regisseur Erwin Wagenhofer  hatte schon mit „We Feed The World“ (2005) und „Let’s Make Money“ (2008) bewiesen, dass man mit Dokumentationen in Blockbuster-Regionen vorstoßen kann. Sein jüngstes Werk „Alphabet“ ist eine brillante und sehr kritische Analyse des internationalen Schul- und Bildungswesens. Dort hört man provokante, aber vermutlich treffende Thesen wie diese: „98 Prozent unserer Kinder kommen hochbegabt zur Welt. Nach der Schule sind es nur noch zwei Prozent.“


 
3 Harald Sicheritz: „Bad Fucking“
Kinostart: 20. Dezember 2013
Besucher: 113.234

Die Groteske „Bad Fucking“ (der Titel ist natürlich ein Ortsname und kein Hinweis auf schlechten Sex!) liefert ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie weit der Geschmack von Journalisten und Kinopublikum auseinanderliegen kann. Die meisten Kritiker haben die schrille Dorf-Groteske heftig zerzaust. Auf den kommerziellen Erfolg des Films hatte das, wie man am Rang drei in den Austro-Charts sieht, kaum Einfluss. Regisseur Harald Sicheritz, der 1999 mit „Hinterholz 8“ den größten Erfolg eines österreichischen Films seit Jahrzehnten einfuhr  (knapp 650.000 Zuschauer),  setzte auf den groben Klotz der Story einen groben Keil. Die schräge Österreich-Satire (nach dem Roman von Kurt Palm) wälzt sich einem apokalyptischen Finale entgegen. Bewährte Komödien-Kräfte wie Wolfgang Böck, Michael Ostrowski, Adele Neuhauser oder Martina Ebm dürfen nach Herzenslust outrieren.


 
4 Ali Samadi Ahadi: „Die Mamba“
Kinostart: 10. April 2014
Besucher: 89.898

Michael Niavarani ist gut. Christoph Maria Herbst („Stromberg“) ist gut. Wie gut müssen da erst… So (oder so ähnlich) könnte das geheime Konzept lauten, das für die Thriller-Komödie „Die Mamba“ entworfen wurde. Mit knapp 90.000 Zuschauern erreichte der Film einen respektablen Publikums-Erfolg. Doch wir wollen mal annehmen, dass die Produzenten in Österreich viel, viel mehr erwartet haben. Dass  das Lustspiel mit Österreichs Top-Kabarettisten Niavarani nicht zum Top-Hit aufstieg, dürfte an den unübersehbaren Schwächen dieser Agentenfilm-Parodie liegen. Die Story um einen braven Keksfabrik-Geräuschdesigner (Niavarani), der einem gefürchteten Killer (Niavarani) zum Verwechseln ähnlich sieht, führt zwar zu internationalen Schauplätzen und großen Verwicklungen,  ist aber ziemlich schlicht gestrickt. Und Christoph Maria Herbst als CIA-Agent wird pointenmäßig an der viel zu kurzen Leine geführt.
 


5 Gerald Salmina & Tom Dauer: „Streif – One Hell of a Ride“

Kinostart: 25. Dezember 2014
Besucher: 65.000

Irgendwie war es ja zu erwarten, dass eine Doku über die Kitzbüheler Streif, die gefährlichste Abfahrts-Strecke der Welt, im Ski-narrischen Österreich voll einschlagen würde. Aber 65.000 Zuschauer in nur einer Woche – damit haben die wenigsten gerechnet. Denn mit solchen Zahlen sind in der Regel auch große Hollywood-Blockbuster gut bedient. Freilich bietet die Streif-Produktion von Gerald Salmina und seinem Co-Regisseur Tom Dauer ganz großes Kino. „,Streif – One Hell of a Ride‘ findet knapp zwei Stunden lang jede Menge Belege, warum diese Strecke der blanke Wahnsinn ist“, schrieb Peter Beddies in der FilmClicks-Kritik. „Es darf bezweifelt werden, dass man je wieder näher an die Abfahrer herankommen wird.“


 
6 Thomas Dirnhofer: „Cerro Torre – Nicht den Hauch einer Chance“
Kinostart: 21. März 2014
Besucher: 57.053

Nach der „Streif“ noch ein Felsen-Film: Die Bergsteiger-Doku „Cerro Torre“ ist ebenfalls einer der Überraschungshits des österreichischen Kinojahres. Regisseur Thomas Dirnhofer folgt mit mutigen Kameraleuten dem mutigen Innsbrucker Extremkletterer  David Lama. Der hat es sich  in den Kopf gesetzt, den Anden-Gipfel des Cerro Torre als erster Freikletterer zu besteigen. Der Berg in Patagonien, wegen seiner schlanken Form als „Nagel aus Granit“ bezeichnet, gilt mit seinen steilen Felshängen, die oftmals vereist sind, als eine der größten Herausforderungen für Alpinisten. Der spannende Film zeigt das Scheitern, das Warten und schlussendlich den Triumph von David Lama und seinem Kletter-Partner Peter Ortner. Die Aufnahmen sind spektakulär. Die Frage nach dem theoretischen Überbau solch einer lebensgefährlichen Expedition bleibt eher im Dunkeln: „Jeder will neue Maßstäbe setzen“, sagt David Lama. Na dann…


