Filmfest Venedig

Traumstart mit „Birdman“: Ein Ex-Superheld spürt die Schwerkraft

27.08.2014
von  Gunther Baumann
„Birdman“: Michael Keaton (l.) und Edward Norton sind sich nicht ganz einig © 2014 20th CenturyFox
Jetzt erobern die Superhelden auch schon den Lido. Das 71. Filmfest Venedig begann am 27. August mit „Birdman“, gespielt vom Ex-„Batman“ Michael Keaton. Comic-Kenner, die „Birdman“ noch nie begegnet sind, brauchen sich nicht zu wundern: Der Vogelmann wurde von Regisseur Alejandro González Iñárritu für seinen neuen Film erfunden. Es geht um einen Ex-Hollywoodstar, der es schlecht verwinden kann, dass es mit seinem Weltruhm als Action-Held vorbei ist. Die Tragikomödie bescherte dem Festival am Lido einen prächtigen Auftakt.
Blitzlicht. Hier die jubelnden Fans. Dort die Stars, die im Blitzlicht über den roten Teppich schreiten. Da kann man als Beobachter schon mal fragen: Was geht in den Celebrities vor, die sich so gern feiern lassen? Stimmen die strahlende Fassade und das Innenleben stets überein?
 
Alejandro González Iñárritu gibt in „Birdman“ in 118 unterhaltsamen Filmminuten eine kurze, aber präzise Antwort: Nein. Ruhm führt nicht automatisch zu Glück und Seelenheil. Und Ruhm, der langsam verschwindet, schon gar nicht.


 
Willkommen in der Welt von Riggan Thomson. Der war einst als „Birdman“, im Stretch-Kostüm mit Vogelkopf, eine ganz große Nummer in den Kinos der Welt. Vorbei, vorbei. Inzwischen muss der Mime, gespielt von Michael Keaton, schon  froh sein, wenn er von einer Mutti in einem Pub um ein Autogramm gebeten wird.  Das ist kein Leben, findet Riggan. Er will zurück ins Rampenlicht. Drum hat er ein Theaterstück bearbeitet, das er jetzt, mit sich selbst in der Hauptrolle,  am New Yorker Broadway inszeniert.  
 
„Birdman“, der Film, spielt in den Wochen vor der Premiere. Alejandro González Iñárritu, der Regisseur, spielt mit der Neugier des Publikums auf Blicke hinter die Kulissen. Mal geht’s dabei brutal-real zu, wenn etwa Riggan Thomson einen Disput mit dem Bühnenkollegen Mike Shiner (Edward Norton) in Form einer zünftigen Prügelei auflösen will. Dann aber wird’s ziemlich surreal, wenn man Riggan auf seinen Ausflügen in die Superhelden-Welt begleitet, in der er immer noch herumgeistert. Da heißt es dann  abheben, zu einem Flug ohne Flugzeug durch die Straßen von New York.
 
Hinter dieser Fassade aus Glamour und Wahnsinn warten aber die wirklich wichtigen Themen des Films, die nicht nur Schauspieler etwas angehen. Riggan Thomson strebt danach, etwas Bedeutendes zu leisten, er möchte wahrgenommen werden und, vor allem, geliebt.
 
„Jeder Mensch sucht doch den Erfolg“, kommentierte  Iñárritu beim Pressegespräch in Venedig. „Doch zugleich haben wir Angst, zu scheitern. Das ist tragisch und komisch zugleich.“ Letzteres gilt auch für den Regisseur persönlich, der den Dreh mit einem Hochseilakt verglich: „Wir waren ohne Netz unterwegs, wie Philippe Petit, der 1974 die Strecke zwischen den Zwillingstürmen des World Trade Center von New York auf dem Seil überwand.“
 


Der Hintergrund für diese dramatische Einschätzung: „Birdman“ wurde mit sehr wenigen Schnitten gedreht, die einzelnen Szenen dauern oft etliche Minuten lang. Die Kamera (Emmanuel Lubetzki bebilderte zuletzt das Weltraum-Drama „Gravity“) hetzt stets Riggan Thomson hinterher, innerhalb des Theaters oder auch mal raus aus dem Haus. Alle Darsteller und das technische Team müssen sekundengenau ihren Einsatz beginnen.
 
Iñárritu : „Vor dem Dreh gab’s Unmengen an Proben und Vorbereitungen. Trotzdem gerieten wir immer wieder in Panik, was die Präzision und das Timing betrifft.“
 
„Mehr gelernt als jemals zuvor“: Emma Stone (mit Edward Norton) über „Birdman“ © 2014 20th CenturyFox

Jung-Star Emma Stone, sie spielt die Tochter des Birdman, schwärmt im Nachhinein: „Ich habe bei diesem Film mehr gelernt als jemals zuvor. Vor dem Start hatte ich Riesenangst. Doch als wir fertig waren, hätte ich am liebsten wieder von vorn begonnen.“
 
Fazit: Das Filmfest Venedig hatte mit „Birdman“ (der Film läuft im Januar 2015 bei uns an) einen perfekten Start. Man darf gespannt sein, welche filmischen Drahtseilakte ohne Netz jetzt folgen.