„Dieser Film soll die Welt besser machen“
10.11.2016
Interview:
Gunther Baumann
„Wenn es mit der Wilderei so weiter geht, gibt es in 15 Jahren in Afrika keine frei lebenden Elefanten mehr“, sagt Walter Köhler, der Chef des Wiener Terra-Mater-Filmstudios. Um vor dieser Tragödie zu warnen und eine neue internationale Ächtung des Elfenbeinhandels einzuleiten, hat Terra Mater jetzt die brisante Doku „The Ivory Trade“ herausgebracht, die weltweit auf Netflix zu sehen ist. Im FilmClicks-Interview sprechen Köhler und Produzent Wolfgang Knöpfler über die Bedrohung der Elefanten, über den mitunter hochgefährlichen Dreh von „The Ivory Game“ – und darüber, wie es gelang, Megastar Leonardo DiCaprio als Executive Producer an Bord zu holen.
FilmClicks: Gab es ein Schlüsselerlebnis, das zur Produktion von „The Ivory Game“ führte?
Walter Köhler: Die Idee entstand vor drei Jahren aus meiner persönlichen Enttäuschung darüber, dass mir die Krise um die afrikanischen Elefanten nicht bewusst war. Ich bin sozusagen ein Kind der Achtziger Jahre, und 1989 gab es bei der 7. Konferenz des Washingtoner Artenschutzabkommens den internationalen Bann gegen den Elfenbeinhandel. Ich war mir sicher, dass dieser Bann weiterhin gilt und ich war schockiert, als ich die Zahlen über das massenhafte Töten der Elefanten erfuhr. Ich sagte mir, wenn ich das nicht weiß, dann weiß das kaum jemand auf der Welt. Dagegen muss man etwas unternehmen. Darum begannen wir sofort, die Produktion anzurecherchieren und erste Aufnahmen zu machen. Ich sagte, wir gehen in Produktion. Irgendwie treibe ich das Geld schon auf. So ist der Film entstanden.
Einmal abgesehen vom Thema: Der Film hat einen tollen Look und wirkt mit seinen vielen Schauplätzen in Afrika und Asien so, als wäre viel Geld in die Produktion geflossen. Trifft das zu?
Köhler: Ja. Für einen Dokumentarfilm war „The Ivory Game“ sehr teuer. Das Hauptgewicht von Terra Mater liegt beim Naturfilm, und das ist jene Art von Dokumentationen, die dem Spielfilm am nächsten kommt. Wir sind es also gewohnt, mit großem Aufwand arbeiten zu müssen. Beim Projekt „The Ivory Game“ wollte ich einen Dokumentarfilm produzieren, der nicht nur aufrüttelt, sondern der auch als Filmkunstwerk in eine andere Richtung weist. In Hollywood gilt eine Faustregel, eine Doku kostet so um eine Million (Dollar), und ich sage dann immer, ja klar, wenn du mit Archivmaterial arbeitest und drei Interviews machst, dann kostet der Film eine Million. Unser Film hat ein Mehrfaches dieser Summe gekostet, denn wir haben in einem Zeitraum von drei Jahren in neun Ländern gedreht. Es gibt keine einzige Szene im Film, die auch nur irgendwie gestellt wäre. Doch wir drehten mit den Produktionsmitteln des Naturfilms eine Dokumentation, die manchmal an einen Agententhriller erinnert.
Am Anfang von „The Ivory Game“ gibt es eine Szene, in der ein Wilderer festgenommen wird. Bei dieser Sequenz könnte ich es mir vorstellen, dass das nachgestellt ist.
Köhler: Nein. Das hätten die Afrikaner nie erlaubt, dazu ist das alles viel zu gefährlich. Bei dieser Szene war nur eine einzige Kamera von uns dabei; der Kameramann trug eine Schutzweste. Ansonsten arbeiteten wir mit Bodycams, die die Leute am Körper trugen. Aber die hätten für uns nie auch nur eine Einstellung wiederholt.
Wolfgang Knöpfler: Solche Aktionen sind nicht wirklich planbar. Wir kalkulierten mit 160 Drehtagen. Das Team stand immer auf Abruf bereit. Wir sind mit einem kleinen dreiköpfigen Team gereist – aber die drei Leute hatten 23 Koffer an Ausrüstung dabei. Es brauchte auch viel Geduld. In Tanzania zum Beispiel mussten wir vier Monate verhandeln, bis uns die Leute gestatteten, bei ihnen zu drehen.
Im Film kommt der Satz vor, dass man bei den Zentren des Elfenbeinhandels nicht weit entfernt ist vom organisierten Verbrechen. Hat das zu bedrohlichen Situationen für Ihr Team geführt?
Köhler: Wir haben mehrere Sicherheitsschranken eingezogen. Terra Mater kam als bekannte Produktionsfirma beim Dreh nicht vor. Wir haben eine kleine und unbekannte Filmfirma zum Selbstschutz für alle Beteiligten vorgeschoben. Alle Mitarbeiter an der Produktion waren auf Terrorismus-Schulung.
