„Wir können auch Action!“
22.01.2017
Interview:
Matthias Greuling
Stefan Ruzowitzky ist ein Routinier. Der Oscar-Preisträger („Die Fälscher“) weiß, was es braucht, um mit Präzision große Schauwerte zu erreichen. Das hat er bei den vielen Werbespots gelernt, die er immer wieder dreht. Und das hat er nun mit dem ersten österreichischen Actionfilm „Die Hölle“ perfektioniert, in dem er die wunderbar besetzte Violetta Schurawlow durch ein von einem Serienkiller unsicher gemachtes Wien hetzt, nur mäßig beschützt vom ebenso treffend gecasteten Tobias Moretti als Kommissar. „Die Hölle“ ist tatsächlich rasantes Blockbuster-Kino geworden - aber mit einem Bruchteil des üblichen Budgets. Auch darüber haben wir uns mit dem Regisseur unterhalten.
FilmClicks: Herr Ruzowitzky, Was hat Sie dazu animiert, den Action-Thriller „Die Hölle“ zu drehen?
Stefan Ruzowitzky: Natürlich bestand für mich der Ehrgeiz darin, etwas zu realisieren, das noch keiner gemacht hat, und das der Erwartungshaltung an den österreichischen Film zuwiderläuft. Denn bisher dachten die meisten wohl, dass es das Action-Genre in Österreich auch deshalb nicht gibt, weil wir das gar nicht können. Wir können nur Beziehungsprobleme in kammerspielhaften Dimensionen abarbeiten. Ich wollte dem entgegenhalten: Nein, wir können auch Action!
Der Look des Films sieht teuer aus.
Ist es aber nicht wirklich. Da muss ich ganz unbescheiden sagen: So ein Film ist sehr viel Handwerk. Ein ruhiges, leiseres Drama, das schafft man auch ohne viel Berufserfahrung, behaupte ich einmal. Aber so einen Film, der teuer aussieht, es aber nicht ist, dazu braucht es viel Erfahrung und Routine.
Wie liest sich eigentlich ein Drehbuch zu einem Actionfilm? Was steht da genau?
Drehbuchautor Martin Ambrosch wusste sehr genau, dass er bei actionlastigen Szenen durchaus auch mal Symbol-Texte hineinschreiben muss, denn da muss ja was stehen, damit man es kalkulieren kann, also die Eckdaten, wie lange das wahrscheinlich im Film dauert und wer wann wo von der Brücke stürzt, wegen der Stuntmen. Ich hatte dazu allerdings den Ehrgeiz - und das nicht nur, weil ich Wiener bin - dass man die Action schon akkurat inszeniert. Das heißt, dass unsere Hauptfigur Özge nicht am Ring abbiegt und plötzlich über den Gürtel fährt. Die Anschlüsse sollten schon auch geografisch stimmen. Wir begannen am Ring, denn da ließ uns das Verkehrsamt eine Kreuzung sperren ab 22 Uhr. Dann drehten wir am Schwedenplatz, im Stadtpark und den umliegenden engen Gässchen.
Zumindest an den kaputtgefahrenen Autos erkennt man „Die Hölle“ als österreichischen Film: Es werden nur alte Mercedes verschrottet - solche, die halt ins Budget gepasst haben.
Das ist richtig
(lacht). Was mich noch mehr zum Schmunzeln gebracht hat, wenn man früher von Actionszenen im österreichischen Film gesprochen hat, waren es kleine Höhepunkte, wenn ein Auto in einen Fluss stürzt, und das wurde inszeniert wie ein unglaublicher Schauwert, mit Slow Motion, um diesen teuren Shot auch wirklich auszukosten. Dieses viele Geld also auf möglichst viele Sekunden verteilen. Genau das haben wir nicht gemacht. Wir haben manchmal bewusst Szenen, die eigentlich sehr teuer sind, relativ bescheiden eingesetzt. Aber das muss man auch, denn sonst wird man unglaubwürdig. Wenn du als Regisseur immer sagst: „Seht her, jetzt passiert es gleich“, dann ist man verloren.
Besonders großartig ist Tobias Moretti als sympathischer Unsympathler.
Finde ich auch. Einerseits ist er gegen den Typ besetzt. Er fand das Projekt super, aber die Figur ist nicht er. Mein Ziel war, ihn dorthin zu bringen, ein bisschen auf Lino Ventura, der ausgebuffte Kriminalkommissar. Das haut hin, finde ich. Er ist in der Rolle ein Arschloch, aber wer genauer hinschaut, findet ihn eh okay.
Wie hat sich das Action-Genre im Lauf der Jahre gewandelt?
Ich habe mir im Vorfeld viele Autoverfolgungsjagden angeschaut. Filme aus den Achtzigern, das ginge heute gar nicht mehr. Da ist alles viel zu langsam. Selbst „Ronin“ mit De Niro geht nicht mehr. Für mich sind die „Bourne“-Filme die große Zeitenwende, was das Tempo im Actionkino angeht. Hier ist es erstmals nicht mehr um eine geografische Richtigkeit gegangen, sondern um Töne und Bilder, die Reize hervorrufen und alles beschleunigen. Das macht für mich auch Sinn, denn im Fall einer Verfolgungsjagd würde ich ja auch nicht denken, ‚Oh, ich biege jetzt in die Schönlaterngasse ein“, sondern da würden die Reifen quietschen. „Ronin“ ist ein bisschen fad für heutige Sehgewohnheiten.
Ist das auch ein Grund, weshalb manche Filmklassiker vielen jungen Zuschauern langweilig vorkommen?
Das liegt daran, dass sich unsere Sehgewohnheiten massiv geändert haben. Der große Einschnitt war wohl das Aufkommen der Musikvideos in den Achtzigern. Als ich meine Laufbahn begonnen habe, gab es noch einige unumstößliche Regeln, etwa, dass man nicht von einer Totale auf einen Close Up schneiden soll, sondern zunächst auf eine halbnahe Einstellung, dann auf Nah, dann erst auf Close Up. All das gibt es nicht mehr. Die Musikvideos waren die ersten, die bewusst diese Regeln gebrochen haben.
So kann es passieren, dass sogar ein alter Hitchcock heute ziemlich öde aussieht.
Das stimmt, obwohl es seine Idee war, auf Effizienz hin zu drehen, zu erzählen und zu schneiden. Das hat er ja in seinem Interviewbuch mit Francois Truffaut immer wieder betont. „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ ist übrigens ein grandioses Buch, das so etwas wie meine Filmschule war. Es hat für mich ein Studium ersetzt und liegt bei mir völlig zerlesen im Regal.
Ganz anders ist es bei Komödien, die brauchen weniger stilistische Updates.
Lustigerweise funktionieren bei Komödien die Standards noch immer sehr gut. „Manche mögen‘s heiß“ von Billy Wilder ist zum Beispiel immer noch toll anzusehen. Auch vom Tempo her. Bei Actionfilmen geht es stark um die Entwicklung der Technik. Da fand der große Sprung statt, seit man digital schneidet. Ganz am Anfang habe ich beim Fernsehen noch mit Film geschnitten. Dabei zerschneidest du den Film ja tatsächlich und pickst ihn dann mit einer Klebepresse zusammen. Wenn man das zweimal ändert, ist dann schon so viel Tixo drauf, dass man gar nichts mehr sieht. Wir sitzen heute tagelang und schneiden ein Kader vor und zwei zurück, und das verlustfrei. Das wäre damals technisch gar nicht möglich gewesen.