Diagonale 2019

Große Preise für Sara Fattahi und Nathalie Borgers: Geschichten über Flucht und Krieg

24.03.2019
von  Gunther Baumann
Gala bei der Diagonale 2019 in Graz: Gruppenbild der GewinnerInnen © Diagonale
Die Hauptpreise der Diagonale 2019 gehen an zwei Filmemacherinnen,  die sich mit den Folgen von Flucht und Krieg auseinandersetzen.  Sara Fattahi wurde am 23. März in Graz für „Chaos“ mit dem Großen Diagonale Preis für den besten Spielfilm ausgezeichnet. Nathalie Borgers erhielt für „The Remains – Nach der Odyssee“ den Preis für die beste Dokumentation. Der Hauptgewinner des Vorjahres konnte sich über eine neue Auszeichnung freuen: Christian Frosch bekam für „Murer – Anatomie eines Prozesses“ nunmehr den Thomas-Pluch-Drehbuchpreis. FilmClicks präsentiert alle PreisträgerInnen des Festivals des Österreichischen Films.
Bester Spielfilm: Sara Fattahi wurde für „Chaos“ ausgezeichnet © Diagonale

Großer Diagonale-Preis für den besten österreichischen Spielfilm

Stifter: Land Steiermark, The Grand Post & Mischief Films
Dotation: 21.000 Euro
Gewinner: Sara Fattahi für „Chaos“
Filmthema: „Chaos“ erzählt die Geschichte dreier Frauen aus Damaskus, die mit dem Nachhall traumatischer Kriegserfahrungen zurechtkommen müssen. Jede von ihnen – eine ist Filmemacherin Sara Fattahi selbst – befindet sich an einem anderen Ort, in einer anderen Situation. Was die Frauen eint, sind die seelischen Wunden, die sich in ihrem Innersten eingenistet haben.
Die Jury: „Erinnerungen suchen nach einer Stimme und finden sie in einem Film, der gleichzeitig Prozess und Wahrnehmung ist. Dieser Film zeigt sein Potenzial mit einer Offenheit, die uns im Fühlen und Verstehen tief berührt –  das Chaos mit allen Sinnen erfahrbar macht.“
Kinostart: 4. Oktober 2019

Beste Doku: Nathalie Borgers gewann mit „The Remains – Nach der Odyssee“ © Diagonale

Großer Diagonale-Preis für den besten österreichischen Dokumentarfilm
Stifter:
Land Steiermark, The Grand Post & Mischief Films
Dotation: 21.000 Euro
Gewinnerin: Nathalie Borgers für „The Remains – Nach der Odyssee“
Filmthema: „The Remains“ befasst sich aus zwei Blickwinkeln mit Tragödien der Migration. Zum einen zeichnet der Film ein Bild der HelferInnen auf Lesbos, die sich an der Suche nach Vermissten beteiligen oder Ertrunkene bergen. Zum anderen geht es um das Leid einer syrischen Familie in Wien, die während der Flucht 13 Angehörige im Meer verloren hat.
Die Jury: „Nathalie Borgers greift ein zentrales Thema auf – das Recht auf die Beerdigung eines Angehörigen. Der Film schildert eindrücklich und kinematographisch überzeugend den Schmerz einer Familie vor dem Hintergrund einer der größten humanitären Katastrophen der Gegenwart.“
Kinostart: 5. April 2019
 
Diagonale-Schauspielpreis
Dotation: 2 x 3.000 Euro
Stifter: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden (VdFS)
Gewinnerin: Joy Alphonsus für „Joy“ (Regie: Sudabeh Mortezai)
Gewinner: Simon Frühwirth für „Nevrland“ (Regie: Gregor Schmidinger)


 

 
Thomas-Pluch-Drehbuchpreis
Stifter: Bundeskanzleramt Kunst und Kultur
Dotation: 12.000 Euro
Gewinnerin: Christian Frosch für „Murer – Anatomie eines Prozesses“
Die Jury: „Ein Drehbuch, das empört und fassungslos macht, weil es in immer neuen, überraschend grausamen Wendungen die Tatsache einer unglaublichen Schuld erzählt, die durch die Banalität des Bösen schlicht ignoriert wird. Der historische Stoff hat in Zeiten von Alternative Facts und Rechtspopulismus nichts an Aktualität eingebüßt. Gerade im Zusammenspiel des großen Ensembles an Figuren und ihrer messerscharfen Dialoge wird das Ausmaß an Denunziation, Manipulation und Einschüchterung deutlich.“
 
