Sabine Derflinger über ihre Johanna-Dohnal-Doku „Wir wollen die Hälfte vom Kuchen“


„Dies ist die Geschichte einer Heldin“

16.10.2018
Interview:  Gunther Baumann

Sabine Derflinger: „Johanna Dohnal wurde ein Markenzeichen der Frauenbewegung“ © Christian König

Ihr Spektrum reicht vom „Tatort“ bis zur ZDF-Thriller-Reihe „Die Füchsin“; von den „Vorstadtweibern“ bis zu „Anna Fucking Molnar“: Sabine Derflinger ist eine erfolgreichsten Regisseurinnen aus Österreich. Neben Spielfilmen dreht sie immer wieder auch Dokumentationen, und momentan arbeitet sie an einem Herzensprojekt: Unter dem Titel „Wir wollen die Hälfte vom Kuchen“ entsteht ein Porträt der längst legendären Wiener Frauenpolitikerin Johanna Dohnal. Sabine Derflinger nennt die streitbare Sozialdemokratin (1939 – 2010) „ein Idol“ und hat eine klare Vorstellung, wie ihr Film (Kinostart: 2019) werden soll: „Dies ist die Geschichte einer Heldin“.


Im Zentrum von „Wir wollen die Hälfte vom Kuchen“: Johanna Dohnal © Elfie Semotan

FilmClicks: Was hat Sie am Projekt interessiert, einen Dokumentarfilm über die Politikerin und Frauenrechtlerin Johanna Dohnal zu drehen?

Sabine Derflinger: Ganz generell gesprochen: Die Geschichte der Frauenbewegung ist im kollektiven Gedächtnis viel weniger verankert als die allgemeine Geschichte. Blickt man zurück, so hatten es die Frauen stets sehr schwer, ihre Anliegen durchzusetzen. Da konnte es schon geschehen, dass eine Forderung, die 1918 erhoben wurde, erst 1975 umgesetzt wurde. Junge Frauen wissen oft gar nicht, wann bestimmte Ziele auf welchem Wege erreicht wurden. Zurückblickend gab es früher unfassbare Sachen; zum Beispiel konnte ich 1983 nicht Vormund meines eigenen Kindes sein, weil ich nicht verheiratet war. Da kam dann das Jugendamt ins Haus. In jener Zeit, als ich jung war, da war Johanna Dohnal ein Idol. Plötzlich gab es in der österreichischen Politik eine Frau, die von sich sagte, sie sei Feministin.  Johanna Dohnal wurde ein Markenzeichen in der Frauenbewegung – als Frau, die etwas durchsetzt. Das hat mich fasziniert.
 
Wie sind Sie denn selbst zur Frauenrechtlerin geworden?
Ich stamme aus Oberösterreich, vom Land, und bin in einem christlich-sozialen Haus aufgewachsen. In einer Unternehmerfamilie. Ich erinnere mich, als ich 15 war, da wusste ich noch gar nicht, was Feminismus ist – und man konnte das damals ja auch nicht googeln. Aber natürlich habe ich eine Menge mitgekriegt: Erst Sissi und Romy Schneider, dann die Story „Wir haben abgetrieben“, Alice Schwarzer und Simone de Beauvoir. Und ich war  naturgegebenermaßen einfach anders als viele Mädchen. Ich wollte meine eigenen Sachen machen, ich hatte mich schon als Kind mit den Buben geprügelt. Oder ich stand in der Nacht auf, um mir Boxkämpfe von Muhammad Ali anzuschauen. Als ich beschloss, Regisseurin zu werden – da hätte ich am Land auch sagen können, ich fliege zum Mond. Als ich dann ins Berufsleben einstieg und sehr früh mein Kind bekam: Spätestens da wurde mir klar, dass bei der Position der Frauen in der Gesellschaft vieles im Argen lag. Und daraus zog ich meine Konsequenzen.

