Emma Thompson über Politik, die Umwelt und ihren Film „Jeder stirbt für sich allein“


„Wir haben vor den falschen Dingen Angst“

18.11.2016
Interview:  Peter Beddies

„Jeder stirbt für sich allein“: Emma Thompson als Berlinerin Anna Quangel © Filmladen

„Jeder stirbt für sich allein“: Eine Engländerin (Emma Thompson) und ein Ire (Brendan Gleeson) spielen in der Verfilmung des Romans von Hans Fallada ein Berliner Ehepaar. Sie sind Anna und Otto Quangel – zwei Bürger, die es wagen, während des Zweiten Weltkriegs ihren Widerstand gegen die Hitler-Diktatur schriftlich zu artikulieren. Die zweifache Oscar-Preisträgerin Emma Thompson ist bekannt für ihr politisches Engagement. Im FilmClicks-Interview erzählt sie, warum ihr das Fallada-Projekt so wichtig ist. Und wie sie die aktuelle Weltlage sieht.


FilmClicks: Frau Thompson, war es schwer für Sie als Engländerin, in „Jeder stirbt für sich allein“ die Deutsche Anna Quangel zu spielen?
Emma Thompson: Wie meinen Sie das?
 
Na ja, hat man Ihnen daheim in Großbritannien nicht jahrzehntelang gesagt, dass die Deutschen die Bösen sind?
Stimmt, da haben Sie Recht. Ich wurde 1959 in London geboren. Der Zweite Weltkrieg war noch nicht so lange her. In meiner Familie wurde viel darüber gesprochen. Die Deutschen waren natürlich die Bösen. Und wenn ich ins Kino ging, liefen dort Propaganda-Filme. Da waren die Deutschen auch nicht sympathisch. In dieser Hinsicht wuchs ich mit einer Art Gehirnwäsche auf. Aber gerade deshalb ist es ja wichtig, Filme wie diesen zu machen, in dem ich eine Deutsche spiele.
 
Überlegt man, wenn so ein Angebot kommt, ob eine deutsche Geschichte wie „Jeder stirbt für sich allein“ nicht von deutschen Schauspielern gespielt werden sollte?
Auf jeden Fall. Das war mein erster Gedanke. Aber Sie wissen genau so wie ich, wie das im Film so geht. Projekte werden irgendwann immer größer. Und dann muss auf Englisch gedreht werden, und dann braucht man Stars. Was soll ich mich darüber aufregen? Ich kann es nicht ändern.
 
Haben Sie für die Rolle etwas Deutsch gelernt?
Ja, wir haben uns sehr bemüht, Wörter wie Obersturmbannführer ordentlich auszusprechen. Ziemlich vertrackte Angelegenheit, um ehrlich zu sein. Und ja, auch darüber hinaus habe ich einige deutsche Wörter gelernt. Aber ich wäre froh, wenn Sie jetzt nicht Wert darauf legen würden, dass ich eine Kostprobe gebe (lacht).
 
Zählt der Roman von Hans Fallada zu jenen Büchern, die Sie schon vor sehr langer Zeit gelesen haben?
Nein, so lange ist es noch nicht her. Wissen Sie, ich stamme aus einer Schauspielerfamilie, also wurde in meiner Kindheit ständig über Theater gesprochen. Meine politische Bildung bekam ich dann später, als ich in meiner Jugend mit Menschen zusammenkam, denen Politik sehr wichtig war.
 
Wie wichtig ist denn die Politik für Sie?
Politik ist überall und jederzeit da. Deshalb verstehe ich es nicht, wenn KollegInnen sagen, sie würden in Interviews nicht über Politik reden. So ein Quatsch! Stellen Sie sich vor, bei diesen Interviews würden wir nur über Filme sprechen – wie langweilig (lacht).
 
Gab es für Sie ein politisches Erweckungserlebnis?
Ja, das hat es gegeben. Es hätte sicher auch „Jeder stirbt für sich allein“ sein können. Aber es war „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque. Dieses Buch hat mir wirklich die Augen geöffnet, obwohl es von einem Krieg erzählt, der lange her ist. Danach begann meine Studienphase.
 
Parallel zu Ihrer Arbeit als Schauspielerin?
Hören Sie mal, das lässt sich doch perfekt miteinander verbinden. Wann immer ich eine für historische Rolle besetzt werden sollte, habe ich angefangen, Fragen zu stellen. Zum Beispiel „Was vom Tage übrig blieb“. Da recherchierte ich, wie viel Faschismus es in England gegeben hat. Über solche Sachen redet man nicht so gern bei uns. Aber ich weiß gern mehr und kann so Arbeit und Information miteinander verbinden.

„Aktuelles Thema“: Emma Thompson & Brendan Gleeson in „Jeder stirbt für sich allein“ © Filmladen

Wie aktuell ist „Jeder stirbt für sich allein“, diese Geschichte über deutschen Widerstand im Zweiten Weltkrieg, heute?
Hochaktuell. Gerade in einer Zeit wie unserer, in der man von vorne bis hinten belogen wird und zwar bei allen denkbaren Themen. Da tut es gut, von jemandem zu hören oder zu lesen oder zu sehen, der in einer ungerechten Zeit unbequem war, der Widerstand geleistet hat.
 
Wie sehen Sie als politisch interessierter Mensch in die Zukunft? Mit Angst?
Angst spielt heute schon eine große Rolle, das stimmt. Das Problem ist nur, wir haben vor den falschen Dingen Angst.
 
Wie meinen Sie das?
Angst ist heute interessengesteuert. Man sagt uns, wovor wir Angst haben sollen, damit wir die wirklich wichtigen Dinge übersehen.
 
Zum Beispiel?
Dass es ein Rechtssystem für Arme und eines für Reiche gibt. Oder die Geldverteilungsströme auf der Welt. Oder das ungerechte Steuersystem. Über all das, auch über den Klimawandel, sollen wir nicht sprechen. Und deshalb wird Angst vor anderen Dingen geschürt.
 
Der Kampf gegen den Klimawandel beschäftigt Sie sehr, oder?
Auf jeden Fall. Zum einen finde ich es skandalös, wie viele Millionen in die Lügen investiert werden, dass es den Klimawandel gar nicht gibt. Darüber könnte ich mich furchtbar aufregen. Man muss nur mal in die Antarktis fahren, was ich im Auftrag von Greenpeace getan habe, und zuschauen, wie das ewige Eis nicht mehr ewig ist, weil es immer weiter schmilzt. Wir berauben uns unserer Zukunft.
 
Welche kleinen Schritte für die Umwelt kann jeder Bürger selbst setzen?
Ganz einfach. Mich macht es zum Beispiel wahnsinnig, wenn ich sehe, wie sich Menschen im Supermarkt ihre Einkäufe in Plastiktüten packen lassen. Ich habe immer meine Stofftüte dabei. Ist denn das so schwer? Wissen diese Menschen nicht, dass im Ozean ein Plastikteppich schwimmt, der doppelt so groß ist wie Portugal und Spanien? Da habe ich manchmal Lust, auf diese Menschen zuzugehen und sie zu fragen: „Habt Ihr den Verstand verloren? Wisst Ihr nicht, dass das kollektive Blindheit ist?”



Kritik
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