Festival Cannes 2017

„Aus dem Nichts“ von Fatih Akin: Wenn die Justiz versagt

27.05.2017
von  Peter Beddies
„Aus dem Nichts“ ist der erste deutschsprachige Film von Diane Kruger - und einer ihrer besten © Festival Cannes
Der deutsche Regie-Star Fatih Akin ist am besten, wenn er wütend ist. Das sieht man seinem neuen Film „Aus dem Nichts“ an. Das sagt er auch selbst über sich: „Immer, wenn ich so richtig Wut im Bauch hatte – zum Beispiel bei ,Gegen die Wand‘ – habe ich meine großen, meine starken Filme abgeliefert”. Bei den 70. Filmfestspielen von Cannes gab es am 26. Mai tosenden Applaus. Für „Aus dem Nichts“, aber auch und vor allem für Diane Kruger. In ihrem ersten deutschsprachigen Film liefert sie eine brillante Leistung ab. „Dieser Film hätte mich fast umgebracht“, so der Hollywood-Star im Interview mit FilmClicks. „Nach den Dreharbeiten war ich wie in Schockstarre und konnte für viele Wochen nicht an Arbeit denken.“ Wir haben uns „Aus dem Nichts“ in Cannes näher angeschaut.
Ein famoses Gespann: Regisseur Fatih Akin und sein Star Diane Kruger © Festival Cannes

Aus dem Nichts
Genre: Terror-Drama
Regie: Fatih Akin
Star-Faktor: Hoch (Diane Kruger, Ulrich Tukur, Johannes Krisch)
Cannes-Premiere: Im Wettbewerb um die Goldene Palme
„Aus dem Nichts“ verliert Katja (Diane Kruger) ihre Familie. Sie lebt mit Mann und Kind in Hamburg. Vor seinem Büro explodiert eine Nagelbombe. Vater und Sohn sind sofort tot. 
„Dies sollte ein Film über die Opfer werden”, erläuterte Fatih Akin in Cannes seine Intentionen. „Ein Film über die Menschen, die nach Terrorattacken, ob nun in Manchester, Berlin oder Paris, zurückbleiben. Die sieht man viel zu selten.“
Der Hamburger Regisseur geht mit „Aus dem Nichts“ keinesfalls den einfachen Weg. Er nimmt den Zuschauer mit in drei Stadien von Katjas Trauer.
Zuerst ist da der Schmerz über den Verlust der Familie. Gepaart mit unangenehmen Fragen der Ermittler. Denn Katjas Mann war Kurde und hatte eine Drogen-Vergangenheit. Also wird zuerst in diese Richtung ermittelt. Dann wendet sich der Verdacht nach rechts. Im Gerichtssaal wird schließlich  gegen ein Neonazipärchen verhandelt.
Fatih Akin betont,  „Aus dem Nichts“ sei kein reiner NSU-Film geworden. „Aber ich habe mir den Prozess in München angeschaut, war drei Mal vor Ort. Natürlich ist das, was ich dort gesehen habe, mit in den Film eingeflossen.“
Die ersten beiden Teile von  „Aus dem Nichts“ sind ergreifend. Die Trauer nimmt einem den Atem. Bei den sehr gut gefilmten Gerichtsszenen packt einen nicht nur beim Schildern der Tat das nackte Grauen.
Aber noch besser – und darüber wird zum Kinostart im November noch viel geredet werden – ist der dritte abschließende Teil gelungen.
Katja erkennt, dass sie die Gerechtigkeit selbst in die Hand nehmen muss. „Und an der Stelle“, so Diane Kruger im Interview in Cannes, „darf man sich dann selbst fragen, wie man gehandelt hätte, wenn einem so etwas widerfährt. Ja, Katja handelt extrem. Aber jeder muss für sich entscheiden, wie er oder sie die Tat einschätzt.“
„Aus dem Nichts“ ist ohne Frage Fatih Akins stärkster Film seit „Gegen die Wand“. Und er ist unter anderem deshalb so gut geworden, weil Diane Kruger die beste Leistung ihrer Karriere abruft. Wie sie leidet, wie sie verzweifelt, wie sie wütend und doch sehr entschlossen zur Tat schreitet, das ist in jeder Hinsicht preiswürdig.
Fatih Akin hat aus Diane Krügers Heimkehr nach Deutschland einen Triumph gemacht. Da scheinen sich zwei gefunden zu haben, die wir hoffentlich noch häufiger in gemeinsamen Filmprojekten erleben.
Kinochancen: Sehr gut
Kinostart: 23. November 2017
Gesamteindruck: Ein sehr körperlicher Film über den Terror und seine Folgen. Ein Film, der einen packt und nicht mehr loslässt.