Femen. Die australische Filmemacherin Kitty Green besitzt eine ukrainische Großmutter, viel Zeit und große Neugier. Als sie bei einem Besuch in Kiew las, die textilarmen Protest-Girls von Femen seien „Oben-Ohne-Feministinnen“, war ihr Interesse geweckt. Ein ganzes Jahr mietete sie sich in der WG von fünf Femen-Mädels ein; sie filmte bei Demonstrationen mit und wurde auch selbst mal bei einer Aktion verhaftet.
Was sie dort erlebte, hat ihr Bild von Femen gründlich verändert. „Mein Film ,Die Ukraine ist kein Bordell‘ wirft einen schockierenden Blick auf diese verwegenen und schönen Frauen“, sagt sie. „Es ist ein Film, der viel über die brutale Kraft der patriarchalischen Kultur des Ostblocks aussagt.“
Der Mann, der in der Mädchen-Doku immer größer ins Bild kommt, heißt Viktor Swjazkij und er gilt als eine Art Berater der Femen-Organisation. Im Film gibt er sich freilich eine weitaus größere Rolle, wenn er sich als Patriarch der Gruppe definiert oder wenn er darüber räsoniert, er habe den Mädchen die Kunst des massenwirksamen Protests erst beibringen müssen. Allein wären sie nämlich zu schwach dazu.
Schlussfolgerung von Tobias Kniebe in der „Süddeutschen Zeitung“: „Alles, was Femen betrifft, muss nun neu bewertet werden.“ Am Lido ließen es sich die Girls allerdings nicht nehmen, Regisseurin Kitty Green zur Premiere ihres Films zu begleiten. Was auf alle Fälle wieder für viele schöne Veröffentlichungen von Bildern schöner Mädchen beitrug, die obenrum statt verhüllenden Textils nur enthüllte Slogans trugen: „Naked War“ oder so.
Rumsfeld. Die Zentralfiguren der beiden anderen Dokumentationen blieben Venedig fern. Dabei hätte Donald Rumsfeld ruhig kommen können, so streichelweich und charmant darf er sich in „The Unknown Known“ präsentieren. Filmemacher Erroll Morris („The Fog Of War“) hatte die Absicht, wie er in Interviews bestätigte, den Machtpolitiker Rumsfeld zu demaskieren. Doch für dieses Ziel war es vielleicht die falsche Methode, „Rummy“ einfach unentwegt reden zu lassen und ihn mit laschen Pseudo-Fragen zu streicheln, so à la „hatten Sie die Ereignisse in der Hand oder hatten die Ereignisse Sie in der Hand?“
Auf diese Art ist Mr. Rumsfeld nicht beizukommen. Der Bush-Spitzenmann, der (anders als sein ebenfalls so machtbewusster Neocon-Mitstreiter, Ex-Vizepräsident Dick Cheney) mit gutem Aussehen und einer freundlichen Aura gesegnet ist, kommt im Film von Erroll Morris als schwadronierender Charmebolzen rüber, der mit vielen Worten viel verhüllt. Seine Mitverantwortung für die Bomben im Irak-Krieg redet er schön. Die fetten Streicher-Arrangements des Soundtracks von Danny Elfman verleihen der ermüdenden Doku obendrein noch eine picksüße, kitschige Hollywood-Aura.
Armstrong. Von solchen Sounds bleibt man in „The Armstrong Lie“ verschont. Hier hört man vor allem das Surren der Rennräder und den tausendfach wiederholten Lieblingssatz des siebenfachen Tour-de-France-Siegers Lance Armstrong: „Ich habe nie gedopt!“ Alles Quatsch, natürlich. Der Film zeigt auch den Auftritt Armstrongs bei Star-Moderatorin Oprah Winfrey im Januar 2013. Damals gab der Radfahrer zu, die Öffentlichkeit während seiner gesamten Karriere konsequent belogen zu haben.
Die Arbeit an „The Armstrong Lie“ begann schon 2008. Nur war damals, so berichtet Regisseur Alex Gibney, ein ganz anderer Film mit einem ganz anderen Titel geplant: „Ich wollte einen Film über ein Comeback drehen. Armstrong, der den Krebs besiegt und sieben Mal die Tour de France dominiert hatte; der 300 Millionen Dollar an Spenden für die Krebsbekämpfung aufgestellt hatte, trat mit 38 erneut bei der Tour de France an. Der Film war fast fertig, als ich 2011 mit offenem Mund Armstrongs Teamkollegen Tyler Hamilton zuhörte, der im Fernsehen detailliert enthüllte, wie Lance gedopt hat.“
„The Armstrong Lie“ ist ein über weite Strecken faszinierender Film über einen egomanischen Sportler, der Siege so sehr liebte und Niederlagen so sehr hasste, dass er sämtliche Skrupel zur Seite schob. Und dem es offenbar Vergnügen bereiten konnte, andere Karrieren zu vernichten. Wenn der Abspann läuft, sind alle Sympathien, die man für den Radler-Giganten vielleicht einmal hegen konnte, restlos verbraucht.