Berlinale 2019

„Elisa & Marcela“: Streit um einen großartigen Film

13.02.2019
von  Gunther Baumann
Isabel Coixet: Kinobesitzer sind unglücklich, weil „Elisa & Marcela“ eine Netflix-Produktion ist © Netflix
Keine Berlinale ohne Aufreger. Erst sorgte die Nachricht für Aufsehen, der chinesische Film „One Second“ von Regisseur Zhang Yimou werde aus dem Wettbewerb genommen. Die Berlinale nannte technische Probleme als Begründung, doch in der Szene vermutet man, die chinesische Zensur habe sich eingeschaltet. Am 13. Februar gab es nun Wirbel um das Beziehungsdrama „Elisa & Marcela“ von Isabel Coixet. Kinobetreiber fordern, dem hochklassigen Film die Teilnahme am Wettbewerb zu entziehen, da es bei der Netflix-Produktion unsicher sei, ob das Werk jemals im Kino gezeigt wird. Geht es nach künstlerischen Kriterien, ist „Elisa & Marcela“ allerdings ein ernsthafter Kandidat für den Goldenen Bären. 
Natalia de Molina und Greta Fernández als „Elisa & Marcela“ © Netflix

Elisa & Marcela

Genre: Beziehungsdrama
Regie: Isabel Coixet (Spanien)
Stars: Natalia de Molina, Greta Fernández
Berlinale-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Bären
Die spanische Netflix-Produktion „Elisa & Marcela“ ist eine Romanze über eine große Liebe, die dramatische Wendungen nimmt. Denn in den Jahren vor 1900, als die Schülerinnen Elisa (Natalia de Molina) und Marcela (Greta Fernández) auf den ersten Blick erkennen, dass sie füreinander geschaffen sind, werden gleichgeschlechtliche Liebschaften im katholischen Spanien noch mit schweren Strafen belegt.
Also müssen die Frauen mit vielen Tricks Versteck spielen, um ihre Beziehung vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Das geht jahrelang gut, doch dann wird Marcela von einem Mann vergewaltigt. Sie ist schwanger. Als Reaktion kommen die Frauen auf die Idee, zu heiraten. Elisa im Anzug als Mann verkleidet, daneben Marcela im Hochzeitskleid: So gelingt es ihnen im Jahr 1901 (der Film erzählt eine wahre Geschichte), als Mann und Frau kirchlich getraut zu werden. Aber die katholische Kirche und die Behörden kommen dem Paar bald auf die Schliche.
Regisseurin Isabel Coixet, die 2003 mit dem Krebsdrama „Mein Leben ohne mich“ berühmt wurde, hat diese Geschichte mit viel Gefühl und Sinnlichkeit in edlen Schwarz-Weiß-Bildern verfilmt. In der ersten halben Stunde strahlt „Elisa & Marcela“ pure Poesie aus, wenn die jungen Mädchen ihre emotionale und bald auch erotische Verbundenheit entdecken. Aber sie stehen unter der Kuratel misstrauischer Erwachsener. Marcela wird von ihren Eltern, die etwas ahnen, auf ein Internat geschickt.
Jahre später begegnen die Frauen einander wieder, und die Leidenschaft lodert in ihnen augenblicklich wieder hoch. Doch das gemeinsame Leben ist nicht leichter geworden: Tagsüber haben Elisa und Marcela als  Lehrerinnen wichtige Funktionen in der Gesellschaft – abends, in der Freizeit oder beim Tanz, müssen sie vor der gleichen Gesellschaft ihre Verbindung verbergen.
Isabel Coixet, die auch das Drehbuch schrieb, ändert in diesen Passagen den Ton des Films. Aus der sanften Romanze wird auf einmal ein Frauenrechts- und Gender-Drama, das harte Töne anschlägt. Die Hauptdarstellerinnen Natalia de Molina und Greta Fernández bringen erst die Verliebtheit und dann die Kampfbereitschaft gleichermaßen kompetent auf die Leinwand. So ist „Elisa & Marcela“ ein sehr privates und zugleich sehr politisches Drama geworden, das im Nachspann dann daran erinnert, dass gleichgeschlechtliche Liebe auch in der Gegenwart noch in vielen Ländern juristisch verfolgt wird. Einer der besten Filme der Berlinale 2019.
Kinostart: Kein Termin
Publikums-Chancen: Gut – falls Produzent Netflix den Film für eine Kino-Auswertung freigibt
Gesamteindruck:  Eindrucksvolle Mischung aus zarter Romanze und Frauenrechts-Drama