Es gibt gelegentlich Augenblicke in Cannes, da wird die Festival-Routine durch echte Gefühlsausbrüche unterbrochen, die ans Herz gehen. Am Dienstag konnte man solch einen Moment erleben.
Michael Douglas parlierte im Pressegespräch launig darüber, wie er zur Rolle des grellen Entertainers Liberace gekommen war. „Steven Soderbergh fragte mich schon vor vielen Jahren, ob ich mir vorstellen könnte, den Mann zu spielen. Ich antwortete, vielen herzlichen Dank, und vergaß die ganze Sache. Doch dann, sieben Jahre später…“
Plötzlich stockte der Star. Man sah förmlich, wie Michael Douglas mit den Emotionen kämpfte. „Der Liberace-Film wurde meine erste Arbeit nach meiner Krebserkrankung“, sagte er schließlich leise. „Den Film drehen zu dürfen, war ein wunderbares Geschenk für mich. Ich bin Steven Soderbergh sehr dankbar“. Ergriffener Beifall im Auditorium.
Douglas hat den exaltierten Tastenmann, der für seine Kostüme „die ganze Kristall-Jahresproduktion aus Österreich“ aufkaufte, als Kind einmal selbst erlebt. „Als ich Zwölf war, kam er mit seinem weißen Rolls-Royce-Cabrio auf Besuch zu meinem Vater Kirk. Sein Auftritt: Viel Goldschmuck, ein breites Lächeln, immenser Charme. Liberace war so etwas wie der Vorfahre von Elton John und Lady GaGa.“
Das Porträt dieses Paradiesvogels wurde zu einer der Glanzrollen in der langen Karriere von Douglas. Seinem Liberace stünde wohl in großen goldenen Lettern das Wort Oscar über die Stirn geschrieben – wenn, ja wenn der Film nicht von einem TV-Sender produziert worden wäre. Das 25-Millionen-Dollar Budget ist von HBO finanziert. Der Bezahlsender wird den Film auch ausstrahlen. Ein Kinostart, Voraussetzung für Oscar-Nominierungen, ist in den USA nicht geplant (im Rest der Welt zum Glück sehr wohl).
Denn „Behind the Candelabra“, dieser Film über einen Musiker der großen Worte, großen Gefühle, großen Gesten und der großen Virtuosität, passt perfekt auf die große Leinwand. Steven Soderbergh erzählt die Geschichte aus der Perspektive von Liberaces langjährigem Gefährten und Lover Scott Thorson, der ein Buch über sein Leben mit dem Star schrieb.
Dieser Scott – zu Beginn ein junger, fescher, All-American-Boy, der von einer Laufbahn als Tierarzt träumt -, wird von Matt Damon gespielt. Damon ist so wie Michael Douglas privat ein verheirateter Mann und mehrfacher Vater. Doch beide zaubern ihre schwulen Filmcharaktere so traumwandlerisch sicher und natürlich auf die Leinwand, dass man ihnen die Leidenschaft von Mann zu Mann in jeder Sekunde glaubt.
Man sieht Douglas und Damon beim Flirten, beim Streiten, beim Küssen und, ja, auch im Bett. Die Sexszenen sind nicht explizit, strahlen aber viel Sinnlichkeit aus.
Michael Douglas hat den Künstler Liberace als extravagante Kunstfigur gestaltet, mit affektierter (aber nie zu affektierter) Sprache, mit sprudelndem Charme und einer gehörigen Portion (wohlkalkulierter?) Naivität. Dieser Liberace ist ein Star, dem man seine Bekenntnisse, Schwüre und hochfliegenden Pläne keinesfalls immer glauben muss – doch man muss ihn vom ersten Moment an gern haben in seiner flackernden und flatterhaften Liebenswürdigkeit.
Matt Damon spielt den Scott als netten Jungen von nebenan, der mit staunenden Augen verfolgt, wie er von der Farm seiner Pflegeeltern nach Las Vegas expediert wird, in ein Leben voll überkitschtem Luxus, wo alle Goldklunker echt sind, allerdings nicht alle güldenen Gefühle. Dieser Scott ist dem Leben in Saus und Braus letztlich nicht gewachsen. Er wird zum Junkie, bevor die Beziehung nach Jahren mit einem Rausschmiss endet.
„Bevor der Dreh begann, war ich hochnervös – aber Steven Soderbergh schaffte es rasch, meine Nerven zu beruhigen“, sagte Damon. „Er hat seine Fähigkeit, einen Film schon beim Dreh zu schneiden, auf eine neue Stufe gehoben. Wenn ich abends nach Hause kam und die Kinder ins Bett gebracht hatte, konnte ich nachher auf einer von Steven speziell für uns gemachten Website anschauen, was wir an diesem Tag gedreht hatten.“
Ist „Behind The Candelabra“ jetzt Steven Soderberghs filmischer Schwanengesang? So will das der Regisseur von Superhits wie „Ocean’s Eleven“ nicht sagen: „Vor 24 Jahren kam ich zum ersten Mal nach Cannes – damals besaß ich noch Haare. Seither hatte ich einen guten Lauf. Jetzt werde ich definitiv eine Pause einlegen. Wann sie enden wird, weiß ich selber nicht.“