„Wie ein Gang durchs versunkene Berlin“
14.10.2017
Interview:
Peter Beddies
„Babylon Berlin“: Auf Sky ist jetzt die teuerste TV-Serie angelaufen, die jemals auf Deutsch produziert wurde (ab Ende 2018 gibt’s die Serie auch im Free TV bei der ARD). Die Storys stammen von Krimi-Autor Volker Kutscher. Der nahm 2007 mit „Der nasse Fisch“ eine Serie von Thrillern in Angriff, die im Berlin der Zwischenkriegszeit spielen. Die Regisseure Tom Tykwer („Lola rennt“), Henk Handloegten („Liegen lernen“) und Achim von Borries („Was nützt die Liebe in Gedanken“) haben die Roman-Bestseller nun auf atemraubende Weise fürs TV bebildert. FilmClicks traf das Regie-Trio zum Interview in Berlin.
FilmClicks: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine TV-Serie über die 1930er Jahre zu machen?
Henk Handloegten: Das muss so um fünf Jahre her sein. Da haben wir uns zu dritt unterhalten, was wir gern mal machen wollten. Und es wurde schnell klar, dass uns die Dreißiger Jahre unglaublich interessieren.
Tom Tykwer: Aber es wurde auch schnell klar, dass wir zwar reichlich Ideen für ein Sittenbild hatten. Doch uns fehlte einfach die Idee für eine Geschichte.
Achim von Borries: Da traf es sich sehr gut, dass der Autor Volker Kutscher schon zuvor den Dreißiger-Jahre-Krimi „Der nasse Fisch“ veröffentlicht hatte. Das passte wunderbar. So bekamen wir eine Grundlage, die wir uns dann noch zurechtbasteln mussten.
Für alle, die die Bücher nicht kennen: Was macht die Krimis von Volker Kutscher so besonders?
Handloegten: Der Tenor der Leser ist immer, die Romane seien wie ein Spaziergang durchs versunkene Berlin. Das wollten wir auch mit unseren Mitteln darstellen. Volker Kutscher ist Historiker und seine Bücher sind alle extrem gut recherchiert. Das merkt man den Büchern auch an – und hat uns sehr geholfen.
Borries: Was uns ebenfalls sehr geholfen hat, das war die Idee aus seinen Krimis, Polizisten als Türöffner einzusetzen. Dadurch mussten wir nicht großartig erklären, warum wir jetzt in diese und jene Bude oder in einen Saal hineinschauen. Die Polizei klopft an und wird eingelassen. Das war wunderbar.
Sehr schön an „Babylon Berlin“ ist, dass die Serie eine wunderbare Energie besitzt. Das wirkt manchmal sehr heutig.
Tykwer: Wir haben uns immer gefragt: Wer weiß, was damals in der Zwischenkriegszeit schon gesellschaftlich möglich war? Wir möchten ja die Ahnung bestätigen, dass viel verloren gegangen ist, als die Phase der Weimarer Republik so abrupt abgewürgt wurde. Da ist uns wahrscheinlich ein großer Schatz verloren gegangen. Den wollten wir zeigen. Und wir wollen die Bilder nicht angestaubt wirken lassen, zum Beispiel bei den Ball-Szenen. Das sollte in die damalige Zeit passen und dennoch aufregend modern wirken.
Kommen wir zur praktischen Arbeit. Wie geht man so ein Monster von einer Serie an?
Borries: Also, zuerst haben wir zweieinhalb Jahre am Drehbuch gesessen.
In einem schönen Haus am Meer?
Tykwer: Haha, von wegen! Es war ein etwas größerer Raum, in dem wir gearbeitet haben. Alle Figuren und alle Orte der 16 Folgen kamen auf Kärtchen und wurden dann an die Wände gepappt. Hunderte Karten hingen da. Das war nicht ohne, da die Übersicht zu behalten.
Handloegten: Dann haben wir gedreht. Ein ganzes Jahr lang, alle drei von uns – parallel. Mal haben die Schauspieler mit dem einen, dann wieder mit dem anderen gearbeitet.
Wie behält man da die Übersicht?
Tykwer: Indem man versucht, Kontinuität hineinzubringen. Zum Beispiel, im Team jemanden zu beauftragen, die Kostüme für den kompletten Dreh zu beaufsichtigen. Der konnte es einem dann sagen kann, wenn irgendwelche Anschlüsse nicht stimmten.
Wie oft haben Sie sich zu dritt gesehen?
Tykwer: Schon ziemlich oft. Manchmal auch länger, als uns lieb war
(lacht)
Wieso?
Tykwer: Naja, wir haben uns manchmal gesagt: Lasst uns mal sehen, was wir bisher so haben. Dann setzten wir uns zusammen. Und um überhaupt erstmal einen Überblick zu bekommen, was schon gedreht wurde, mussten wir zwei Tage am Stück gucken. Das macht man nicht mal so eben nebenbei.
Borries: Und als wir dann fertiggedreht hatten, haben wir uns im Schneideraum wieder zusammengesetzt. Denn so ein Produkt entsteht dreimal: Beim Schreiben, beim Drehen und dann beim Schneiden.
Wann hatten Sie die Gewissheit, dass alles gutgehen würde?
Borries: Im Juni dieses Jahres, nach viereinhalb Jahren Arbeit. Da haben wir gewusst: Das Biest ist im Käfig. Wir können es uns mal anschauen
(lacht).
Die Jahre, in denen Sie an „Babylon Berlin“ gearbeitet haben, waren politisch sehr unruhig.
Tykwer: Stimmt. Während der Arbeit an dem Projekt in den letzten fünf Jahren ist es schon augenfällig geworden, dass sich die Gegenwart zusehends ranrobbt an das, was wir in „Babylon Berlin“ erzählen. Und das war kein schönes Gefühl. Da passierten ständig Dinge. Brexit und Trump und die neuerdings in Frage gestellten Grundfesten der Demokratie. Einige verwandte Themen verhandeln wir auch in der Serie. Da hat man sich schon manchmal verwundert die Augen gerieben.
Es wird ja hin und wieder gesagt, dass man unsere Zeit heute in der Mitte Europas mit den 1920er Jahren in Deutschland vergleichen kann. Stimmen Sie dem zu?
Tykwer: Naja, ich würde es etwas anders sehen. Was wir uns heute in manchen Krisenländern anschauen, ob die das hinkriegen, das erinnert an die Zeit der Weimarer Republik. In Deutschland war die Monarchie gerade mal ein paar Jahre her. Man hatte einen verheerenden Krieg verloren und sollte ausprobieren, wie das so geht mit der Demokratie. Und die Welt hat zugesehen, ob das überhaupt klappt.
Zwei Staffeln von „Babylon Berlin“ sind abgedreht. Es heißt, dass es weitere Staffeln geben soll. In den USA machen es Regisseure wie David Fincher dann so, dass sie die Regie an jüngere Kollegen abgeben. Sie auch?
Borries: Nee, wir machen genauso weiter.
Tykwer: Auf jeden Fall. Das geht weiter.
Handloegten: Kann doch keiner so gut wie wir. Das lassen wir uns nicht mehr wegnehmen.