Berlinale 2019

Christian Bale und „Vice“: Der Megastar als graue Eminenz

11.02.2019
von  Gunther Baumann
„Vice“ in Berlin: Christian Bale mit Autor/Regisseur Adam McKay (li.) © Katharina Sartena
Christian Bale kam in die Stadt. Der Auftritt des Megastars brachte der Berlinale am 11. Februar einen erfrischenden Hauch von Hollywood-Glamour. Bale und sein Regisseur Adam McKay reisten zur Europa-Premiere ihrer für acht Oscars nominierten Polit-Komödie „Vice“ nach Berlin. Die Produktion, in der Christian Bale den Ex-US-Vizepräsidenten Dick Cheney spielt, ist einer der vielen Berlinale-Filme, die politische Themen in den Vordergrund stellen. Das gilt auf sehr unterschiedliche Weise auch für den Spionage-Thriller „The Operative“ mit Diane Kruger und für das Sowjetunion-Drama „Mr. Jones“ von Agnieszka Holland.
„Vice“: Dick Cheney (Christian Bale) mit Ehefrau Lynne (Amy Adams) © Universum

Vice - Der zweite Mann

Genre: Polit-Komödie
Regie: Adam McKay
Stars: Christian Bale, Amy Adams, Steve Carell, Sam Rockwell
Berlinale-Premiere: im Wettbewerb um den Goldenen Bären (außer Konkurrenz)
 
Vizepräsident Dick Cheney gilt als graue Eminenz und wahrer Drahtzieher der Ära von US-Präsident George W. Bush (2001 – 2009). Doch in „Vice“, dem Film, begegnet man ihm erst einmal als jugendlichem Versager.
Der junge Cheney (Christian Bale) wird als Hilfsarbeiter und Trunkenbold vorgestellt. Bis ihm der Umschwung gelingt und er als Praktikant in die politische Kaste Washingtons vordringt. Von nun an zimmert er zielbewusst und frei von Skrupeln an seiner Karriere, die ihn bis ins Zentrum der Macht transportieren wird.
Regisseur Adam McKay hat die Geschichte vom Aufstieg des gefürchteten Mannes (Cheney war einer der Wegbereiter des auf US-Lügen basierenden Irak-Kriegs 2003) als bittere Komödie geschrieben und inszeniert. Wenn manche Kritiker schreiben, „Vice“ erinnere an eine Michael-Moore-Doku, nur mit Schauspielern, dann ist an dieser Einschätzung etwas dran. Mit einem munteren Grundton werden  dem Publikum viele Ungeheuerlichkeiten serviert. Die historischen Fakten sind so sortiert, dass sie wie Mosaiksteine in jenes Bild passen, das der Regisseur dem Publikum vermitteln will.
So entsteht das Porträt eines nicht sonderlich schlauen, aber ehrgeizigen Mannes, der mehr von Machtgier als von Ideologien angetrieben wird.
Bezeichnend ist eine Szene mit dem jungen Praktikanten-Aspiranten Dick Cheney, der fasziniert dem brillanten Rhetoriker Donald Rumsfeld zuhört.  „Ist Rumsfeld Demokrat oder Republikaner?“ will Cheney von einem Nebenmann wissen. „Republikaner“. Also ist von dem Moment an auch Cheney Republikaner. Als Aktenträger von Donald Rumsfeld (damals Konsulent von Präsident Nixon, später Verteidigungsminister) betritt Dick Cheney das Spielfeld der Politik.
Der Film schildert Cheney als brummigen Privatmann, der von seiner karrierebewussten Ehefrau Lynne (Amy Adams) angetrieben wird. Als stolzen Vater, der seinen zwei Töchtern in eiserner Solidarität zur Seite steht (auch dann, wenn sich die jüngere als Lesbe outet, was für einen Republikaner als Karrierebremse wirken könnte).
Doch in der Politik ist Dick Cheney nicht zu bremsen. Zwar muss er irgendwann einsehen, dass ihm das höchste Amt versagt bleiben wird - wegen seiner kalten Aura hätte er als Präsidentschaftskandidat keine Chance. Als ihm aber Polit-Leichtgewicht George W. Bush (Sam Rockwell) anbietet, ihn als Vizepräsident zu begleiten, schlägt Cheney zu. Und er ringt Bush, der damals anscheinend nicht einmal in der eigenen Partei ernstgenommen wurde, einen Deal ab, der große Blöcke der Macht zum Vizepräsidenten verschiebt.
All diese Themen ergeben einen unterhaltsamen und informativen Film, der US-Bürgern ebenso wie Nicht-Amerikanern  als Lehrstück aus den Zentren der Macht dienen kann. Je näher „Vice“ an der Person Dick Cheney bleibt, umso faszinierender wirkt der Film. Zwischendurch gibt’s aber auch Durchhänger, wenn sich die Geschichte allzu massiv in politische Details vertieft.     
Über solche Momente hilft aber das brillante Spiel der Protagonisten hinweg. Christian Bale wirkt schon visuell dank herausragender Maskenbildner authentisch. Doch auch in der Ausstrahlung kommt der Engländer Bale dem Amerikaner Cheney faszinierend nahe: Je höher dieser Cheney auf der Karriereleiter nach oben klettert, umso bedrohlicher wirkt er  als eiskalter Technokrat der Macht, der im Hintergrund und aus dem Hinterhalt seine Ziele durchsetzt.  
Mit Amy Adams, Sam Rockwell und, vor allem, Steve Carell hat Bale kongeniale Partner. Letzterer verleiht dem Ex-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eine brandgefährliche Aura aus Charme, Zynismus und Skrupellosigkeit.