Knöpfler: Da wurde das Verhalten trainiert, wie zu reagieren wäre, wenn Mitglieder der Crew gekidnappt würden, etwa beim Dreh ohne Drehgenehmigung. Unsere Leute wurden auch sehr gut in Erster Hilfe ausgebildet, und da gab es einen interessanten Nebeneffekt. Während des Drehs in Kenia kamen unsere Leute bei einem schweren Busunfall vorbei. Mit ihrem gut gefüllten Erste-Hilfe-Koffer konnten sie bei einigen Menschen die Erstversorgung durchführen.
Riskant konnte es wohl auch in der Nähe der Elefanten werden. Denn die wussten ja nicht, dass Sie ihnen mit dem Film etwas Gutes tun wollen.
Köhler: Solche Situationen sind wir gewohnt.
Knöpfler: In den gut geschützten Gebieten kann man ganz nah hingehen zu den Elefanten, da gibt es kein Problem. Doch dort, wo gewildert wird, ist die Situation ganz anders. Da sind die Elefanten viel aggressiver – man muss ganz genau aufpassen.
Köhler: Nach 30 Jahren Tier- und Naturfilm kann ich Ihnen sagen: Das einzige Problem auf dieser Welt ist der Mensch. Vielleicht noch die Zecke. Die ist das gefährlichste Tier – gefährlicher wird es nicht. Man muss natürlich wissen, was man tut, und man muss wissen, wie die Tiere reagieren. Dann darf nichts passieren. Alle Unfälle, die im Tierfilm geschehen, sind ausschließlich auf absolute Dummheit am Drehort zurückzuführen. Egal, ob mit Schlangen oder mit Bären oder was sonst noch so alles gibt.
Was meinen Sie mit dem Satz, der Mensch sei das Problem?
Köhler: In Afrika ist es ja nicht nur so, dass die Wilderer gleich schießen. Die al-Shabaab-Miliz zum Beispiel nutzt Elfenbein als wichtigstes Mittel der Terror-Finanzierung. Und wirklich schiach war es für uns bei den Zentren des Elfenbeinhandels in China, weil wir dort ohne Genehmigung drehen mussten, wenn wir etwas erreichen wollten. Wenn man so etwas macht, darf man sich nicht wundern, sollte man wegen Spionage verhaftet werden. Zum Glück ist uns das nicht passiert.
Knöpfler: Normalerweise hat man als Filmfirma eine Serviceproduktion vor Ort, die einem alles organisiert. Aber in China haben sich alle geweigert, mit uns zu arbeiten. Hongkong ist übrigens anders. Da braucht man auch keine Drehgenehmigungen – da kann man einfach drehen.
In China wird „The Ivory Game“ dann wohl eher nicht offiziell gezeigt werden…
Köhler: Wir arbeiten daran, über verschiedene Quellen. Denn wir sind uns sicher, dass das offizielle China diese Situation mit den Elefanten und dem Elfenbein ebenfalls für untragbar hält. Wir glauben, dass das Land sehr interessiert daran ist, unter Wahrung des Gesichts diese Sache zu beenden. Es soll nicht so ausschauen, als ob der Westen China zu einem neuen Bann des Elfenbeinhandels gedrängt hätte. Im Film gibt es einige Aussagen, die in der westlichen und der chinesischen Kultur völlig anders aufgefasst werden, als sie gemeint sind. Da bin ich gern zu Änderungen bereit. Wir hoffen jedenfalls, dass wir „The Ivory Game“ 2017 auch in China zeigen können.
Knöpfler: In der Diskussion um das Elfenbein wird auch immer wieder über eine gewisse Legalisierung gesprochen. Doch das ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. China ist weltweit der größte Abnehmer von Elfenbein und braucht gegenwärtig im Jahr 400 Tonnen Elfenbein. Das entspricht ungefähr 30.000 Elefanten. So viele Tiere werden derzeit auch im Jahr abgeschlachtet. Aber Druck auf China auszuüben, den Elfenbeinhandel zu verbieten, ist aus europäischer Sicht relativ schwierig. Denn das einzige Land in Europa, das diesen Handel verboten hat, ist Frankreich. Überall sonst, inklusive Österreich, ist der Elfenbeinhandel erlaubt, auch wenn er marginal klein ist. Da können die Chinesen mit Recht sagen: Was wollt ihr denn von uns? International ist der Handel mit Elfenbein durch das CITES-Abkommen über bedrohte Tierarten verboten. Aber in den lokalen Märkten darf man nach wie vor vollkommen legal mit Elfenbein handeln.
„The Ivory Game“ hat einen sehr prominenten Executive Producer: Leonardo DiCaprio. Wie ist dieser Kontakt entstanden?
Köhler: Wir haben Leo im Laufe der Produktion kennengelernt Weil „The Ivory Game“ ein Kampagnen-Film ist, fragten wir ihn, ob er mitmachen will, weil sein Name natürlich multiplizierend wirkt. Er sah unser Material und war begeistert, und wir haben uns gewundert, wie gut er über die Situation in Afrika informiert ist. So ergab sich eine tolle Gelegenheit, die Kräfte zu bündeln, um das Ziel zu verwirklichen, dass dieser Film wirklich etwas ändert. „The Ivory Game“ soll die Legislative ändern. Das ist der einzige Sinn, warum wir den Film produziert haben – er ist nicht zum Geldverdienen da, sondern dazu, dass er die Welt besser macht. So naiv sind wir.