 
7 Ernst Gossner: „Der stille Berg“
Kinostart: 14. März 2014
Besucher: 39.667

Der nächste Austro-Film, in dem die Berge eine wichtige Funktion haben. Diesmal aber wieder ein Spielfilm, ein Kriegsdrama, das 1915 in Tirol angesiedelt ist. Der Brite William Moseley („Die Chroniken von Narnia“) schlüpft in die Montur eines Tirolers namens Anderl, der sich in eine Italienerin verliebt, als Soldat jedoch gegen die Italiener kämpfen muss. Regisseur Ernst Gossner holte mit Claudia Cardinale eine Filmlegende für einen Kurzauftritt vor die Kamera. Der Film ist eine ehrenwerte Anklage gegen die mörderische Absurdität des Krieges, leidet aber unter einer banalen Story. Die holzschnittartigen Figuren haben nie die Chance, Dynamik und Tiefgang zu entwickeln. Trotz dieser Schwächen wurde „Der stille Berg“ zum regionalen Hit, der sein Publikum fand.


 
8 Dirk Regel: „Tom Turbo – von  0 bis 111“
Kinostart: 20. Dezember 2013
Besucher: 30.921

Der „Tom Turbo“-Film basiert auf einer Story von Thomas Brezina, der bei den Verkaufszahlen seiner Kinderbücher eigentlich immer den Turbo eingeschaltet hat. Eine Zuschauerzahl von knapp 31.000 Besuchern ist da eher eine Enttäuschung als ein Hit, bedenkt man, dass ein gelungener heimischer Kinderfilm wie Stefan Ruzowitzkys „Hexe Lilli“ (2009) insgesamt 181.000 Fans ins Kino lockte.  Das Attribut „gelungen“ trifft auf „Tom Turbo“ allerdings nicht zu. Dies ist ein hektischer, lärmend lauter und recht unsensibler Kinderfilm. Die Helden und Schurken sind eindimensionale und daher langweilige Figuren. Probleme werden lieber mit Technik als mit Grips gelöst. So liefert der Film zwar viele Tricks, doch wenig Zauber.


 
9 Frederick Baker: „…und Äktschn!“
Kinostart: 6. Februar 2014
Besucher: 23.911

Dieser Film verdankt seinen Platz in der Top Ten vor allem seinem Hauptdarsteller. Kabarett-Star Gerhard Polt spielt in seinem neuen Kino-Stück einen Amateurfilmer, dem der Sinn nach einer Produktion über den privaten Adolf Hitler steht. Mit sturer Beharrlichkeit überredet Polt als Film-Dilettant aus der Provinz seine der Schauspielkunst nicht mächtigen Freunde, als Spitzen-Nazis aufzutreten.  Ein fulminantes Ensemble mit Gisela Schneeberger, Robert Meyer, Nikolaus Paryla und Michael Ostrowski leistet Großes, um den Deppen hervorzukehren.  Zwischen die Pointen haben Polt und sein Ko-Autor/Regisseur Frederick Baker aber viel filmische Gemächlichkeit gesetzt, welche die Geduld der Betrachter auf die Probe stellt.
 


10 Ulrich Seidl: „Im Keller“

Kinostart: 26. September 2014
Besucher: 17.479

Bedenkt man, welchen intensiven Medien-Wirbel Ulrich Seidl mit seiner Doku „Im Keller“ entfachte, so fällt die Besucherzahl von 17.479 Zuschauern erstaunlich niedrig aus. Woran das liegt, ist schwer auszumachen. Die Schlagzeilen um zwei ÖVP-Gemeinderäte, die vor Seidls Kamera in einem Keller voller Nazi-Devotionalien „Ein Prosit der Gemütlichkeit“ anstimmten, sorgten kurz vor der Premiere für einen mächtigen Promotion-Schub. Und der Film, der ans Licht rückt, was Österreicher im Keller so treiben (Singen, Schießen, Bumsen) hat durchaus einen guten Unterhaltungswert. Doch vielleicht klappte die Mundpropaganda nicht – oder sie verkehrte sich ins Gegenteil. Denn „Im Keller“ ist nunmal kein tiefliegendes und tiefgründiges Österreich-Psychogramm, sondern eine Freak-Show, in der mit Bedacht ausgewählte Exhibitionisten ihre absonderlichen Leidenschaften vorführen.

Teile dieses Beitrags sind im Heft Nr. 1/2015 des FilmClicks-Partnermagazins „celluloid“ erschienen.