„Midnight Special“
Genre: Science Fiction, Thriller. Regie: Jeff Nichols (USA). Star-Faktor: Hoch (Kirsten Dunst, Michael Shannon, Joel Edgerton, Adam Driver). Berlinale-Premiere: Im Wettbewerb um den Goldenen Bären.
„Midnight Special“ beginnt wie ein knallharter Thriller. Nächtlicher Alarm in Texas. Ein achtjähriger Junge ist aus dem Anwesen seiner Zieheltern entführt worden. Die TV-Stationen trommeln den Fall auf allen Kanälen, die Polizei leitet eine Großfahndung ein. Auch die Sippe der Zieheltern ist schwer bewaffnet hinter den Entführern her. Der kleine Alton (Jaeden Lieberher) lebte in der ungemütlichen Obhut einer fundamentalistischen christlichen Sekte.
Bald erfährt das Publikum: Die Entführer sind keine Gangster, sondern der Vater (Michael Shannon) des Jungen und ein Freund (Joel Edgerton). Sie wollen kein Lösegeld erpressen, sondern den Knaben zu seiner Mutter (Kirsten Dunst) bringen. Und vor allem: Sie wollen den kleinen Alton beschützen.
Denn irgendetwas ist ungewöhnlich mit dem Jungen. Er verträgt kein Tageslicht. Schaut man ihm zu tief in die Augen, entstehen faszinierend-gefährliche Lichtbögen. Und blickt der kleine Kerl konzentriert ins nächtliche Firmament, kann es gleich darauf einen katastrophalen Metallregen geben. Denn Alden hat einen Satelliten vom Himmel geholt. Er besitzt übernatürliche Kräfte.
Autor/Regisseur Jeff Nichols („Mud“) erzählte in Berlin, er habe das Projekt „Midnight Special“ begonnen, als sein einjähriger Sohn sehr krank war: „Ich hatte Angst, er könnte sterben – und musste erkennen, dass ich keinerlei Kontrolle über das Kind habe, mit dem ich auf ewig verbunden bin. Ich drehte diesen Film aus Sorge um meinen Sohn.“
Einem Buben übermenschliche Fähigkeiten zu schenken, ist da natürlich eine beruhigende Idee für einen besorgten Vater und Filmemacher. „Midnight Special“ wandert vom (Polit-)Thriller – außer den Christen-Fundis wird auch der Geheimdienst NSA aufs Korn genommen – zum Science-Fiction-Abenteuer.
Meisterwerke wie „Starman“ oder „E.T.“ seien seine Einflüsse gewesen, sagt Regisseur Nichols über seinen ungemein eleganten und stylishen Film. Die Story läuft (ohne zu viel zu verraten) auf die These hinaus, dass auf dem Planeten Erde noch eine zweite, eine Parallel-Welt existiert, die von uns gewöhnlichen Sterblichen nicht wahrgenommen werden kann. Muss man nicht glauben. Aber als Filmthema kommt es ganz prächtig rüber.
Kino-Chancen: Im Prinzip gut – allerdings nicht in Österreich. Während der Film am 18. Februar in Deutschland startet, gibt es für Österreich keinen Termin. Dort soll „Midnight Special“ im Juni als DVD erscheinen. Gesamteindruck: Spannender und blitzgescheiter SciFi-Thriller mit Kultfilm-Potenzial.
„Grüße aus Fukushima“
Genre: Drama. Regie: Doris Dörrie (Deutschland). Star-Faktor: Niedrig (Rosalie Thomass und ein japanisches Ensemble). Berlinale-Premiere: In der Sektion Panorama.
Deutschlands Star-Regisseurin Doris Dörrie landete 2008 mit dem Melodram „Kirschblüten – Hanami“ einen großen Kino-Hit, der in Japan spielte. Für „Grüße aus Fukushima“ ist sie jetzt nach Japan zurückgekehrt. Persönliche Einschätzung: Der Film wird wohl weniger Zuschauer ins Kino locken als „Kirschblüten“, ist aber bedeutend interessanter.
In der ersten, grotesk überhöhten, Szene sieht man eine Frau namens Marie (Rosalie Thomass), die am Tag ihrer Hochzeit offenbar die Panik bekommen hat. Die Ehe ist im Eimer. Und Maries Lebensplanung auch. Um etwas Sinnvolles zu tun, fliegt die junge Frau nach Japan. Dort will sie als Mitglied einer kleinen Clowntruppe etwas Heiterkeit in die Gesichter jener Menschen zaubern, die nach der Atom-Katastrophe von Fukushima in Lagern leben müssen.
Allerdings geht dieses Projekt ebenfalls nicht zu Maries Zufriedenheit aus. Die Frau, die sich selbstzerstörerisch selbst fertig macht, steht einmal mehr vor den Trümmern ihrer Existenz. Diesmal allerdings 10.000 Kilometer entfernt von daheim.
Doch dann knüpft Marie Kontakt zur eigenwilligen Japanerin Satomi (Kaori Momoi), einst die letzte Geisha von Fukushima. Die knurrige Dame will zurück in ihr altes Haus, obwohl es in der Sperrzone liegt. Marie überwindet ihre Strahlenangst und sie überwindet auch die abweisende Art der Japanerin. Gemeinsam machen die beiden aus der Ruine ein notdürftig bewohnbares Haus. Ohne Wasser, ohne Strom. Aber voller zwischenmenschlicher Brückenschläge. Denn auch Satomi hat in ihrer Seele viele Probleme versenkt, die nach außen drängen.
„Grüße aus Fukushima“ ist in hartem, kontrastreichem Schwarz-Weiß gehalten, das dem Film eine ungemein attraktive optische Aura verleiht. Hart sind auch die Bilder aus Fukushima, die wie eine Dokumentation offenlegen, was für eine Katastrophe die Natur (durch das Erdbeben) und der Mensch (durch die Atomkraft) dort angerichtet haben.
Voll melancholischer Komik sind hingegen die Trauriger-Clown-Passagen, die Marie bei der ernsten Arbeit des Komödiantentums zeigen. Und draußen in der Einöde, in der improvisierten Zweier-WG von Marie und Satomi, wird der Film übersinnlich.
Denn in der schwarzen Dunkelheit der Nacht werden die Frauen von den inneren Dämonen ihres Lebens heimgesucht, die der Film als äußere Dämonen hörbar und sichtbar macht. Wenn die Kamera mit der verschreckten Marie dann den Blick nach außen wagt, huschen Gestalten über die Leinwand, als wäre hier eine professionelle Variante des „Blair Witch Project“ gedreht worden.
Die beiden Frauen finden in dieser verwunschenen Welt ganz langsam zueinander - und sie finden wieder zu sich selbst. So endet „Grüße aus Fukushima“ als spirituelles, weises Kinostück, aus dem die bösen Geister durch die Kraft des Innehaltens, des Zuhörens und des Reflektierens vertrieben werden. Sehenswert.
Kino-Chancen: Potenzieller Arthaus-Hit. Gesamteindruck: Eindrucksvolle Mischung aus Tragikomödie, Doku und Seelendrama in betörend schönen Schwarz-Weiß-Bildern.