Eva Rotter
über die Ära von Hans Hurch und die künftige Leitung der Viennale
„Eine internationale Lösung wäre fantastisch“
13.11.2017
Interview:
Gunther Baumann
Eva Rotter hat als Geschäftsführerin der Viennale miterlebt, wie das Wiener Filmfest in den 20 Jahren der Ära Hans Hurch zu einem der meistbeachteten Festivals in Europa heranwuchs. Nach dem unerwarteten Tod des Direktors am 23. Juli musste sie gemeinsam mit dem Team die Viennale 2017 über die Bühne bringen – eine Herausforderung, die nach allgemeiner Auffassung prächtig gemeistert wurde. Nun moderiert die Wienerin den Übergang zur neuen künstlerischen Leitung des Festivals, die bis Ende Jänner 2018 fixiert werden soll. Im FilmClicks-Interview spricht Eva Rotter über ihre Wünsche an die künftige Direktion, über den Schock der Todesnachricht sowie den Husarenritt, das Festival 2017 zu organisieren – und über das Vermächtnis von Hans Hurch: „Seine Ära steht für Qualität und Internationalität; für Offenheit und Wahrhaftigkeit. Und für einen kritischen Geist.“
FilmClicks: Die Viennale steht vor einer Zeitenwende. Die Ausschreibung für die künstlerische Direktion ab 2018 wurde vor einigen Tagen international veröffentlicht. Werden Sie bereits mit Bewerbungen überflutet?
Eva Rotter: Die ersten Bewerbungen sind schon eingetroffen. Die Frist endet am 5. Dezember, und soweit ich Ausschreibungen kenne, schicken viele Interessenten ihre Unterlagen erst spät ab. Es gibt sicher Leute, die sich jetzt schon in Position bringen. Aber ich bin überzeugt davon, dass die Findungskommission und der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny sehr sorgfältig darauf schauen werden, dass es eine gute Lösung wird. Das muss jetzt gar keine lokale Wiener Lösung sein – für uns, für das Festival, wäre eine internationale Lösung fantastisch, finde ich. Jemand, der einen neuen Blick auf die Viennale wirft und auch international gut vernetzt ist. Damit die internationale Positionierung der Viennale weitergeht. Ich glaube, dass dies auch Hans Hurch bevorzugen würde: Dass man eine neue Leitung findet, die nicht mit den Wiener Cliquen verbunden ist. Ob Mann oder Frau, das ist egal.
Inländische Interessenten könnten sehr betrübt sein, wenn sie diese Aussage von Ihnen lesen.
Mag sein. Aber die Viennale könnte eine internationale Lösung gut vertragen. Das wäre auch ein schönes Zeichen nach außen, wenn die Viennale von einer charismatischen internationalen Persönlichkeit weitergeführt wird. Von einer integren Person, die auch gut in unser Team passt und mit der wir gut arbeiten können. Die Viennale steht so schön da – und sie soll jetzt noch weiter ins Licht geführt werden.
Ein Hans Hurch mit 44 Jahren hätte da aber schlechte Karten, wenn er sich jetzt bewerben würde.
Warum?
Na, weil er eine inländische Lösung wäre. Außerdem ist mir in der Ausschreibung eine Anforderung aufgefallen, die es ihm seinerzeit schwer gemacht hätte, sich überhaupt zu bewerben: Da ist „Erfahrung in verantwortungsvoller Position in der Programmierung von internationalen Festivals“ gewünscht.
Stimmt, vor 20 Jahren hätte Hans Hurch diese Anforderung nicht erfüllen können. Aber natürlich ist die Formulierung in der Ausschreibung eine Wunschvorstellung. Wenn jetzt jemand kommt, der kein namhaftes Festival geleitet hat, muss man schauen, wer das ist. Es geht auch sehr stark um Teamfähigkeit und um die soziale Kompetenz der Bewerber. Man muss so ein Team leiten und führen können. Und es geht darum, das Budget lesen und die Finanzen einschätzen zu können. Wenn jemand nie mit Zahlen zu tun hatte, ist es schwierig, schnell bei einem Unternehmen wie der Viennale einzusteigen.
A propos Zahlen: Die Honorierung der Viennale-Direktion wird in der Ausschreibung mit 90.000 Euro pro Jahr beziffert. Das scheint mir für eine wichtige Leitungsposition im Kulturbetrieb ein eher bescheidener Betrag zu sein.
