Sally Potter
über ihren Film „The Party“
„Ich wollte einen wahnwitzig komischen Film machen“
28.07.2017
Interview:
Peter Beddies
Die Londoner Autorin und Regisseurin Sally Potter hat in ihrer langen Laufbahn zwar nur acht Filme gedreht – aber mit denen schrieb sie sich in die Arthaus-Filmgeschichte ein. Zum Beispiel mit dem großen Kino-Epos „Orlando“ (1992), in dem Tilda Swinton als androgynes Zauberwesen durch die Jahrhunderte wandelte. Oder mit „Tango Lesson“ (1997), als die Regisseurin selbst über das Tanzparkett wirbelte. Oder mit der in Versen gesprochenen Romanze „Yes“ (2004). Auch ihr aktueller Film „The Party“ hat das Zeug zum Klassiker. Dies gilt allein schon aus formalen Gründen – Sally Potter erzeugt in 71 schwarz-weißen Filmminuten mehr Intensität als so manches bunte Kino-Epos in drei Stunden. Doch auch inhaltlich ist dieses brillant gespielte Stück über politische Erfolge und private Krisen ein Meisterwerk. Wir trafen Sally Potter zum Gespräch in Berlin.
FilmClicks: Lassen Sie uns mit der Form beginnen. Warum haben Sie „The Party“ in Schwarz-Weiß gedreht?
Sally Potter: Ich liebe Schwarz-Weiß. Manchmal gibt einem die Farbe zu viel Informationen jenseits der Geschichte. Schwarz-Weiß ist herrlich nüchtern und zugleich kann es poetisch sein. Ich finde, es zwingt einen, hinzusehen. Und genau das wollte ich. Eine intensive Seh-Erfahrung. Im Gegensatz zum Schwelgen, das sich beim Farbfilm vielleicht eher einstellt.
Und warum dauert „The Party“ kaum mehr als eine Stunde? Sollte es der kürzeste Spielfilm aller Zeiten werden?
Zunächst einmal: Ich wollte nicht, dass die Zuschauer das Gefühl bekommen, ihre Zeit würde vergeudet. Aber im Ernst: Es ist ein ökonomisches Problem, auf das ich hinweisen wollte. Egal, wohin Sie in unserer westlichen Gesellschaft schauen: Wir haben ein Übermaß an allem! Vom Internet angefangen bis zu den Dingen, die wir besitzen – von allem zu viel. Darüber hinaus wollte ich einen wahnwitzig komischen Film machen. Das geht am besten bei einem kurzen Film.
Waren die 71 Minuten das Ziel?
Nein, ich dachte eher an ungefähr 80 Minuten. Aber dann wurde „The Party“ beim Schneiden und Fokussieren auf die Dialoge immer kürzer. Irgendwann hat jemand aus dem Team mal nachgeschaut, wie kurz man überhaupt werden darf, damit eine Produktion noch als Spielfilm durchgeht.
71 Minuten?
Nein, es sind genau 70 Minuten. Darunter wäre es ein mittellanger Spielfilm. Also haben wir probiert und probiert. Geschaut, was man noch weglassen kann. Und letztendlich waren es halt 71 Minuten.
Generell gesehen sind viele Filme…
…zu lang, viel zu lang.
Sie haben schon erwähnt, dass „The Party“ sehr witzig ist. Zugleich aber auch sehr düster. Man weiß manchmal nicht, ob man über dieses Geplänkel über die Politik lachen soll.
Wenn ich mir etwas wünschen darf, dann soll man darüber lachen. Und sich dabei aber auch überlegen, was man da sieht. Unsere Hauptfigur Janet ist ein Mensch, der als Politiker die besten Absichten hat. Aber wohin führt das, wenn diese Absichten dem Praxistest unterworfen werden? Darüber lohnt es sich, mal nachzudenken..„The Party“ ist ein liebevoller Blick auf das Scheitern.
Hätten Sie Lust, sich den Film gemeinsam mit der britischen Premierministerin Theresa May anzuschauen?
Das wäre sicher ein großer Spaß. Möglicherweise würde sie ihn gut finden. Was ich wiederum toll fände. Denn wenn man sich nur mit Menschen umgibt, die einem immer Recht geben, kommt man nicht sehr weit. Das Schöne an einem Film wie „The Party“ ist doch, dass es eine Komödie ist. Eine Komödie kann Türen öffnen. Denn zwischen all den Lachern in so einem Film können sich Gedanken einnisten, die man sonst vielleicht nicht hätte. Es kann passieren, dass man nach diesem Film anders über die Politik denkt. Das wäre eine schöne Sache.
Haben Sie sich die ganze Geschichte ausgedacht oder sind Sie auf Politiker zugegangen und haben sich von deren Erfahrungen etwas erzählen lassen?
Ich habe schon meine Recherche gemacht. Ich habe mir zum Beispiel einen Parteitag angeschaut. Einfach da gesessen und zugehört und zugeschaut. Das war extrem interessant und aufschlussreich. Dann gibt es diese wunderbar langweiligen TV-Stationen, die nichts anderes übertragen als Parlaments-Debatten. Stundenlang habe ich mir das angeschaut. Dort kann man sehr viel darüber lernen, wie sich Politiker benehmen und verhalten. Und dann habe ich noch eine Labour-Politikerin besucht und durfte sie ausfragen. Aber ich musste ihr versprechen, dass ich nie ihren Namen verrate.
Die Frauen, die Sie im Film zeigen, machen keinen glücklichen Eindruck.