Thomas-Pluch-Drehbuchpreis / Spezialpreis der Jury
Stifter: Bundeskanzleramt Kunst und Kultur
Dotation: 7.000 Euro
Gewinner: Gregor Schmidinger für „Nevrland“
Die Jury: „Gregor Schmidinger erzählt handwerklich virtuos und in visuell starken Bildern die Geschichte des 17-jährigen Jakob, der mit plötzlich auftretenden Panikattacken zu kämpfen hat und zwischen einer surrealen, virtuellen und der realen Welt hin und her geworfen wird. Sofort tauchen wir mit der Hauptfigur in die dichte und fließende Erzählung einer einsamen Seele ein, die mit unergründlichen Ängsten konfrontiert ist. Eine Generation verloren in Zeit und Raum von immer verfügbarem Onlinesex, heillos überfordert von der Brutalität der realen Welt und der Zärtlichkeit physischer Nähe.“
 
Thomas-Pluch-Preis für kurze oder mittellange Kinospielfilme
Stifter: Bundeskanzleramt Kunst und Kultur
Dotation: 3.000 Euro
Gewinner: Albert Meisl für „Die Schwingen des Geistes“
Die Jury: „Es bereitet einem ein riesiges Vergnügen, zu verfolgen, wie der Autor sein liebenswürdig-verbohrtes, in Musik vernarrtes Personal mit hintersinniger Lust in immer abstrus-ausweglosere Situationen treibt, um es über den Höhepunkt einer ‚karriererelevanten‘ Verwechslung zumindest kurzfristig zu erlösen, zurück an den Start sozusagen, in die nächste folgenreiche Verstrickung. Das Buch ist voll von banal großartig grotesken Momenten, die mit herrlich absurden Dialogen zu einem herzhaften Lachen verführen.“

Carl-Mayer-Drehbuchpreis – Hauptpreis
Stifter: Stadt Graz
Dotation: 15.000 Euro
Gewinnerin: Jessica Lind für das Treatment „Der Tag, an dem der Regen kam“
Die Jury: „Die zweijährige Lea läuft von zu Hause weg und ertrinkt in einem Bach. Ihre Mutter Hannah findet sich damit ab. Gleichzeitig entdeckt Sarah, ihre jüngere Schwester, dass sie schwanger ist. Hannah unterstützt eine Abtreibung, Sarah behält aber das Kind. Hannah bleibt allein, Jahre später kommt es zur Konfrontation mit ihrer Nichte. Der Autorin gelingt es, aus einem atmosphärisch dicht gestalteten Mikrokosmos große Themen unaufgeregt zu beschreiben.“
 
Carl-Mayer-Drehbuchpreis – Förderungspreis
Stifter: Stadt Graz
Dotation: 7.500 Euro
Gewinner: Ulrike Kofler für das Treatment „Full House“
Die Jury: „Die neunjährige Gina tut alles, um das Familienleben aufrecht zu erhalten. Sie sorgt für ihre jüngeren Brüder, ihre Mutter trinkt, ist wieder schwanger und steht unter Kontrolle des Sozialamts. Als das Neugeborene einer Pflegefamilie zugewiesen wird, verlässt Gina die Kraft. Trotzdem gibt sie nicht auf. Neue Möglichkeiten zeichnen sich ab. Der Jury gefällt vor allem die sensible und authentische Schilderung aus der Perspektive der Neunjährigen.“

Franz-Grabner-Preis für den besten Kino-Dokumentationsfilm
Dotierung:
5.000 Euro
Stifter: AAFP, Film Austria und ORF
Gewinnerin: Ruth Beckermann für „Waldheims Walzer“
Die Jury: „Aus dem Vertrauen in die Kraft des Kinos entstand ein Film-Essay, das sich mit Fakten nicht zufrieden gibt, sondern die widerstreitenden Kräfte einer Gesellschaft spürbar machen will. Historische und persönliche Wahrheiten werden gegeneinander in Stellung gebracht und die Realität entlarvt sich in ihren extremsten Formen selbst. Das aufmerksame Betrachten wird zu einem scharfsinnigen Akt der Kritik.“