Das wissen wir, aber das entspricht ungefähr dem Einkommen, das auch Hans Hurch hatte. Wir müssen uns nach unserem Budget richten. Viel Spielraum ist bei der Gage leider nicht drin, außer, man stellt die Viennale komplett um. Vor ein paar Jahren gab es ein Ranking, wer wieviel verdient im Wiener Kulturbetrieb, und da stand Hans Hurch an allerletzter Stelle. Als Hans als Viennale-Direktor begann, bot ihm die seinerzeitige Kulturstadträtin Ursula Pasterk übrigens mehr Geld an. Doch als er dann das Budget des Festivals und die Einkommen der Leute im Team sah, hat er seine Gage freiwillig gekürzt, um besser ins System zu passen. Die Viennale ist kein Betrieb mit einer großen Spitze hoch oben – und dann kommt lange nichts. Das muss schon ins Gesamtbild passen. Auch das ist die Viennale. Wenn jemand kommt und das Doppelte will, wird sich das bei uns nicht ausgehen.
Soll die Viennale in Zukunft neu und anders werden oder soll sie von der heutigen Basis aus voranschreiten?
Ich würde mir wünschen, dass die Viennale die heutige Qualität und den heutigen Level halten kann und dass sie sich an bestimmten Ecken und Enden neu entwickeln wird. Natürlich wird ein neuer Direktor oder eine neue Direktorin eigene Aspekte einbringen, was die Filmauswahl betrifft. Doch dass die Viennale die großen Produktionen des aktuellen Jahres zeigt, das wird ein Hauptbestandteil des Programms bleiben. Plus den Tributes und den Spezialprogrammen.
Was würden Sie sagen, wenn jemand vorschlagen sollte, die Viennale viel größer werden zu lassen, zu einem A-Festival mit Wettbewerb?
Ich glaube, dass die Viennale keinen Wettbewerb braucht. Es gibt genug Festivals mit Wettbewerben. Was ist denn das Tolle an einem Wettbewerbs-Festival? Dass viele Stargäste kommen und dass die Stadt noch mehr im Rampenlicht steht. Da besteht dann aber die Gefahr, dass man sich ein bisschen verzettelt und mehr aufs Rampenlicht schaut als auf die Qualität. Die Viennale ist vergleichsweise kleiner, sie ist ein Publikums-Festival und sie ist auch nicht finanziell ausgestattet für die Anforderungen eines A-Festivals. Die Stadt müsste also viel mehr Geld in die Hand nehmen – was sie, wie ich glaube, nicht wollen wird. Wir haben mit der Viennale etwas sehr Schönes: Wir sind in unserer Nische ein feiner, kleiner Edelstein in der internationalen Filmlandschaft. Diese Qualität wollen wir halten. Ohne einen Wettbewerb und ohne ein A-Festival zu sein.
Blicken wir noch einmal zurück auf die Viennale 2017. Wie haben Sie das Festival nach dem unerwarteten Tod von Hans Hurch erlebt?
Es war eine ganz spezielle Viennale, bei der für uns kein Alle-Jahre-Wieder-Gefühl aufkam, weil das ganze Team und auch ich selbst mit vollem Einsatz und Enthusiasmus daran arbeiteten, dass das Festival auch unter diesen besonderen Umständen gut funktionierte. Ich wollte, dass es eine besonders schöne Viennale wird, in der das Licht auf das Festival sowie auf die Erinnerung an Hans Hurch und seine Arbeit auch sichtbar wird. Das war eine große Herausforderung und eine schöne Arbeit zugleich.
Sie haben die 20 Jahre der Ära Hans Hurch bei der Viennale aus nächster Nähe miterlebt. Was sind die größten Veränderungen von der Viennale 1997 bis zur Viennale 2017?
Das Festival war vor 20 Jahren kleiner, es war vielleicht noch nicht so professionell organisiert wie heute und die Besucherzahl lag um ein Drittel niedriger. Der größte Unterschied ist aber am internationalen Standing des Festivals sichtbar. Damals war die Viennale in erster Linie noch ein lokales Festival, mit der Hauptaufgabe, dem Wiener Publikum die wesentlichen Produktionen des Filmschaffens abseits des kommerziellen Kinos zu zeigen. In den letzten zehn bis 15 Jahren hat sich der Status der Viennale in der Filmwelt wesentlich verändert. Ich bekomme immer wieder von begeisterten Gästen zu hören, dass es kaum ein anderes Festival gibt, in dem man so einen schönen Überblick über das Weltkino bekommt. Es gibt inzwischen viele Filmemacher, die ihre Erstlingswerke hier gezeigt haben, dann jährlich nach Wien kommen und auch ihre neuen Filme unbedingt bei der Viennale präsentieren wollen. Das ist das Werk von Hans Hurch, der immer die Neugier hatte, Filmemacher zu entdecken oder auch wiederzuentdecken.
