Stefan Ruzowitzky
über seinen Film „Narziss und Goldmund“
„Ich wollte großes Gefühlskino machen“
05.05.2020
Interview:
Gunther Baumann
Stefan Ruzowitzky gehört mit „Narziss und Goldmund“ zu den großen Pechvögeln des bisherigen Kinojahres. Am 13. März lief seine Verfilmung der berühmten Erzählung von Hermann Hesse an. Doch wenige Tage später wurden wegen der Coronavirus-Pandemie alle Kinos geschlossen. Das opulente Mittelalter-Drama, ein potenzieller Blockbuster, hatte plötzlich keine Bühne mehr. Deshalb hat sich das Sony-Studio mittlerweile dazu entschlossen, den Film schon jetzt als Video On Demand anzubieten. „Narziss und Goldmund“ ist auf Portalen wie Amazon, Sky Store, Google Play oder Maxdome jederzeit abrufbar. FilmClicks hat mit Autor/Regisseur Stefan Ruzowitzky über sein neues Werk gesprochen. Das Interview mit dem Oscar-Preisträger („Die Fälscher“) aus Österreich fand vor der Sperrung der Kinos statt.
FilmClicks: Herr Ruzowitzky, „Narziss und Goldmund“ ist ein ewiger Bestseller, eine der meistgelesenen Erzählungen des 20. Jahrhunderts. Wie kamen Sie auf die Idee, das Buch von Hermann Hesse zu verfilmen?
Stefan Ruzowitzky: Die Initialzündung war der Anruf eines Produzenten: „Wir haben die Rechte erworben – willst du das machen?“ Nun, als Jugendlicher war „Narziss und Goldmund“ mein Lieblingsbuch. Ich habe es so wie alle aus meiner Generation mit 16 oder 17 Jahren gelesen, und danach hatte ich eine kurze Hesse-Phase. Als das Angebot kam, den Film zu drehen, habe ich natürlich sofort Ja gesagt. Das wollte ich unbedingt machen – wohl wissend, dass eine Romanverfilmung immer eine Art Interpretation ist. Man kann das Buch nicht Eins zu Eins übertragen, sondern man bringt das auf die Leinwand, von dem man selbst glaubt, dass dies die wichtigsten Aspekte des Romans sind. Natürlich mag es sein, dass mancher Fan des Buchs über den Film sagen wird, „das ist nicht mein ,Narziss und Goldmund‘.“ Kurzum: Ich wählte eine subjektive Herangehensweise, die aber von sehr viel Respekt für das Original getragen ist. Doch weil Film ein anderes Medium ist und weil seit dem Erscheinen des Buchs 90 Jahre vergangen sind, musste man ein paar Dinge mutig ändern.
Was sind aus Ihrer Sicht die Hauptthemen von „Narziss und Goldmund“ – einer Geschichte, in der es stark um Sinnlichkeit und Askese, aber auch um Innenwelt und Außenwelt geht?
Ein besonders wichtiges Motiv ist für mich die Freundschaft. Es geht aber auch um den Gegensatz Herz oder Hirn – all das ist gewiss ein Grund, warum dieses Buch sowohl bei Teenagern als auch bei erwachsenen Menschen so gut ankommt. Ich kenne Leute, die lesen „Narziss und Goldmund“ einmal im Jahr als eine Art Lebenskompass. Hermann Hesse ist es gelungen, etwas Universelles zu schaffen, das jeden auf eine Weise betreffen kann – zu Themen wie Sinnsuche, Lebensentscheidung, Freundschaft oder Weltsicht. Ich wollte großes Gefühlskino machen, und da ist das Thema Freundschaft gut. Was ich etwas stärker herausgearbeitet habe, das ist das Leid von Narziss, der so eine große schwärmerische Liebe zu Goldmund hat, der jedoch glaubt, sich alle Sexualität und alle Gefühle verbieten zu müssen, weil er ein Kirchenmensch ist.
Sie haben auch das Drehbuch zu „Narziss und Goldmund“ geschrieben. Nahm die Produktion Einfluss darauf oder konnten Sie völlig unabhängig arbeiten?
Dieser Film ist ein großes Projekt, in das viel Geld involviert ist und wo es, ich weiß nicht, 127 verschiedene Förderstellen gibt, die alle gute Ideen haben. Da dauert das Schreiben seine Zeit, und dieser Prozess tut dem Projekt sicherlich auch gut. Der Film hat mehr als neun Millionen Euro gekostet. Da gibt es Financiers, die ihr Geld aus gutem Grund auch wieder zurückverdienen wollen – und die halt mitreden. Ich bin jetzt nicht so eitel, zu sagen, das, was ich als ersten Drehbuch-Entwurf hinlege, sei perfekt. Und jede Änderung schade diesem genialen Wurf. Es ist schon wichtig, dass man da hinterfragt wird – manchmal ist es aber auch zu viel des Guten.
Wie wäre denn der ideale Produzent?