Franz-Grabner-Preis für den besten Fernseh-Dokumentationsfilm
Dotierung:
5.000 Euro
Stifter: AAFP, Film Austria und ORF
Gewinnerinnen: Karin Berghammer und Kriztina Kerekes für „Leben für den Tod – Menschen am Zentralfriedhof“
Die Jury: „Die Filmemacherinnen filmen ihre Ballade vom Leben und Tod, indem sie über das Personal erzählen, die Nebenfiguren, die fast unsichtbar ihr Tagwerk verrichten – auf einem der größten Friedhöfe Europas. Sie beobachten, sie lassen erzählen, sie behalten die Ruhe. Und so verliert man sich in diesen kleinen Erzählungen übers Sterben, über ‚Versenkungsapparate‘ und über Honig vom Friedhof. Und das ist gut so, weil es – das Sterben – damit normal wird.“
 
Diagonale-Preis für Innovatives Kino
Stifter: Stadt Graz,  Golden Girls Filmproduktion & AVbaby Mediastudios
Dotation: 10.000 Euro
Gewinner: Jennifer Mattes für „Wreckage Takes A Holiday“
Die Jury: „Virale YouTube-Filme, Found Footage und Popkultur-Memes werden mit Nachrichten-Bildern und Clips des klassischen Kinos zu einem cinematischen Bildteppich verwoben. Ein wahrhaft experimenteller Film.“
 
Diagonale-Preis für den besten Kurzspielfilm
Stifter: Innen/Aussen/Nacht, The Grand Post, Austrian Film Commissions & Funds und Österreichisches Kulturforum Paris
Dotation: 5.500 Euro plus Einladung zu „Meet The Young Austrians“ beim Filmfest Cannes
Gewinnerin: Raphaela Schmid für „Ene Mene“
Die Jury: „Mit dem Preis möchten wir einen Film auszeichnen, der zeigt, dass der Tod sprachlos macht. Ohne Pathos und Melodramatik werden die großen Themen des Lebens verhandelt: Es wird getrauert, aber nicht geweint. Es wird wenig gesprochen, aber viel erzählt. Mit vielen Details und zurückhaltender Bildsprache illustriert der Film die schwierige Aufgabe, nach dem Tod eines Kindes weiterleben zu müssen.“
 
Diagonale-Preis für den besten Kurzdokumentarfilm
Stifter: Diözese Graz-Seckau
Dotation: 4.000 Euro
Gewinnerin: Johannes Gierlinger für „Remapping The Origins“
Die Jury: „In der einst multikulturellen Stadt Białystok spiegelt sich der politische Wandel Polens wider. Von der ehemaligen ethnischen Vielfalt ist heutzutage nur noch wenig zu sehen. Umso deutlicher der erstarkte Rechtsruck der letzten Jahre. Flanierend begibt sich der Regisseur auf eine Spurensuche nach dem Umgang mit Geschichte und Erinnerung. Mit einem wachen Blick montiert er gekonnt das Ausgelassene, das Brüchige, das Vergangene. Ein essayistisches Bilderwerk, angetrieben von der Fragestellung, wie wir Geschichte beeinflussen und Geschichte uns beeinflusst.“ 

Diagonale-Preis der Jugend-Jury für den besten Nachwuchs-Film
Stifter: Land Steiermark
Dotation: 4.000 Euro
Gewinner: Nicolas Pindeus für „Zufall und Notwendigkeit“
Die Jury: „Verlust, Einsamkeit und Verwirrung treffen aufeinander und erzeugen einen inneren Konflikt, welcher den jungen Franz in seinem Leben einschränkt. Schritt für Schritt und durch vorerst unauffällige Details erfährt das Publikum, was die Ursachen seiner Verschlossenheit sind. Durch eindrucksvolle Großaufnahmen und sensibel ausgewählte Bilder bekommt man einen Eindruck seiner Verletzlichkeit.“

Diagonale-Preis Bildgestaltung
Stifter: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden
Dotation: 2 x 3.000 Euro
Gewinner Spielfilm: Klemens Hufnagl für „Bewegungen eines nahen Bergs“ (Regie: Sebastian Brameshuber)
Die Jury: „Ein Mann, ein Raum. Wir sehen fast nur das, einen Mann in einem Raum. Und doch –durch den zärtlichen Blick, die behutsame Distanz, die ruhige Faszination –ist die ganze Welt in diesem Mann und in diesem Raum.“
Gewinner Dokumentation: Christiana Perschon für „Sie ist der andere Blick“
Die Jury: „Christiana Perschon nähert sich den Künstlerinnen und deren Werken mit bis ins letzte Detail durchkomponierten Bildern. Mit ihrer Kamera lenkt sie unseren Blick auf die Essenz der Werke und macht diese erlebbar.“  
 
