Schlange und Schüsse. In der ersten Szene sieht man eine Riesenschlange in einem Terrarium, die gerade ein lebendes Meerschweinchen zum Fraß vorgeworfen bekommen hat. Der nächste Keller ist zum Schießen da, doch zunächst einmal erklingt Musik. Singend vorgetragen vom Schützen persönlich. Der erzählt gern von der großen Opernkarriere, die ihm verwehrt blieb. Dann erteilt er seinen schießfreudigen Freunden Anweisungen. „Der Finger ist das Gefährlichste, was es gibt“, sagt er. Jener Finger nämlich, der schon am Abzug zuckt, wenn man noch gar nicht schießen will. Kann üble Folgen haben. Doch die Waffenfreunde ballern dann eh nur auf Pappkameraden, eine Salve nach der anderen. Das ist strafrechtlich ohne Belang.
„Im Keller“. Ulrich Seidl hat nach seiner „Paradies“-Trilogie nun einen Film über Freizeit-Beschäftigungen gedreht. „Ich habe vor Jahren festgestellt, dass die Österreicher gern in ihren Kellern sind“, sagt er. Dass es bei einem Filmemacher seines Kalibers nur am Rande um Spielzeugeisenbahnen oder Fitnessgeräte gehen würde, war abzusehen. Seidl: „Wir wissen, dass der Keller in unserem Unterbewusstsein ein Ort der Dunkelheit, der Angst, des Missbrauchs und des Einsperrens ist.“ Diese dunklen Seiten stellt er in seinem neuen Werk aus: „Es ist kein Dokumentarfilm, sondern ein Film, der aus der Wirklichkeit schöpft."
Aus der Wirklichkeit geschöpft ist etwa der freundliche Blasmusikant aus dem Burgenland, der gern dem Führer ein Ständchen spielt. In seinem Keller prangt, neben anderen Nazi-Devotionalien, nämlich ein gemalter Adolf Hitler in Öl. Gern kommen auch des Bläsers Freunde, um nach der Probe noch gemeinsam einen zu heben. „Ein Prosit der Gemütlichkeit.“
Sado-Maso. Aus der Wirklichkeit gegriffen ist ebenfalls der dicke Security-Mann eines großen Theaters, den man im Eigenheim pudelnackt den Boden schrubben sieht. Auf Anweisung seiner Ehefrau („ich liebe ihn abgöttisch“), mit der er ein raues Sado-Maso-Dasein pflegt. Was die Dame dann im Keller mit den Hoden des Gemahls anstellt, tut schon beim Zuschauen weh.
Bei den Obsessionen der Männer im Film ist hauptsächlich Gewalt im Spiel (das Schießen, die Nazi-Ideologie, die Trophäensammlung eines Großwild-Jägers). Bei den Frauen geht es entweder um neurotisch überspannte Mütterlichkeit oder um Sex (neben der Sadistin treten auch eine Masochistin und eine Prostituierte auf). Junge Menschen kommen „Im Keller“ höchstens als Randfiguren vor, attraktive Menschen gar nicht.
Panoptikum. Diese Konzentration auf das Düstere verleiht dem Film, der als schaurig-komische Groteske beginnt, mit der Zeit den Eindruck eines Panoptikums, in dem allerhand Monströsitäten ausgestellt werden. Bald hat man das Strickmuster durchschaut. „Im Keller“ ist eine Art Freak-Parade, der man schwerlich etwas Allgemeingültiges abgewinnen kann (will man nicht davon ausgehen,
alle Österreicher seien so).
Eine reine Negativ-Auslese also? Ulrich Seidl sieht das anders: „Das sind keine Figuren, über die man sich lustig machen kann, sondern durchschnittliche Menschen, die ihre Obsessionen vor der Kamera ausüben. Es geht mir nicht darum, jemanden als Ekel oder als böse hinzustellen. Rassismus und Sexismus stecken auch in uns, wir haben unsere eigenen Abgründe. Das ist das Gefährliche.“
„Im Keller“ wurde nur mit Österreichern gedreht. Ist das, was man sieht, also typisch österreichisch? Seidl: „All die Arten der Sehnsüchte und der Obsessionen, die ich zeige, gibt es überall. Das trifft auf jeden Menschen zu.“