Ich bin kein klassischer Autorenfilmer wie ein Michael Haneke, der sein Drehbuch schreibt und damit zu einem Produzenten geht. Der Produzent, den ich mir wünschen würde, ist der, der sich erst einmal gut überlegt, warum er mich engagiert, weil er meine Filme kennt und deren Stil mag. Danach entwickelt man gemeinsam eine Vision, und dann stellt dieser gute Produzent hin und wieder meine Entscheidungen zur Diskussion: „Bist du dir sicher, das so zu machen?“ oder „Hier, glaube ich, entfernst du dich ein bisschen und unserer Vision.“ Es gibt aber auch die schlechten Produzenten, die sich in jedes Detail einmischen. Ein Beispiel: Bei einem meiner Projekte kam ganz am Schluss von den vielen Produzenten ein Mail: „Wir haben abgestimmt und finden, die Marimba klingt zu laut.“ So geht es nicht, denn man kann Filme nicht als Komitee machen, wo jeder, der mitproduziert, auch mitbestimmen darf.
„Narziss und Goldmund“ ist ein Film, der im Mittelalter spielt. Wie geht man an die Aufgabe heran, den Film nicht so wirken zu lassen, als würde in alten Kostümen und Dekorationen eine Geschichte von heute erzählt?
Wann und wo die Handlung angesiedelt ist, wurde von Hermann Hesse sehr bewusst nicht genau verortet, weil es ja vor allem um die philosophische Parabel geht. Würde ich einen historischen Film machen, der im Mittelalter spielt, dann wäre das sicher eine Szenerie, die düsterer, dreckiger und gewalttätiger wirken würde als das idealisierte, bunte Mittelalter, das wir in „Narziss und Goldmund“ zeigen. Was die Sprache betrifft, habe ich versucht, möglichst viele wichtige Hesse-Zitate aus dem Roman einzubauen. Das ist aber immer wieder relativ schwülstig, und man muss danach trachten, in den Dialogen einen Ausgleich zu finden. Ich habe mich immer diebisch gefreut, wenn es mir gelang, ein bedeutendes Hesse-Zitat einer Hausmagd oder einer Hure unterzujubeln, die das dann irgendwie en passant sagt. Aber der ganze Film hat eine Kunstsprache. Dem entgeht man nicht, wenn man Literatur verfilmt.
Wie leicht oder wie schwer war es, die Hauptrollen zu besetzen – Sabin Tambrea als Narziss und Jannis Niewöhner als Goldmund?
Jannis Niewöhner war schon zu Beginn des Projekts dabei. Er ist hundertprozentig ein Goldmund: Immer gut aufgelegt, liebt alle Menschen und alle Menschen lieben ihn. Er ist einer, der beim Dreh jeden Morgen das ganze Team umarmt und herzt. All das spürt man auch im Film: Ich habe zum Beispiel noch nie einen Schauspieler gesehen, der so weinen kann wie Jannis. Bei ihm ist alles Gefühl, und er hat überhaupt keine Scheu, das auch herzuzeigen. Sabin wiederum ist hundertprozentig ein Narziss: Mehr der Intellektuelle und immer ein bisschen auf Distanz. Er ist ein klassisch gelernter Schauspieler, der die Arbeit analytisch angeht. Wenn er vor der Kamera weint, dann aufgrund eines analytischen Prozesses. Bei beiden Schauspielern entspricht die Persönlichkeit ideal ihrer Rolle. Bei Jannis kommt noch hinzu, dass es wichtig für die Rolle ist, dass er super ausschaut. Denn es muss ja glaubhaft sein, dass alle Frauen und Männer auf ihn reinfallen.
Als junger Goldmund ist in einigen Szenen der Salzburger Kinderdarsteller Jeremy Miliker zu sehen, der so bravourös in Adrian Goigingers Arthaus-Hit „Die beste aller Welten“ aufspielte…
Bei ihm ist es dasselbe wie bei Jannis Niewöhner: Jeremy betritt den Raum und die Sonne geht auf. Er ist ein sehr großes Talent.
„Narziss und Goldmund“ war im Winter 2020 fertig – es hat mich verwundert, dass diese Verfilmung eines großen deutschen Romans im Februar nicht bei der Berlinale zu sehen war.
Es gab einmal die Überlegung für eine Premierengala außer Konkurrenz, aber „Narziss und Goldmund“ ist kein klassischer Arthaus-Festival-Film – dafür ist er zu wenig kontroversiell, zu mainstreamig, zu breit aufgestellt.
Springen wir von der Berlinale zu den Oscars. Wie kommentieren Sie die Tatsache, dass dieses Jahr mit dem koreanischen Cannes-Sieger „Parasite“ erstmals eine Produktion des Weltkinos zum besten Film des Jahres gewählt wurde?
Diese Wahl zeigt die Oscars an einem Scheideweg, wobei ich noch nicht genau weiß, wie das zu bewerten ist. In der Vergangenheit war es immer so, dass bei den A-Festivals, in Cannes und Venedig, die kontroversiellen Filme und die Kritiker-Lieblinge gefeiert wurden, während die Oscars breiter waren, mit Publikumsfilmen wie etwa „Titanic“. Ganz ketzerisch ausgedrückt: Wenn das jetzt zusammenwächst, wenn die Oscars also Cannes hinterherhoppeln, dann könnte das bedeuten, dass auch etwas verlorengeht. Eine Anmerkung noch in Sachen „Narziss und Goldmund“: Vor 15 Jahren hätte so ein Film Super-Chancen gehabt, für den Oscar des besten internationalen Films nominiert zu werden – europäisches Kino, Kultur, schöne Gedanken und Kostüme. Jetzt ist das schwieriger.