Diagonale-Preis Schnitt
Stifter: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden
Dotation: 2 x 3.000 Euro
Gewinnerin Spielfilm: Peter Schreiner für „Garten“
Die Jury: „„Eine Montage, die sich selbst so offenlegt, die uns Raum lässt, Erinnerungen durch eigene Erfahrungen zu ergänzen, die gefühlvoll Sehnsucht und Angst umreißt, ohne dabei Antworten geben zu wollen. Oder in den Worten des Films selbst: ‚Überall wartet etwas Lebendiges.“
Gewinnerin Dokumentation: Arthur Summereder für „Die Tage wie das Jahr
Die Jury: „Arthur Summereder gelingt es, den Rhythmus im Alltag eines niederösterreichischen Biolandwirt-Ehepaars auf eine Art und Weise wiederzugeben, dass wir geradezu mit ihnen in ihre tägliche Arbeit eintauchen. Meisterhaft und scheinbar mühelos verleiht Summereders Montage diesem Film seinen unwiderstehlichen Fluss.“ 

Diagonale-Preis Sounddesign
Stifter: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden
Dotation: 2 x 3.000 Euro
Gewinner Spielfilm: Pia Dumont für „Angelo“ (Regie: Markus Schleinzer)
Die Jury: „In einem extrem kontrollierten Umfeld, in dem jedes Detail perfekt platziert ist, sucht die Hauptfigur nach Halt, doch ihre Versuche enden in Stille –wie ein Funke, der keine Nahrung findet. Erst als es zu spät ist, brechen sich die Flammen Bahn und wachsen an zu einem alles verzehrenden Feuer, das uns die Sinne raubt.“
Gewinner Dokumentarfilm: Florian Kindlinger für „Erde“ (Regie: Nikolaus Geyrhalter)
Die Jury: „,Erde‘ sticht auf sämtlichen technischen Ebenen heraus. Aber wirklich greifbar wird das gigantische Ausmaß der Zerstörung unseres Planeten durch das vielleicht am wenigsten offensichtliche Element –das Sounddesign. Dadurch schenkt Florian Kindlinger dem Film genau jenes epische Ausmaß, welches das Thema verdient.“
 
Diagonale-Preis Szenenbild und Kostümbild
Stifter: Verwertungsgesellschaft der Filmschaffenden
Dotation: 2 x 3.000 Euro
Gewinner Szenenbild: Andreas Sobotka und Martin Reiter für „Angelo“ (Regie: Markus Schleinzer)
Die Jury: „Eine große Reise durch Zeiten und Orte. Ein Film, der in seinen Details die Komplexität des emotionalen Umfelds und die historischen sowie sozialen Veränderungen gleichzeitig zu verkörpern und zu abstrahieren weiß.
Gewinner Kostümbild: Carola Pizzini für „Joy“ (Regie: Sudabeh Mortezai)
Die Jury: „Was filmen wir, wenn wir Orte und Menschen filmen? Wir filmen Oberflächen. Manchmal lädt uns die Oberfläche ein, dem Menschen sehr nah zu kommen - so nah, dass wir das Gefühl haben, ihn berühren zu können.“
 
Kodak Analog-Filmpreis
Dotation:
1.500 Euro
Stifter: Kodak
Gewinnerin: Leena Koppe / Kamerafrau „Der Boden unter den Füßen" (Regie: Marie Kreutzer)
Die Jury: Als herausragende Expertin ihres Fachs bedient Leena Koppe in bewundernswerter Weise ein breit gefächertes Genrespektrum, vom fiktionalen Drama bis hin zum experimentellen Dokumentarfilm. Es gelingt ihr dabei – scheinbar mühelos – Bilder und Stimmungen zu schaffen, die berühren und fesseln. Das Drehen auf analogem Film spielt dabei eine zentrale Rolle. ‚Real Film Makes a Difference – Film macht den Unterschied‘ ist für Leena Koppe nicht nur ein Slogan, sondern Ausdruck ihrer Überzeugung und wichtiger Bestandteil ihres bisherigen künstlerischen Œuvres.“

Preis außergewöhnliche Produktionsleistungen
Dotation: 2 x 10.000 Euro
Stifter: VAM Verwertungsgesellschaft für audiovisuelle Medien
Gewinner: Mona Film für „Womit haben wir das verdient?“
Gewinner: Planet Watch Film and Video Productions für „Manaslu – Berg der Seelen“