Kinostart: 22. Februar 2019
Publikums-Chancen: Gut – und noch besser, wenn auf die acht Oscar-Nominierungen viele Oscars folgen sollten.
Gesamteindruck: Ein Politiker-Porträt als Lehrstück über die inneren Kreise der Macht, das auf komödiantische Weise von Themen erzählt, die überhaupt nicht lustig sind.
 
„The Operative“: Martin Freeman und Diane Kruger als Mossad-Agenten © Berlinale / Brandt

The Operative

Genre: Spionage-Thriller
Regie: Yuval Adler (Israel)
Stars: Diane Kruger, Martin Freeman
Berlinale-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Bären (außer Konkurrenz)

Es beginnt mit einer Jogging-Szene in Köln, es endet mit einem Showdown in Leipzig. Doch die wahren Zentren des Spionage-Thrillers „The Operative“ („Die Agentin“) liegen in Israel und im Iran.  
Die deutsche Mossad-Agentin Rachel (Diane Kruger) wird von ihrem Führungsoffizier Thomas (Martin Freeman) zu einem Einsatz nach Teheran geschickt. Offiziell lässt sie sich dort als Sprachlehrerin nieder, doch in Wahrheit verfolgt sie ein ganz anderes Ziel. Sie soll das Vertrauen des Geschäftsmanns Farhad (Cas Anvar) gewinnen, der brisante Importgeschäfte tätigt. Die angeblich harmlosen elektronischen Geräte, die er importiert, sind nämlich für den Einsatz im iranischen Nuklear-Programm vorgesehen. Doch was Farhad nicht weiß: Die Bauteile wurden von den Israelis so manipuliert, dass sie nicht funktionstüchtig sind.
John Le Carré, der unangefochtene Weltmeister des Spionage-Thrillers, schrieb 1983 den Roman „The Little Drummer Girl“ („Die Libelle“), der damals mit Diane Keaton - und 2018 wieder als Serie für die BBC - verfilmt wurde. Eine junge Engländerin  namens Charlie wurde vom israelischen Geheimdienst angeworben, um einen palästinensischen Terroristen auszuschalten.
Die Mossad-Agentin Rachel von Diane Krüger in „The Operative“ wirkt nun wie die jüngere Schwester dieser Charlie. Beiden Frauenfiguren fehlt es an familiärem Halt, aber nicht an Kühnheit. Beide haben eine indifferente Sehnsucht nach einer ideellen Heimat. Diese Eigenschaften werden von den Rekrutierern des Mossad ausgenutzt. Obwohl ihre Bindung an die Auftraggeber gering ist, führen Rachel wie Charlie ihre Jobs mit vollem Einsatz aus. Und sie begeben sich wissentlich in große Gefahr.
Im Fall von „The Operative“ entsteht daraus ein solider Thriller. Diane Kruger als Rachel ist keine eiskalte, sondern eher eine heißkalte Agentin. In riskanten Situationen (und derer gibt es genug) scheint sie keine Nerven zu kennen, um ihre Tarnung nicht auffliegen zu lassen. Doch privat zeigt sie Emotion. Mit ihrem charmanten Zielobjekt Farhad teilt sie bald das Bett. Das allerdings war in ihrer Auftragsbeschreibung nicht vorgesehen und löst in der Mossad-Zentrale helle Aufregung aus. Als Farhad bei einer Auslandsreise von den Israelis gekidnappt wird, ist die Aufregung auf Rachels Seite. Sie taucht spurlos ab. Und ihr Führungsoffizier Thomas bekommt den Befehl, sie unter allen Umständen wiederzufinden. Schließlich besitzt Rachel  streng geheime Informationen.
Regisseur Yuval Adler folgt bei seiner Inszenierung den Regeln des Thriller-Genres, lässt aber auch kritische Töne anklingen. Zug um Zug wird eine Grundspannung aufgebaut, die den Zuschauer an das Geschehen auf der Leinwand fesselt. Und man lernt wieder einmal (auch das ist eine Parallele zu John Le Carré), dass das Agentendasein nur bei James Bond ein Glamour-Abenteuer ist. Eine Frau wie Rachel hingegen wird kontrolliert, desillusioniert und mit dem Sterben konfrontiert.
Die kühle Unbarmherzigkeit, mit welcher der israelische Geheimdienst seine Ziele verfolgt, kommt beim israelischen Regisseur Adler nicht gut weg. Die religiös verbrämte, unterdrückerische Unbarmherzigkeit des iranischen Staatssystems allerdings auch nicht.

