„Lost River“
Genre: Surreales Bildgewitter. Cannes-Premiere: In der Reihe „Un Certain Regard“. Regie: Ryan Gosling (Kanada). Star-Faktor: hoch (wegen Gosling, der aber nicht mitspielt).
Die Erwartungen waren hoch. Doch das Resultat fällt bescheiden aus. Ryan Gosling, der als Schauspieler zum Megastar der Thirty-Something-Generation aufstieg, zeigt mit seinem Debüt als Autor und Regisseur, dass ihm zum hochkarätigen Filmemacher noch eine Menge fehlt.
Goslings Regie-Erstling „Lost River“ ist ein… ja, was eigentlich? Kein Drama (obwohl es sehr ernst zugeht). Keine Komödie (es gibt nichts zu lachen). Kein Actionfilm (auch wenn viel Blut fließt). Im Grunde ist „Lost River“ überhaupt kein Spielfilm im gewohnten Sinne, sondern eine experimentelle Produktion. Thema der surrealen Collage aus Bildern und kleinen Handlungsfetzen ist der Existenzkampf einer Mutter und ihrer Kinder in einer Abbruchsiedlung am Rande von Detroit. Man könnte „Lost River“ als einen Film gewordenen Albtraum bezeichnen, in dem die Gewalt regiert und die düsteren Bilder nur dann etwas Helligkeit bekommen, wenn wieder mal ein Auto oder ein Haus brennt.
Ob „Lost River“ überhaupt ins Kino kommen wird, bleibt abzuwarten. Außer dem großen Namen des Regisseurs besitzt die Produktion wenig, was ein reguläres Publikum anlocken könnte. Aber Ryan Gosling ist glücklich: „Ich wollte diesen Film drehen, weil ,Lost River‘ ein Movie ist, das ich gerne sehen würde.“
Erfolgs-Chancen im Kino: sehr niedrig. Gesamteindruck: Wirre Bildcollage, deren Rätsel sich nicht wirklich lösen lassen.
„Deux jours, une nuit“
Genre: Sozialdrama. Cannes-Premiere: Im Wettbewerb um die Goldene Palme. Regie: Luc & Jean-Pierre Dardenne (Belgien). Star-Faktor: hoch (Oscar-Gewinnerin Marion Cotillard spielt die Hauptrolle).
Die Fabriksarbeiterin Sandra (Marion Cotillard) wird entlassen. Doch der Chef gibt ihr noch eine Chance: Wenn es Sandra gelingt, ihre 16 Abteilungskollegen zum Verzicht auf ihren Jahresbonus (1000 Euro) zu bewegen, dann darf sie ihren Job behalten.
Aus dieser simplen, aber heutzutage wirklichkeitsnahen Konstellation machen Luc und Jean-Pierre Dardenne, die belgischen Meister des Sozialdramas (zwei Goldene Palmen), ein ungemein wirkungsvolles Kinostück zum Thema Solidarität in der Arbeitswelt. Zwei Tage und einer Nacht folgt der Film der verzweifelten Sandra bei ihrem Versuch, die Kollegen zum tätigen Mitgefühl zu bewegen. Es ist für alle Beteiligten eine schwere Entscheidung, denn reich ist hier niemand, und die 1.000 Euro Bonus sind in den meisten Familien längst verplant.
Die Oscar-Gewinnerin Marion Cotillard schafft es von der ersten Sekunde an, in der Rolle einer einfachen Frau aus dem Volk zu überzeugen. Ihre Sandra, gerade von einer Depression genesen, wird durch die Entlassung komplett aus der Bahn geworfen. Nur mühsam gelingt es ihrem Mann, sie zu den Bitt-Besuchen bei jedem einzelnen ihrer Kollegen zu bewegen. Sandra überwindet sich schließlich. Und obwohl sie weiß Gott nicht überall freundlich empfangen wird, machen ihr die Gespräche neuen Mut.
Der Film ist spannend wegen der verschiedenen Standpunkte, die beim Thema Solidarität zutage treten. Jeder Zuschauer kann sich mit der einen oder anderen Figur identifizieren. Und Spannung erzeugt natürlich auch das Warten auf die Abstimmung der Arbeiter – nicht nur bei Sandra, sondern auch beim Publikum.
„Deux jours, une nuit“ wurde in Cannes gefeiert. Niemand wäre überrascht, sollten die Brüder Luc und Jean-Pierre Dardennes am 24. Mai wieder einmal mit einer Palme bedacht werden.
Erfolgs-Chancen im Kino: Potenzieller Arthaus-Hit. Gesamteindruck: Fesselndes Sozialdrama mit hohem Identifikations-Faktor.