Kenneth Lonergan
über seinen Arthaus-Hit „Manchester By The Sea“
„Es ist die Liebe, die dich am Leben hält“
21.01.2017
Interview:
Matthias Greuling
US-Regisseur Kenneth Lonergan spricht im Filmclicks-Interview über sein hochgelobtes Drama „Manchester By The Sea“ und über Hauptdarsteller Casey Affleck, der in Hollywood als heißer Oscar-Kandidat gilt. Affleck spielt einen wortkargen Handwerker, der über einen schweren emotionalen Schicksalsschlag hinwegkommen will, was ihm aber nicht gelingt. Lonergan berichtet, dass ursprünglich Matt Damon die Hauptrolle und auch die Regie übernehmen sollte. Doch weil Damon wegen Terminkollisionen absagen musste, kam alles anders. Lonergan: „So wurde der Film zu einem Projekt, das zu 100 Prozent unter meine kreative Kontrolle geriet.“
FilmClicks: Mr. Lonergan, das Familiendrama „Manchester by the Sea“ hat etwas zutiefst Melancholisches, hier geht es um große Lebensthemen. Was war Ihre Motivation, diese Story zu erzählen?
Kenneth Lonergan: Ich wollte jemanden zeigen, der etwas eigentlich Unerträgliches, etwas Fürchterliches erlebt hat, und zeigen, wie er damit umgeht. Allein deshalb, weil er sich seiner Familie so stark verpflichtet fühlt, gelingt es ihm nicht, vor dem Leben davonzulaufen, und das, obwohl er so einen Verlust hat hinnehmen müssen. Zu sehen, wie manche Menschen damit umgehen, trotz der härtesten Schicksalsschläge weiterzuleben, hat mich wahnsinnig interessiert. Ich habe herausgefunden, dass es die Liebe ist, die dich am Leben erhält.
Sie haben Drehbücher für Hits wie „Reine Nervensache“ oder „Gangs Of New York“ verfasst. Gibt es einen Unterschied zwischen Scripts, die Sie für jemand anderen schreiben und solchen, die Sie selbst inszenieren?
Ja, es ist etwas ganz anderes, wenn man für jemand anderen arbeitet. An „Gangs Of New York“ hatten sich vor mir bereits drei Drehbuchautoren versucht, ich kam als vierter und letzter hinzu und versuchte, Regisseur Martin Scorsese zu dienen und seine Visionen umzusetzen. Bei „Reine Nervensache“ schrieb ich die erste Fassung, um damit in Hollywood ein bisschen Geld zu verdienen, und nach mir schrieben daran weitere 14 Autoren! Das Gefühl, diesen Film erfunden zu haben, hält sich bei mir dadurch arg in Grenzen. Aber wenn ich etwas Eigenes mache wie „Manchester by the Sea“, dann ist das nur mein Ding und ich gehe keinerlei Kompromisse ein.
Dabei war anfangs gar nicht klar, dass Sie auch der Regisseur des Films sein würden.
Das stimmt, denn ursprünglich wollte Matt Damon Regie führen. Er ist ein guter Freund von mir, doch er konnte schließlich aus Termingründen nicht. Ich war also bereit, das Drehbuch in seine Hände zu legen, aber es kam anders und so wurde es zu einem Projekt, das zu 100 Prozent unter meine kreative Kontrolle geriet.
Damon sollte die Hauptrolle auch selbst spielen. Sie besetzten Casey Affleck. Ein wahrer Glücksgriff für den Film.
Casey ist ein unglaublich guter, fokussierter Schauspieler, der sehr viele Fragen zu seiner Figur stellt. Manchmal streiten wir uns ein bisschen, aber auf sehr produktive Weise. Lee, Caseys Figur, hat einen schweren Schicksalsschlag erlitten und muss jeden Tag die Gedanken daran verdrängen, das äußert sich vor allem darin, dass Lee eher teilnahmslos wirkt. Diesen Zustand zu spielen, erfordert eine große innere Konzentration, damit es nicht beliebig wirkt, sondern authentisch.
Der Film porträtiert ein rurales Amerika abseits der Metropolen. Wie amerikanisch ist der Film in seinen Wertehaltungen, seiner Schilderung der sozialen Gefüge?
Ich weiß darauf keine Antwort, denn ich glaube, das kann nur ein Nicht-Amerikaner mit Blick von außen wirklich beurteilen. Man denkt ja nicht, dass man Amerikaner ist, solange man das Land nicht verlässt. Ich denke als Individuum, nicht als Volk. Ich hoffe aber, ich habe die meisten sentimentalen Klischees, die man von Amerika kennt, vermieden. Und ich hoffe, den richtigen Ton getroffen zu haben: Die Menschen im Nordosten, die an der Küste leben, haben es sehr oft kalt, und sie sind im Gespräch reserviert, zugleich aber herzensgut und ehrlich.