Berlinale

Goldener Bär für „Schwarze Kohle“

15.02.2014
von  Gunther Baumann
Dieser Film gefiel der Berlinale-Jury am besten: Der Thriller „Black Coal, Thin Ice" © Berlinale
Filmfestival-Juroren sind berüchtigt für eigenwillige Entscheidungen. Das gilt auch für die Berlinale 2014: Mit dem chinesischen Thriller „Black Coal, Thin Ice“ gewann am Samstag ein Film den Goldenen Bären, den niemand auf der Rechnung hatte.  Auch drei Silberne Bären, darunter die Darsteller-Preise,  gingen nach Asien.  Der hohe Favorit und Festival-Darling Richard Linklater („Boyhood“) musste sich mit dem Preis für die beste Regie begnügen.  In einem Fall bewies die Jury um James Schamus, Barbara Broccoli („Bond“-Produzentin) und Christoph Waltz einen schrägen Sinn für Humor:  Sie vergab den „Alfred-Bauer-Preis für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet“, an „Aimer, boire et chanter“ von Alain Resnais. Der Altmeister des französischen Kinos wird demnächst 92.
Gold. „Black Coal, Thin Ice“, der Berlinale-Sieger, ist ein klassischer Genre-Film: Ein Thriller, ein chinesischer Film noir. Es geht um zwei Mordserien. Ein Ex-Polizist, der nach seiner Suspendierung als Wachmann arbeitet, setzt alles daran, die Taten aufzuklären – und macht dabei schreckliche Entdeckungen.
 
Der spannende und düstere Film von Regisseur Diao Yinan wurde bei der Premiere wohlwollend aufgenommen. Doch kaum ein Beobachter setzte darauf, dass „Black Coal, Thin Ice“ den Goldenen Bären holen könnte. Der Regisseur offenbar auch nicht: Als er die Siegesstatue entgegennahm, sagte er – erst einmal gar nichts. Um nach ausgiebigem Schweigen die Festival-Stadt ans Herz zu drücken: „Berlin, ich liebe dich!“
 
Linklater. Ob Richard Linklater am Samstag Berlin liebte, sei dahingestellt. Die Enttäuschung im Berlinale-Palast war bei der Live-Übertragung greifbar, als der Name des Texaners schon relativ früh aufgerufen wurde (was bedeutete, dass er  nicht für Gold in Frage kam). Der Regiepreis, den er für sein bravouröses Jugenddrama „Boyhood“ erhielt, wirkte eher wie ein Trostpreis.
 
Linklater als besten Regisseur des Festivals zu würdigen, ist im Fall von „Boyhood“ fast eine Themenverfehlung. Denn die Regie-Arbeit war nur ein Teilaspekt dieser überwältigenden Alltags-Saga einer Kindheit und Jugend: Formal ging Linklater einen abenteuerlichen neuen Weg, indem er seine Darsteller über einen  Zeitraum von zwölf Jahren  begleitete und aus den jährlichen kurzen Drehs ein Dialog-Drama montierte, das wirkt wie aus einem Guss. Allein dafür hätte er den Goldenen Bären verdient.
 
„Danke. Diese Auszeichnung ist eine Ehre“, meinte Linklater cool, als er seinen Silberbär in Händen hielt. „Ich nehme den Preis an im Namen der mehr als 400 Beteiligten, die im Laufe der Jahre an ,Boyhood‘ mitgearbeitet haben“.
 
Publikum. „Boyhood“ ist neben „The Grand Budapest Hotel“ von Wes Anderson  (Großer Preis der Jury) der einzige preisgekrönte Berlinale-Film, der in den Kinos der westlichen Welt ein nennenswertes Publikums-Potenzial hat. Ob „Black Coal, Thin Ice“ den Sprung in die Arthaus-Kinos schafft und dort reüssiert, bleibt abzuwarten.     
 
Eine deutsche Produktion, die Silber fürs beste Drehbuch erhielt, könnte im deutschen Sprachraum zum Insider-Hit werden. „Kreuzweg“ von den Geschwistern Anna (Buch) und Dietrich Brüggemann (Buch & Regie) erzählt in 14 formal strengen Bildern den Kreuzweg einer 14-Jährigen, die durch christlichen Fundamentalismus erst in religiösen Wahn und dann in den Tod getrieben wird. Die Wienerin Franziska Weisz beeindruckt mit dem Porträt einer in ihrer christlichen Radikalität furchterregenden Mutter.
 
Anna und Dietrich Brüggemann waren strahlende Gewinner: „So ein Preis ist auch eine Ermutigung, weiterzumachen“, sagte der Regisseur. „Dieser kleine Kerl“ – er deutete auf den Silberbär – „weist in die Zukunft!“
 
Österreich. Österreichs Wettbewerbsbeitrag „Macondo“ ging bei der Preisverleihung – wie einige andere überzeugende Filme auch – leer aus. Doch zwei österreichische Dokumentaristen durften sich abseits der Bären-Gala über Auszeichnungen freuen. 
 
Johannes Holzhausen gewann mit „Das große Museum“, seinem mitreißenden Blick hinter die Kulissen des Wiener Kunsthistorischen Museums, den Caligari-Preis für den besten Film der Forum-Sektion des Festivals. Und Hubert Sauper (2006 Oscar-nominiert mit „Darwin’s Nightmare“) holte mit seinem neuen, schon in Sundance gezeigten Film „We Come As Friends“  den Friedensfilmpreis der Berlinale.

Die Preisträger
 
Goldener Bär: „Black Coal, Thin Ice“ von Diao Yinan (China)
Großer Preis der Jury: „The Grand Budapest Hotel“ von Wes Anderson (USA)
Silberner Bär (Alfred-Bauer-Preis für einen Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet): „Aimer, boire et chanter“ von Alain Resnais (Frankreich)
Silberner Bär (bester Darsteller): Fan Liao; „Black Coal, Thin Ice“ (China)
Silberner Bär (beste Darstellerin): Haru Kuroki; „The Little House“ (Japan)
Silberner Bär (beste Regie): Richard Linklater; „Boyhood“ (USA)
Silberner Bär (herausragende künstlerische Leistung: Zeng Jian; Kameramann bei „Blind Massage“ (China)
Silberner Bär (bestes Drehbuch): Anna und Dietrich Brüggemann; „Kreuzweg“ (Deutschland)
Bester Erstlingsfilm: „Güeros“ von Alonso Ruizpalacios (Mexiko)
Caligari-Filmpreis: „Das große Museum“ von Johannes Holzhausen (Österreich)
Friedensfilmpreis: „We Come As Friends“ von Hubert Sauper (Österreich)