Fatih Akin
über seinen Horrorfilm „Der Goldene Handschuh“
„Ich wollte die Zuschauer erschrecken“
02.03.2019
Interview:
Peter Beddies
Vom Gang-Krimi „Kurz und schmerzlos“ bis zum Terror-Drama „Aus dem Nichts“: In den Filmen von Fatih Akin ging es schon immer ziemlich rau zur Sache. Doch jetzt hat der Hamburger Regisseur mit der Frauenmörder-Groteske „Der Goldene Handschuh“ seinen ersten Horrorfilm gedreht, der bei der Berlinale-Weltpremiere neben Beifall auch Ablehnung auslöste. Im FilmClicks-Gespräch erklärt Akin, was ihn am Horror-Genre fasziniert und was er mit der Darstellung von Gewalt ausdrücken möchte.
FilmClicks: Herr Akin, Sie hatten das Projekt „Der Goldene Handschuh“ mit den Worten angekündigt: „Das wird mein erster Horrorfilm“. Horror reicht von „Saw“ über „Shining“ bis zu – wenn man möchte – „Funny Games“ von Michael Haneke. Welchem Horror fühlen Sie sich nahe?
Fatih Akin: Ich würde gern noch einen weiteren Namen in den Ring werfen: „Freaks“ von Tod Browning aus dem Jahr 1931. Weil der so eine Körperlichkeit hat. Von der Philosophie oder der Kraft her find ich den ganz stark. So wie er den Zuschauer berührt. Da kommt „Freaks“ der Sache sehr nahe. Denn um Körper geht es in meinem Film ja auch.
Sie arbeiten in „Der Goldene Handschuh“ – völlig untypisch für einen Horrorfilm – mit langen Kamera-Einstellungen und versuchen nicht, den Zuschauer zu erschrecken.
Nun, Sie hatten doch gerade Michael Haneke erwähnt. Der war mir bei meinem Film insofern ein Vorbild, als ich mir seine Ästhetik angeschaut habe, seine langen Einstellungen. Übrigens mehr oder weniger aus der Not geboren. „Der Goldene Handschuh“ ist wie ein Studentenfilm. Wir hatten nicht genug Geld, nicht genug Zeit. Wir mussten uns beschränken. Und da habe ich bei Haneke nachgeschaut, wie Reduktion bei ihm funktioniert.
Es hielt sich in den letzten Jahren immer wieder das Gerücht, Sie hätten gern mal eine Geschichte von Charles Bukowski verfilmt. Der „Handschuh“ sieht sehr danach aus.
Stimmt. Ich wollte das immer mal machen. Aber aus den verschiedensten Gründen hat es nicht geklappt. Dann habe ich Heinz Strunks Roman „Der Goldene Handschuh“ gelesen. Und plötzlich lagen die Parallelen auf der Hand. Das war mein Bukowski. Das war der Stoff, das war das Milieu, das ich schon immer mal verfilmen wollte.
Gab es irgendwelche Bedenken Ihrerseits? Der Film ist schon sehr heftig. Und die Vorlage nicht weniger.
Bedenken ja. Und zwar in der Art: „Traue ich mir das zu?“ oder „Kann ich den Film in der Radikalität drehen, die es einfach braucht?“ Ich wollte die Zuschauer herausfordern. Aber zuvor musste ich mich selbst herausfordern.
Eines Ihrer Markenzeichen ist ja, dass Sie die Helden Ihrer Filme mögen.
Das ist hier nicht anders. Ich mag den Protagonisten Fritz Honka. Sowohl im Buch als auch im Film. Ich habe mich aber trotzdem bemüht, nicht mit Tricks zu arbeiten, um ihn empathischer zu machen. Das würde ich moralisch nicht für vertretbar halten. Fritz Honka ist ein Frauenmörder, ein brutales Monster. Ich muss jetzt nicht erzählen, dass er als Kind vergewaltigt wurde. Das hätte ich nicht gut gefunden. Aber trotzdem mag ich ihn. Und die Frage für mich als Filmemacher lautet: Was bleibt dann übrig?!