Stimmt. Das stelle ich seit Jahren fest. Wenn eine Frau in der Politik Karriere gemacht hat – wahrscheinlich kann man sogar sagen, wenn sie Karriere macht – dann muss sie dafür einen Preis bezahlen. Ist sie als Politikerin gut, dann scheitert sie als Mensch. Zumindest bildet sie sich das ein.
Wie war das bei Ihnen?
Wie meinen Sie das?
Als Sie angefangen haben, waren Sie eine der ersten Regisseurinnen – eine Filmpionierin sozusagen.
Lassen Sie mich eines klarstellen: Ich bin nicht das, was Sie im Film sehen! Ich erzähle von dieser Politikerin. Aber das bin nicht ich! Ich bin alle Charaktere – weil ich ja auch das Drehbuch geschrieben habe. Aber wenn Sie wissen wollen, ob ich für meinen Erfolg einen Preis bezahlen musste? Ja, das musste ich. Ich habe acht Filme machen können. Männer, die mit mir gemeinsam angefangen haben, sind jetzt vielleicht bei 20. Aber ich arbeite nun mal langsamer und schreibe meine Filme auch selber. Ich werde sicher auch schlechter bezahlt als die männlichen Kollegen, Interessiert mich alles nicht! Ich kann Filme machen, die mich zufrieden stellen und die Menschen gern sehen. Ich bin glücklich. Aber ich wäre eine Närrin, wenn ich nicht anerkennen würde, dass ich dafür einen Preis bezahlen muss.
Sie haben „The Party“ in sehr kurzer Zeit gedreht.
Das passt wieder zu dem Aspekt, dass man sich beschränken sollte. Ich wollte zum Drehen exakt die Zeit verwenden, die wirklich nötig war. Das heißt ja nicht, dass der komplette Film in der Zeit entstanden ist. Ich habe Monate vorher Kontakt zu meinen Schauspielern gehabt. Mal bin ich zu ihnen mit dem Zug gefahren oder geflogen, mal haben wir per Skype miteinander kommuniziert. Alles sollte vorher besprochen und geklärt sein, damit wir beim Dreh so wenig Zeit wie möglich verschwenden.
Der Film besteht vor allem aus Dialogen. Hätten Sie auch ein Theaterstück daraus machen können?
Vielleicht, aber ich wollte nicht! Ich habe auch nichts dagegen, wenn mir jemand sagt, dass „The Party“ wie ein gutes Bühnenstück funktioniert. Aber das hier war schon immer als Film gedacht. Wie die Kamera sich bewegt, wie sie Menschen verfolgt, ihnen nahe kommt und dann wieder fern ist. Welche Dynamiken sich daraus ergeben. Das hat mich interessiert.
Was war für Sie die größte Herausforderung dabei, „The Party“ in einem Raum und in Echtzeit spielen zu lassen?
Ganz einfach. Ich wollte diese sieben Menschen in dieses Zimmer, man könnte auch sagen, in diesen Dampftopf, werfen. Jeder hat seine eigene Meinung zu Beginn des Films. Wie bekomme ich es hin, dass 71 Minuten später jeder Schauspieler eine andere Position bezieht? Und wie schaffe ich es, dass es den Zuschauer nicht langweilt? Das war meine große Herausforderung. Ich fände es schön, wenn die Zuschauer den Kinosaal verlassen und sagen: „Das und das hatte ich so nicht erwartet“. Und vor allem: „Wir sind alle Menschen, die das Gute und das Böse in uns tragen“.
Mitten in die Dreharbeiten von „The Party“ fiel das Brexit-Votum. Wie hat sich das angefühlt am Tag danach?
Wie ein Schlag mit einer großen Keule. Am Abend des Votums sind wir auseinander gegangen und haben noch gescherzt, dass doch wohl niemand auf die Idee käme, Europa zu verlassen. Und dann treffen wir uns am nächsten Morgen wieder. Es lag ein bleiernes Gefühl über dem Team. Aber das hat nur solange angehalten, bis uns klar war, dass dieser Film jetzt noch wichtiger werden wird.
Haben Sie überlegt, den Brexit noch mit in den Film aufzunehmen?
In der Tat habe ich das kurz überlegt. Aber wir hatten schon zehn Drehtage hinter uns. Das wäre nichts mehr geworden. Außerdem stecken für 71 Minuten eh schon sehr viele Themen im Film, ich wolle ihn nicht überladen. Aber gereizt hat es mich für einen Moment. Das gebe ich gern zu.
Wie denken die Briten mittlerweile über den Brexit?
Ich würde sagen, die meisten sind wie ich entsetzt, in welche Richtung sich alles entwickelt. Sicher, man konnte an der EU einiges aussetzen. Aber wohin gehen wir denn jetzt? Statt offener Grenzen schotten wir uns ab. Es gibt ungesunden Nationalismus an jeder Ecke. Und was die meisten Menschen auch nicht verstehen: Warum können wir kein zweites Votum veranstalten? Dieses Mal würde es ganz anders ausgehen!
Am Tag nach dem Brexit waren Sie ja so eine Art Regierungschefin Ihres Filmteams. Wie haben Sie sich verhalten?
Ich habe wahrscheinlich noch nie so viele Menschen umarmt wie an jenem Tag. Habe mir ganz viele Geschichten von Leuten angehört, die sich mies gefühlt haben. An dem Tag war es einfach wichtig, miteinander zu reden, füreinander da zu sein. Was mir an den Schauspielern an diesem Tag besonders auffiel. Sie kamen zu mir und sagten: „Jetzt erst recht, Sally! Wir machen einen politischen Film. Denen werden wir es zeigen!“