Philipp Stölzl
über seine Verfilmung des Udo-Jürgens-Musicals „Ich war noch niemals in New York“
„Der Treibstoff des Films sind die Songs“
21.10.2019
Interview:
Gunther Baumann
Philipp Stölzl begann seine Regie-Karriere mit Musikvideos von Rammstein. Heutzutage inszeniert er nicht nur Filme, sondern auch große Opern: Der Berliner Regisseur war mit dieser Vita geradezu prädestiniert dafür, einen Musical-Hit wie „Ich war noch niemals in New York“ von der Bühne ins Kino zu transferieren. Im FilmClicks-Gespräch erzählt Stölzl, 52, wie er sich dem Udo-Jürgens-Musical näherte, warum er die Hauptrollen mit Schauspiel-Stars statt mit professionellen Sängern besetzte und welche Beziehung er zu den Evergreens von Udo Jürgens hat.
FilmClicks: Herr Stölzl, Musikfilme sind heutzutage im Kino etwas Exotisches. Was hat Sie daran interessiert, aus dem Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ einen Film zu machen?
Philipp Stölzl: Zunächst einmal die großartige Musik. Es gibt kaum andere Lieder, die so wie jene von Udo Jürgens zum deutschsprachigen Allgemeingut wurden. Mit seiner Mischung aus Sozialkritik, Seelenbild sowie großen Liebes- und Sehnsuchts-Montagen ist er ein Wahnsinns-Künstler, der es zudem immer schaffte, mit seinen Kompositionen Ohrwurm-Qualität herzustellen. Udo Jürgens hat eine sehr besondere Art von Musik erfunden. Ich hatte riesige Lust, mich mit dieser Musik auseinanderzusetzen. Der Treibstoff des Films sind die Songs.
Würden Sie „Ich war noch niemals in New York“ als Verfilmung des Musicals bezeichnen oder ist es eine Komödie mit der Musik aus der Bühnenshow?
Es ist das Musical, verfilmt. Die Figuren sind die gleichen. Wir haben die Story für das Drehbuch aber stark modifizieren müssen, weil das Musical auf der Bühne anders funktioniert. Das geht schon damit los, dass es dort zwei Akte gibt, vor und nach der Pause. Bei uns kommen die Protagonisten am Ende nach New York, das gab es im Musical nicht, weil es für die Bühne vielleicht nicht darstellbar schien. Wir haben teilweise auch die Bögen einzelner Figuren anders gebaut. Das Musical hat einen gewissen Revuecharakter, wo die Szenen von Song zu Song überleiten. Für die Bühne ist das total okay – für den Film braucht man aber viel stärkere und tiefergehende Figurenbögen. Wir wollten bei aller Leichtigkeit, die der Film hat, auch menschliche Geschichten erzählen. Das ist auch bei den großen Vorbildern so, bei „Singin’In The Rain“, „Ein Amerikaner in Paris“ oder „Funny Face“. Das sind alles Filme, die sehr bildkräftig sind und bunt und lustig, die aber auch immer Seelengeschichten erzählen. Das braucht es als Balance.
Sie meinen also, das Buch des Musicals hätte den Film nicht getragen?
Ja. Es ist im Prinzip ja die gleiche Story, mit der Fernsehmoderatorin und dem Maskenbildner, mit dem alten Paar und dem Männerpaar. Aber die sind im Musical ganz anders gestrickt. Das beginnt damit, dass die beiden Männer und die beiden Alten auf der Bühne von Anfang an Paare sind. Mit dieser Konstruktion würde man im Kinofilm die größten Bögen verschenken, denn da will man ja, dass die Liebenden sich finden, wieder verlieren und wiederfinden. Im Musical gibt es Dinge, die uns für den Film emotional nicht kraftvoll genug erschienen.
Reden wir über das Ensemble: Sie haben zwar sehr bekannte Schauspieler gecastet – doch die sind sehr hörbar keine professionellen Sänger…
Nun, wie Sie eingangs schon sagten, ist ein Musikfilm ein sehr ungewohntes Genre für ein deutschsprachiges Kinopublikum. Da braucht man Stars. Die Stars machen die Türe auf zum Publikum. Den Film mit unbekannten Musicaldarstellern zu drehen, wäre überhaupt keine Option gewesen. Man hätte den Film vielleicht mit Sängern machen können, eine Helene Fischer zum Beispiel hätte man besetzen können. Aber ich glaube fest daran, dass erst der Kontrast zwischen Musik und wirklicher Emotion und emotionaler Darstellung der Witz daran ist, wenn man so ein Musical fürs Kino adaptiert. Das kann nicht nur über den Gesang funktionieren.