Kinostart: Voraussichtlich im Mai 2019
Publikums-Chancen: Gut
Gesamteindruck: Cooler Spionage-Thriller mit einer eindrucksvollen Diane Kruger und einer Story, die an John Le Carrés Bestseller „Die Libelle“ erinnert

„Mr. Jones“: James Norton spielt den britischen Journalisten Gareth Jones © Berlinale / Palka

Mr. Jones
Genre: Polit-Drama
Regie: Agnieszka Holland (Polen)
Stars: James Norton, Vanessa Kirky, Peter Sarsgaard
Berlinale-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Bären
 
Ein Drama über Hunger, Not und die Folgen der Revolution. „Mr. Jones“ erzählt die wahre Geschichte des britischen Journalisten Gareth Jones (1905 – 1935), der 1933 auf einer waghalsigen Reise durch die Ukraine nachwies, dass dort unzählige Menschen in einem harten Winter den Hungertod starben – eine Tatsache, die das sowjetische Stalin-System unbedingt geheim halten wollte.
Gareth Jones, der Titelheld des Films, war eine schillernde Figur seiner Zeit. Der junge Journalist war stolz darauf, in Deutschland Hitler interviewt zu haben – nun zog es ihn nach Russland, wo er zunächst auch wohlwollend willkommen geheißen wurde. Jones, gespielt von James Norton, begegnete dort dem in Luxus und Dekadenz schwelgenden New-York-Times-Korrespondenten Walter Duranty (Peter Sarsgaard), der das Leben in der Sowjetunion genoss. Er lernte die Reporterin Ada Brooks (Vanessa Kirby) kennen, die ein distanziertes Verhältnis zu dem diktatorischen Staat hatte.
Und er wollte unbedingt in die Ukraine reisen, weil er die Gerüchte von der Hungersnot vernommen hatte. Das aber wurde ihm von den Behörden untersagt. Jones musste einen Trick anwenden, um in die Ukraine zu kommen, wo er dann selbst den Hunger und die Kälte nur mit Glück überlebte.
Dieses knallharte und tragische Thema wird auf der Leinwand in größter Üppigkeit umgesetzt. Regisseurin Agnieszka Holland (Oscar-Nominierung 1992 für „Hitlerjunge Salomon“) hat mit „Mr. Jones“ einen kostbar wirkenden Film gedreht, der auch das Elend prachtvoll bebildert. Das Drama wird so zum Melodram. Die reportagenhaften Elemente werden durch massives Pathos in ihrer Wirkung verkleinert.
So ist die technisch  brillante Produktion ein seltsamer Film geworden, der einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt. Ein merkwürdiger Nebenaspekt: Der Film stellt es als Tatsache dar, dass Jones mit seinen Berichten aus der Ukraine den Schriftsteller George Orwell zu seiner  Fabel „Farm der Tiere“ inspirierte.  Dies ist allerdings eine These, für die es keinerlei Belege gibt. Gareth Jones starb 1935, noch keine 30 Jahre alt, bei einem Anschlag in der Mongolei. George Orwell veröffentlichte die „Farm der Tiere“ erst zehn Jahre später.
 
Kinostart: noch keinTermin
Publikums-Chancen: mäßig
Gesamteindruck: Historisches Hunger-Drama mit edler Ästhetik und zwiespältiger Wirkung