Was sagen Sie zu den sehr unterschiedlichen Publikums-Reaktionen auf den Film bei der Weltpremiere während der Berlinale?
Das war wie ein Rock-Konzert. So etwas habe ich noch nie erlebt bei meinen Filmen. Szenen-Applaus, Lacher, Schreck-Momente. Leute, die rausgehen. Leute, die klatschen, während andere buhen. Alles möglich. Wie bei einem Iggy-Pop-Konzert.
Egal, ob man den „Goldenen Handschuh“ mochte oder nicht: Alle waren sich einig, dass Jonas Dassler als Fritz Honka großartig spielt. Wie sind Sie auf ihn gekommen?
Ich hatte ihn überhaupt nicht auf dem Schirm. Aber dann waren wir mit „Aus dem Nichts“ bei den Bayerischen Filmpreisen. Wir saßen in der ersten Reihe, mit bestem Blick auf die Bühne. Und als Jonas Dassler ans Mikro trat, sagte meine Frau zu mir: „Guck mal, der zehn Jahre älter, und du hast Deinen Fritz Honka“. Das ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Da ich sowieso wusste, dass wir viel mit Maske arbeiten mussten, habe ich mich dann für Jonas entschieden. Und es nicht bereut. Er macht seine Sache phänomenal.
Lassen Sie uns nochmal auf das Horror-Genre zurückkommen. Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Horrorfilm aus?
Da fällt mir eine kleine Episode ein. Wir hatten, als wir auf Sankt Pauli drehten, richtig harte Jungs als Security. Die sind schon mal auf die andere Straßenseite gelaufen, wenn es zu laut war, und haben für Ordnung gesorgt. Das sind Männer, die schon viel Gewalt erlebt haben. Denen habe ich den „Goldenen Handschuh“ gezeigt und sie waren richtig erschüttert. Warum? Weil sie die Gewalt ernstgenommen haben.
Was einem im Kino und bei Serien immer schwerer fällt, oder?
Ich gucke ja selbst viel Horror. „The Walking Dead“ zum Beispiel – das ist eine Splatter-Orgie. Das erschreckt einen nicht mehr. Ich aber wollte Menschen mit meinem Film erschrecken. Ich wollte verstören. Da haben viele keinen Bock drauf. Doch so ist das nun mal.
Und warum wollten Sie Angst machen?
Das hatte – klingt jetzt vielleicht pathetisch und naiv und bescheuert – einen pädagogischen Grund. Aber ich glaube an sowas. Ich glaube, wenn man die Gewalt so sieht, wie wir sie in diesem Film zeigen – nicht effekthascherisch, nicht als Party – dann verstört dich die Gewalt. Sie lässt dich mit dem Kopf schütteln. Und das ist genau so gemeint. Ich wollte Realismus zeigen. Ich arbeite mit Realismus. Denn dann glaube ich es. Wenn ich es glaube, dann ist es wahrhaftig. Die Gewalt sollte wahrhaftig sein.
Warum sollte man sich „Der Goldene Handschuh“ im Kino auf der großen Leinwand ansehen?
Ganz einfach: Diesen Film hast du nicht auf Netflix! Wenn du Leute ins Kino locken willst dieser Tage, musst du sie herausfordern. Weil, auf der Couch sitzen und Chips fressen und „Narcos“ gucken, das kann jeder!
Und Sie haben jetzt Geschmack am Genre gefunden. Wird es gleich den nächsten Akin-Horror geben?
Gut möglich. Was macht ein Deutscher, wenn er nach Amerika geht? Horror!
(grinst). Also momentan sieht es so aus, als würde ich eine Neuauflage von Stephen Kings „Feuerkind“ drehen. Das wird sich bis zum Juni entscheiden. Wenn ich bis dahin das OK aus Amerika bekomme, werde ich das wohl machen.
Und wenn nicht?
Dann werde ich meine erste Serie realisieren: „Marlene“ über das Leben von Marlene Dietrich.
Also ein Fall von Entweder-Oder?
Nein. Die Serie über die Dietrich wird ganz sicher was werden. Diane Kruger spielt die Hauptrolle. Und mit ihr arbeite ich auch schon am Drehbuch.