Filmfest Venedig 2016

Totes Zebra - stolze Jäger

03.09.2016
von  Gunther Baumann
„Safari“: Die neue Dokumentation von Ulrich Seidl hatte in Venedig Weltpremiere © Stadtkino Verleih
Die Szenen mit dem toten Zebra und der toten Giraffe waren manchen Zuschauern zu viel: Nicht alle Besucher beim Filmfest Venedig sahen die Weltpremiere von Ulrich Seidls neuer Doku „Safari“ bis zum Schluss. Doch alle Anderen spendeten bei der Gala am 3. September minutenlang Applaus. Seidls kühler, aber auch blutiger Film über Großwildjäger in Afrika wurde am Lido ein voller Erfolg. Auch ein zweiter Film mit starker Österreich-Beteiligung, das Bergdrama „Die Einsiedler“ des Südtirolers Ronny Trocker, bekam in Venedig viel Beifall und Anerkennung.
„Safari“: Auf der Pirsch - Großwildjagd in Afrika © Stadtkino Verleih

Safari

Genre: Dokumentation
Regisseur: Ulrich Seidl (Österreich)
Star-Faktor: Hoch (Ulrich Seidl ist einer der weltweit angesehensten Filmemacher aus Österreich)
Venedig-Premiere: Außer Konkurrenz
Großwildjagd ist ein Reizwort, das weltweit heiße (und meist ablehnende) Reaktionen hervorruft. Ulrich Seidl geht das Thema in seiner Doku „Safari“ sehr unemotional und analytisch an. Der Wiener Regisseur begleitet Großwildjäger aus Deutschland und Österreich auf ihren Beutezügen durch Afrika.
Die Kamera ist dabei, wenn die Jagdtouristen ihre Waffen auf große Tiere richten; bis hin zu Zebra und Giraffe. Die Kamera weicht auch nicht aus, wenn die Tiere dann fachmännisch und blutig zerlegt werden. Die Bilder eines schwarz-weiß-blutroten Zebrafells oder einer toten Giraffe, aus der die Gedärme herausquellen, sind nichts für zarte Seelen.
Zwischendurch kommen, sehr ausführlich, die Jäger selbst zu Wort, um ihr Hobby und ihre Beweggründe zu erläutern. Sie lesen einander Preislisten für Abschüsse vor. Sie erzählen, welches Tier sie gern einmal schießen würden (Elefant?) und welches eher nicht (Leopard!). Sie fachsimpeln über verschiedene Gewehr-Modelle und deren Vorzüge. Nur eines können (oder wollen) sie nicht plausibel erklären: Was denn nun wirklich die Faszination für sie ausmacht, ein ahnungsloses Tier in die ewigen Jagdgründe zu befördern.
Ulrich Seidl bedrängt seine Protagonisten nicht. Er lässt die JägerInnen einfach sprechen. Wer nicht selbst zur Zunft der Jäger zählt, wird den Film vermutlich mit einem Gefühl von gruseliger Verwunderung aufnehmen. Möglicherweise auch mit Zorn. Oder sogar mit Verständnis. Der Film transportiert keine eindeutige Botschaft. Die muss jeder Betrachter für sich selbst finden.
Wie schon in vielen Seidl-Filmen zuvor, prägt die Bildsprache von Kameramann Wolfgang Thaler das Projekt. Mal steht die Kamera in langen Einstellungen still, dann wieder nimmt sie in hektischer Bewegung die fiebrige Aufregung der Jäger auf. Beides zusammen ergibt einen kräftigen visuellen Rhythmus, der dem Film zusätzliche Dimensionen verleiht.
In einer Hinsicht allerdings sind Seidl wie Thaler machtlos. Dann, wenn die JägerInnen beginnen, über die Einheimischen in Namibia und Südafrika zu reden. Da entströmen ihnen nur Sätze von trivialer Peinlichkeit („der Schwarze läuft schneller als der Weiße. Wenn er will“). Da ist es dann zum Rassismus nicht mehr fern.
Kinostart: 16. September 2016
Kinochancen: Hoch. Die Filme von Ulrich Seidl haben stets ein starkes Arthaus-Stammpublikum
Gesamteindruck: Kühle Dokumentation über ein heißes Thema

„Die Einsiedler“: Ein raues Alpendrama fernab aller Postkartenidylle © Filmfest Venedig

Die Einsiedler
Genre: Drama
Regisseur: Ronny Trocker (Italien)
Star-Faktor: In Österreich hoch (Andreas Lust, Ingrid Burkhard)
Venedig-Premiere: In der Festivalsektion Orrizonti
Unser Bild von den Alpen ist das eines Urlaubsparadieses mit spektakulären Gipfeln, blauem Himmel, weißem Schnee und/oder grünen Wiesen. Das Südtirol, das man in Ronny Trockers Drama „Die Einsiedler“ sieht, zeigt das genaue Gegenteil.
Hier ist der Himmel meist verhangen, die Hänge sind schlammbraun oder schmutziggrau. Die Gipfel sind natürlich vorhanden, aber sie wirken wie Barrieren, nicht wie Sehenswürdigkeiten.
In dieser abweisenden Welt bewirtschaftet die betagte Bergbäuerin Marianne (Ingrid Burkhard) einen Hof, der so abgelegen ist, dass man ihn nicht mit dem Auto erreichen kann, sondern nur zu Fuß oder mit der Materialseilbahn (doch deren Motor geht gern kaputt). Mariannes Mann, gerade aus dem Krankenhaus zurück, ist bei der Arbeit keine Hilfe mehr. Drei ihrer vier Kinder sind vor Jahren bei einem Lawinenunglück gestorben. Nur ihr Sohn Albert (Andreas Lust) könnte das Erbe auf dem Hof antreten. Aber der Mittdreißiger arbeitet lieber im Tal in einem Steinbruch als oben am Berg. Und obendrein trägt er sich mit dem Gedanken, die Enge seiner Heimat ganz zu verlassen.
Der Südtiroler Ronny Trocker wirft in „Die Einsiedler“ einen eindrucksvollen Blick in dieses alpine Anti-Idyll. Die Menschen sind genauso spröde wie die Umwelt, in der sie leben. Die Gabe des Redens ist ihnen fremd, ganz besonders dann, wenn es darum geht, Emotionen in Worte zu fassen.
Der Film, der zu Beginn nicht recht verraten mag, was sein Zentralthema ist, entwickelt mit der Zeit einen starken Sog, der einen immer tiefer in die Story hineinzieht. „Die Einsiedler“ erzählt eine berührende Geschichte über Heimat und Abschied, über eine Mutter und ihren Sohn, die trotz vieler Divergenzen durch ein starkes Band miteinander verbunden sind.
Die beiden Ur-Wiener Ingrid Burkhard („Ein echter Wiener geht nicht unter“) und Andreas Lust („Schnell ermittelt“) sind nicht nur ein famoses Mutter-Sohn-Gespann. Sie meistern auch nahezu perfekt die sprachliche Hürde, den ganzen Film im Südtiroler Dialekt zu spielen. Auch wenn sie wenig reden - was sie sagen, hat einen authentischen Klang. Respekt!
Kinostart: 2017
Kinochancen: Im Arthaus-Bereich gut
Gesamteindruck: Ein rauer Heimatfilm der ungewöhnlichen Art