Nach welchen Kriterien haben Sie denn Ihre Stars ausgesucht?
Wir haben einen Strauß an Besetzungen gemacht. Uwe Ochsenknecht und Pasquale Aleardi sind sozusagen veritable Broadway-Leute, die singen ganz toll. Dann holten wir Katharina Thalbach, die so eine Lotte-Lenya-Reibeisenstimme hat. Heike Makatsch hat schon Hildegard Knef gespielt und besitzt auch die Knef-Tonlage. Wenn man Musicals am Theater anschaut, ist die Art, wie dort gesungen wird, manchmal ein bisschen austauschbar. Mir war wichtiger, dass man bei uns Charakter-Stimmen hört. Auch „Mamma Mia!“, eines unserer Vorbilder, war nicht mit Sängern besetzt, sondern mit Kinostars. Bei Pierce Brosnan zum Beispiel merkt man, dass er sich selbst mit den relativ einfachen Abba-Harmonien nicht so leicht tut. Aber die Leute lieben es – gerade, weil er
nicht singen kann. Bei uns ist es Moritz Bleibtreu, der mehr spricht als singt, so wie früher ein Manfred Krug. Was da passiert, ist im Kinosaal total rührend. Denn dadurch wird er für das Publikum besonders greifbar als Figur. Weil man sich denkt, ah, so ähnlich könnte ich das vielleicht auch selbst singen.
Kunst kommt in Ihrem Film, was den Gesang betrifft, also nicht unbedingt von Können?
Kunst kommt immer von Können. Aber es ist die Frage, was man beim Gesang als attraktiv empfindet. Mir persönlich geht es selbst an der Oper so – ich inszeniere ja immer wieder Opern –, dass mir die sogenannten großen Stimmen, mit den klaren Höhen und den samtigen Mitten, nicht so wichtig sind, auch wenn ich das alles natürlich höre. Mir ist vor allem wichtig, dass mich eine Stimme und eine Darstellung berührt. Um auf „Ich war noch niemals in New York“ zurückzukommen: Moritz Bleibtreu singt, und das hat mich berührt. Ob das jetzt im klassischen Sinn sehr gut gesungen ist oder ob es sich im unteren Mittelfeld bewegt, das ist für mich nicht so bedeutend. Das Schönste, was Musik kann, ist, dass sie einen im Herzen berührt. Das ganz große Können ist dafür kein Kriterium – zumindest nicht immer. Und die Kraft unseres Films steckt auch im charmant Unperfekten, das es in mehreren Aspekten gibt.
Hat „Ich war noch niemals in New York“ bewusst einen gewissen Sechziger-Jahre-Touch? Ein Beispiel: Die Figuren besitzen zwar Handys, aber ihr Gepäck wirkt wie aus dem Koffermuseum…
Ja. Der Film ist in einer Art Retro-Welt angesiedelt – wir wollten bewusst überhaupt nicht an die großen Kreuzfahrtschiffe von heute erinnern, mit Wasserrutsche und Drink-All-You-Can. Das Musical zitiert ja eher die Zeit, als Schiffsreisen etwas Elegantes hatten. Aus der Ferne winkt da auch ein Regisseur wie Wes Anderson, der seine Filme stets in einer ganz eigenen Welt spielen lässt.
Ihre musikalische Bandbreite liegt zwischen Videos für Rammstein und Opern-Inszenierungen. Welche Position und welchen Stellenwert hat da Udo Jürgens für Sie?
Ich habe Udo Jürgens wie jeder Mensch in unseren Breiten immer im Ohr gehabt. Als junger Mann, der gern die Neue Deutsche Welle oder Udo Lindenberg hörte, hatte ich natürlich gewisse Vorbehalte, weil ich ihn als Schlagermensch einordnete. Doch wenn man dann etwas älter wird und sich auch etwas besser mit Musik auskennt, dann entdeckt man, wie unglaublich reich Udo Jürgens‘ Werk sowohl textlich als auch kompositorisch ist.