In der Pariser „Le Monde“ stand jetzt das Lob, die Viennale sei das zweitwichtigste Filmfest in Europa nach Cannes.
Das ist doch schon mal was!
(lacht) Dabei haben wir gar nicht so viel anzubieten. Wir haben keinen Wettbewerb und keinen Roten Teppich. Natürlich ist Wien eine wunderschöne Stadt im Herbst und wir bespielen alte, schöne Kinos in der Innenstadt. Aber die Viennale ist kein Glamourfestival. Wir haben keine großen Weltpremieren und nicht viele große Stars, sondern meistens nur einen, so wie in diesem Jahr Christoph Waltz. Mehr wäre von unserem Budget-Rahmen gar nicht möglich. Statt Glamour haben wir eine große Dichte, eine Vielfalt und eine Buntheit. Und viel Qualität. Die Filmemacher und Branchengäste haben die Möglichkeit, einander kennenzulernen, miteinander zu sprechen und Projekte zu entwickeln. Dafür bieten wir im kleinen Kreis Abendessen mit vielleicht 30 Personen an. Wir wollen, dass sich unsere Gäste wirklich wohlfühlen und nicht anonym durch die Straßen ziehen.
Wie haben Sie den Moment erlebt, als am 23. Juli die Nachricht kam, Hans Hurch sei in Rom bei einer Arbeitsreise an einem Herzinfarkt verstorben?
Es war ein riesiger Schock; unfassbar und unbegreiflich. Trotzdem habe ich sehr gut funktioniert in diesem Moment. Ich musste den Viennale-Präsident Eric Pleskow, den Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny und das Team informieren. Außerdem habe ich schon den Text für die Presseaussendung skizziert, die wir am nächsten Morgen herausbringen wollten. Alle im Team waren extrem betroffen. In unserer Traurigkeit und unserem Schock wollten wir am liebsten zusammen sein.
Hatten Sie und das Team eine Ahnung davon, dass es Hans Hurch nicht gutging?
Nein. Nicht in der Form, dass es bedrohlich werden könnte. Wer ihn kannte, weiß, dass Hans Hurch ein sehr intensiver Mensch war, der sehr viel arbeitete und ein intensives Leben führte. Die Viennale war sein Ein und Alles. Auch auf Reisen hat er täglich mehrmals im Büro angerufen.
Konnte das Viennale-Team die Trauer um Hans Hurch überhaupt verarbeiten? Jeder wusste ja, dass in knapp drei Monaten das Festival beginnt.
Wir konnten uns der Trauer gar nicht so richtig hingeben, die kam immer wieder in Wellen. Die Trauer hat wohl jeder für sich verarbeitet. Die einen hatten ein sehr starkes persönliches Verhältnis zu ihm, bei anderen war es mehr ein Arbeitsverhältnis. Aber alle hatten wir den Wunsch, ein besonders schönes Festival zu gestalten. Und das ist uns mit großem Zusammenhalt auch gelungen. Besonders wichtig war die Eröffnung der Viennale, die einen großen Moment der Wehmut mit sich brachte, und die Abschluss-Gala am 2. November. Denn jeder wusste, das ist nun das Ende der Ära Hurch. Diese Ära steht für Qualität und Internationalität; für politisches Kino, Offenheit und Wahrhaftigkeit. Und für einen kritischen Geist.
Mit Franz Schwartz, dem langjährigen Chef des Wiener Stadtkinos, haben Sie nach Hans Hurchs Tod einen interimistischen künstlerischen Leiter ins Team geholt.
Wir brauchten jemand, der sich ausschließlich um die Fertigstellung des Programms kümmern würde. Das war eine riesige Aufgabe: Er musste alle Filme sichten, die schon fixiert waren, er musste neue Filme dazuholen, zum Festival nach Venedig fahren und dann den Spielplan machen. Diese Zeitkapazität hätte niemand von uns gehabt. Franz Schwartz war für diese Position absolut die erste Wahl. Hans Hurch hat ihn und seinen Filmgeschmack sehr geschätzt. Und er ist ein integrer Mensch, der gut zu uns passt. Franz hat sofort zugesagt, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Als Hans Hurch 1997 die Viennale-Leitung übernahm, gab es übrigens die Überlegung, ihn und Franz Schwartz als Doppel-Direktion einzusetzen. Die Pressekonferenz für die Präsentation beider Direktoren war schon geplant. Das Vorhaben scheiterte in letzter Minute, weil sich die damalige Kulturstadträtin Ursula Pasterk und Franz Schwartz nicht über sein Gehalt einig waren. Aber 20 Jahre später führte Schwartz nun das Werk von Hans Hurch zum Ende. Das hat schon etwas Magisches.