Film-Interview: Sabine Derflinger mit Emmy Werner, der Ex-Direktorin des Volkstheaters Wien © Christian König

Gehen wir konkret zu Ihrem Dohnal-Projekt. Wie legen Sie die Dokumentation „Wir wollen die Hälfte vom Kuchen“ an?
Für die Interviews habe ich mit sehr vielen Frauen gedreht, aus allen Generationen. Zum Beispiel mit ihrer Lebensgefährtin und ihrer Enkelin, aber auch mit ihrem Chauffeur. Ich habe mit Mitstreiterinnen gesprochen, jedoch auch mit Kontrahenten. In Johanna Dohnals politischer Laufbahn gibt es ja das Phänomen, dass sie sehr viel erreicht hat, aber trotzdem 1995 als Frauenministerin abgesägt wurde. Das war ein Schlüsselmoment, der sie wahnsinnig getroffen hat, als sie noch einmal in ihr Büro fahren wollte und alle Türen waren verschlossen. Sie war damals ein Opfer, als die SPÖ-ÖVP-Regierung neu zusammengestellt wurde. Doch das änderte nichts daran, dass sie eine Sozialdemokratin aus Überzeugung blieb. Wir haben sehr viel Fernsehmaterial von ihr gefunden, das wir in den Film integrieren. Da sieht man dann manchmal, wie diese als radikal geltende Frau total lieb auftritt, mit Perlenkette, als wäre sie eine Verwandte von Prinzessin Diana (lacht). Wir haben einige echte Fundstücke aufgetrieben. Aus Johanna Dohnals junger Zeit, vor der politischen Laufbahn, gibt es natürlich kein Filmmaterial. Aber da haben wir Fotos.
 
Können Sie jetzt, während des Drehs, schon sagen, wie der Film wirken soll?
Es ist die Geschichte einer Heldin, die stets das machte, wovon sie überzeugt war, und die nie von dieser Linie abgewichen ist.  Diese Heldin hat eine tolle Karriere hingelegt. Ihr Leben begann sie als hungriges Kind und ohne Bildung, doch sie hat sich dann selbst ihre Bildung verschafft und hatte das Glück, in der Ära Kreisky, dieser Zeit des Aufbruchs, wichtige Dinge für die Frauen umsetzen zu können. Dass sie in der Regierung abserviert wurde, war ein Schnitt. Aber dann kamen schon bald Initiativen wie zum Beispiel das erste Frauenvolksbegehren, in denen sie sehr engagiert war. Johanna Dohnal ist  2010 im Alter von 71 Jahren relativ früh gestorben: Diese Heldin hat auch gebüßt für ihren Heldenmut. Der Preis war hoch.
 
Sie zählen zu jenen wenigen Regisseurinnen, die sowohl Spielfilme als auch Dokumentationen drehen. Erfordern diese Genres sehr unterschiedliche Herangehensweisen?
Das sind komplett verschiedene Arbeiten. Allerdings nehme ich gern Elemente aus den Dokumentationen in meine Spielfilme hinein, indem ich sie stark mit Realität auflade. Ich bemühe mich, auch fiktive Figuren mit einem realen Leben auszustatten. Umgekehrt verwende ich Dinge aus dem Spielfilm in der Doku, indem ich zum Beispiel einen Plot einbaue. Der Aufwand ist bei Dokus meistens höher, weil man in der Regel sehr viel Material hat, das man komprimieren muss. Bei Spielfilmen hingegen, besonders bei TV-Filmen, ist die Zeit so knapp, dass ich gar nicht in Versuchung komme,  sehr viele Takes einer Szene zu drehen.
 
Wird „Wir wollen die Hälfte vom Kuchen“ ein TV- oder ein Kinofilm?
Der Film wird ins Kino kommen, und das finde ich toll. Im April 2019 will ich fertig sein, das muss auch so sein, denn das ist das Jahr von Johanna Dohnals achtzigstem Geburtstag. Was ich mir wünsche, ist, dass man die Geschichte dieser Heldin versteht. Und wenn sich manche Zuschauer nicht für den Feminismus interessieren, dann vielleicht für die Geschichte einer aufrechten Politikerin, die idealistisch war und die eine Vision hatte.