Erika Freeman über das Wesen der Schauspieler


„Talent ist ein Geheimnis Gottes“

08.05.2020
Interview:  Gunther Baumann

Erika Freeman: Die Psychoanalytikerin aus Wien wurde zur Vertrauten vieler Hollywood-Granden © Claudia Prieler

Marilyn Monroe und Liv Ullmann, Marlon Brando und Woody Allen: Die amerikanische Psychoanalytikerin Erika Freeman, die 1927 in Wien als Erika Polesiuk zur Welt kam, wurde im Lauf der Jahrzehnte zur Vertrauten vieler Hollywood-Größen. Heute pendelt die renommierte Analytikerin, der 1940 als Kind die Flucht vor den Nazis gelang, zwischen New York und ihrer Geburtsstadt. FilmClicks traf Erika Freeman in Wien zu einem Gespräch über das geheimnisvolle Wesen der Schauspieler, die gar nicht so selten unter Ängsten leiden, obwohl sie von der halben Welt verehrt werden.


Gruppenbild mit Stars: Erika Freeman (M.) mit Elizabeth Taylor und Liv Ullmann © Freeman

FilmClicks: Dr. Freeman, ganz generell gefragt: Brauchen Künstler, und speziell Schauspieler, eine andere Persönlichkeits-Struktur als Menschen, die nicht in künstlerischen Berufen tätig sind?

Erika Freeman: Ja. Schauspieler benehmen sich, wenn sie können, so, als wären sie wie alle anderen. Aber hinter dieser Fassade steht oft eine große Seele, sehr sanft, sehr verletzlich, sehr sensibel. Wie bei einem kleinen Kind, das niemals geliebt wurde, das aber den Traum hat, die Welt zu erobern. Dieses kleine Kind versteckt sich hinter den Personen, die es spielt.
 
Sind Sie zu dieser Einschätzung im Zuge Ihrer Arbeit als Psychoanalytikerin gekommen, bei der Sie mit vielen Filmkünstlern zusammenkamen?
Ich war schon immer an Künstlern interessiert. Mein Mann Paul Freeman war auch ein Maler. Wir konnten gut mit Schauspielern befreundet sein, weil wir einander erkannt und verstanden haben: Wie bei Menschen, die einander zum ersten Mal begegnen und das Gefühl haben, als würden sie sich schon 100 Jahre kennen. Ich war ja in jungen Jahren selbst einmal als Schauspielerin tätig, aber das entstand aus einem Zufall und ich habe es dann vorgezogen, Psychoanalyse zu studieren. Aber die Schauspielerei ist mir ins Blut gegangen. Ich war nahe daran, in Lee Strasbergs Actors Studio aufgenommen zu werden. 
 
Was sind denn die Hauptthemen in der therapeutischen Arbeit mit Schauspielern?
Es geht darum, sich selbst zu erkennen. Oder darum, keine Angst zu haben, sondern dem Leben mutig entgegenzutreten. Schauspieler sind sehr zart. Oft wissen sie nicht, wer sie sind. Und sie wollen nicht zeigen, wer sie sind, weil sie Angst haben, sie wären nicht gut genug. Es gibt keine Schauspieler, die diese Sorgen nicht haben – sogar ein Mann wie Marlon Brando, mit dem ich befreundet war. Er war kein glücklicher Mensch, was man in späteren Jahren auch daran erkannte, dass er so stark zunahm. Dahinter hat er sich versteckt. Er war so sensibel – alles hat ihm wehgetan. Seine Seele war das genaue Gegenteil seiner Muskeln.
 
Sie haben ja auch Marilyn Monroe gut gekannt. Verhielt es sich bei ihr ähnlich?
Marilyn Monroe war ein armes Kind, das in einem Heim aufwuchs. Ihre Mutter war mental nicht gesund, und niemand wusste, wer ihr Vater war. Marilyn was abused sexually. Sie sagte einmal, als Star müsse sie in einem Büro mit einem Mann endlich nicht mehr das tun, was sie zuvor tun musste. Aber sie war sehr nett, gescheit und sensibel. Hochintelligent. 1956 heiratete sie den Dramatiker Arthur Miller, und sie war quasi sein Pass, weil er politisch damals so weit links stand, dass man ihm das Reisen untersagte. Aber weil sie in England drehte, bekam er einen Pass und konnte sie begleiten. Sie hat dort in „Der Prinz und die Tänzerin“ mit Laurence Olivier gespielt, der heiß in sie verschossen war. Wie man sich halt als Schauspieler in eine Partnerin verliebt. Aber er war sehr enttäuscht von der Arbeit mit ihr, weil sie ihre Szenen so oft wiederholen musste, bis sie ihre Magie entfalteten. Das hat ja später auch Billy Wilder über die Arbeit an „Manche mögen’s heiß“ gesagt. Aber wenn die Kamera dich mag, dann kannst du als Schauspieler nichts falsch machen. Doch wenn sie dich nicht mag, dann kannst du noch so schön und intelligent sein – es hilft dir gar nichts.
 
Marilyn Monroe ist ja sehr früh mit 36 Jahren gestorben…
…das war ein Unfall, vermute ich. Leider war sie nur meine Freundin, aber nicht meine Patientin. Das Leben war sehr schwer für sie. Sie hatte diese großen Männer, doch die haben sie auch ausgenützt.

 Woody Allen zählt ebenfalls zu Ihren nahen Bekannten.
Auch Woody ist ein sehr netter Kerl – und sehr bescheiden. Das trifft auf viele berühmte Filmkünstler zu: Wenn sie groß sind, dann sind sie bescheiden. Denn es zahlt sich nicht aus, sich wichtig zu machen. Vor vielen Jahren wurde ich durch Jack Rollins, seinen Manager, auf ihn aufmerksam. Er sagte damals, „ich habe ein neues Talent gefunden. Er spielt herrlich Klarinette, ist sehr witzig, und ich werde aus ihm einen der berühmtesten Menschen auf der Welt machen. Er heißt Allan Konigsberg, nennt sich aber Woody Allen – nach dem großen  Jazzmusiker und Klarinettisten Woody Herman.“
 
Woody Allen leidet heute aber unter Vorwürfen wegen sexueller Belästigung.
Über diese Fälle weiß ich nichts – ich habe dazu nichts zu sagen. Zu mir war er immer ein netter und herrlicher Mann. Ich kann mir aber vorstellen, wie weh es seiner damaligen Frau Mia Farrow getan haben muss, dass er mit ihrer Adoptivtochter Soon-Yi, die er später heiratete, etwas anfing.

Blickpunkt New York: Erika Freeman mit Hillary Clinton © Freeman

Um noch einmal zum Ausgangspunkt unseres Gesprächs zurückzukehren: Warum sind viele Filmstars privat so unsicher? Sie werden doch rund um den Globus geliebt!
Diese Liebe kommt für viele von ihnen sehr spät. Was sie als Kinder versäumt haben, lässt sich später nur noch schwer nachholen. Wenn sie Glück haben, besitzen sie das Talent, sich in viele Charaktere hineinzuversetzen. Doch Talent ist ein Geheimnis Gottes. Ein Geschenk, das den einen gegeben wird und den anderen nicht. Es sind viele große Seelen darunter. Bewundernswert.