Steven Soderbergh


„Einer muss das Publikum ja fordern!"

13.05.2013
Interview:  Anna Wollner

Er macht ernst mit seinen Plänen einer Film-Pause: Steven Soderbergh © A. Tuma/Starpix

Lange Zeit galt Steven Soderbergh als das Wunderkind des amerikanischen Independent-Kinos. Mit „Sex, Lügen und Video“ erhielt er 1989 als jüngster Regisseur überhaupt die Goldene Palme in Cannes. Seinen frühen Erfolg quittierte er mit den Worten „Von nun an kann es nur noch bergab gehen“. Er sollte sich irren, denn es ging stetig bergauf. Spätestens seit seiner Doppelnominierung als bester Regisseur bei den Oscars 2001 für „Erin Brokovich“ und „Traffic“ und seinem Gaunerkomödien-Triple mit der „Oceans“-Reihe war Soderbergh im künstlerisch anspruchsvollen Hollywood-Olymp angekommen. Sein neuester und (neben dem Fernsehfilm „Behind the Candelabra“ vermutlich für eine längere Zeit letzter) Kinofilm ist „Side Effects“ mit Jude Law und Rooney Mara. Ein Film über die vermeintlichen Nebenwirkungen von Antidepressiva. Zumindest in der ersten halben Stunde.




FILMCLICKS: Mister Soderbergh, eigentlich sollten wir über Ihren neuesten Film „Side Effects“ sprechen. Aber das müssen wir erstmal hinten anstellen. Es gibt immer wieder Gerüchte, dass Sie aufhören wollen mit dem Filmemachen. Was ist da dran?
 
Steven Soderbergh: Ja, es stimmt. Ich will eine Pause machen. Keiner weiß, wie lange sie dauern wird.
 
Sind Sie müde?
Nicht müde, eher ausgelaugt. Ich brauche einen Neustart. Es ist als würde ich immer und immer wieder gegen eine Wand rennen. Ich muss die Dinge einfach mal aus einem anderen Winkel betrachten können.
 
Liegt es an Ihnen und Ihrer Kreativität oder am System?
Es gibt viele verschiedene Faktoren. Ich muss sie auch gar nicht alle kennen. Alles, was ich wissen muss, ist, dass es für mich Zeit wird, mich von meiner Filmemacher-Haut zu lösen und eine neue wachsen zu lassen. Der Gedanke reift in mir schon seit mehr als fünf Jahren. Die Dinge verändern sich. „Side Effects“ und „Magic Mike“ waren zwei Filme, die eigentlich nicht geplant waren. Ich bin bei „Moneyball“ rausgeflogen und habe stattdessen „Haywire“ gemacht. Da habe ich Channing Tatum kennengelernt, und ehe ich es mich versah, steckte ich mitten in den Vorbreitungen zu „Magic Mike“. Das sind alles Filme, die ich auf keinen Fall bereue, aber ich merke, dass es Zeit für einen Tapetenwechsel wird.
 
Ist ein Leben ohne Film für Sie überhaupt möglich?
Natürlich. Ich bin seit meinem zwölften Lebensjahr ein Film-Nerd. Das ist eine lange Zeit, um von etwas besessen zu sein. Ich habe viel Zeit ins Filmgeschäft investiert. Wenn man Quantität vor Qualität setzt, bin ich doppelt so gut wie Stanley Kubrick.
 
Im Notfall des Film-Entzugs könnten Sie ja zu Tabletten greifen. Wie Rooney Mara in Side Effects".
Sie werden lachen. Ich habe heute morgen erst eine Tablette genommen. Einen Betablocker. Um mich für die Interviews auf ein gewisses Level zu puschen. Die Dinger helfen da wahre Wunder.
 
Das sagen Sie einfach so, obwohl Ihr Film eine Art Abrechnung mit der US-Pharmaindustrie ist. Zumindest im ersten Drittel. Kann man „Side Effects“ als Kommentar zum Medikamentenmissbrauch verstehen?
Wenn Sie so wollen, ja. Wobei mich in erster Linie die Interaktion zwischen der Pharmakologie, den Ärzten und der Gesetzgebung gereizt hat Das kollidiert doch in jeder Hinsicht. Um ehrlich zu sein: Ich selbst hatte noch nie eine Depression, ich kenne zwar viele Leute, die darunter gelitten haben, weiß aber nicht, wie sich das genau anfühlt. Ich kann mir nur vage vorstellen, dass man zu allem bereit wäre, um da rauszukommen.
 
In diesem Fall dann eben mit Antidepressiva – Nebenwirkungen hin oder her?
Es geht doch gar nicht so sehr um den Medikamentenmissbrauch, sondern  darum, das die depressiven Phasen nicht zu tief und die manischen nicht zu hoch sein sollten. Ich glaube, letztendlich ist dieser Ausgleich auf einem einigermaßen normalen Level am Ende des Tages effektiver als von einem Haus springen zu wollen. Zur gleichen Zeit fühlt es sich aber auch nicht wie das echte Leben an. Ein Dilemma, aus dem auch ein Film nicht raus helfen kann.
 
Ein Grund dafür, dass nach knapp 35 Minuten Ihr Film in eine vollkommen andere Richtung driftet und zu einem Psychothriller wird?
In gewisser Weise Ja. Diese falsche Fährte war schon im Skript einfach nur ein genialer Schachzug. Nach den ersten Seiten dachte ich, okay, es geht um eine junge Frau mit einem Problem. Und dann kommt alles ganz anders. Der Drehbuchautor Scott Z. Burns hat mich damit schon in „Contagion“ überrascht: eben nicht das offensichtliche zu tun, sondern den Zuschauer hinten rum zu überraschen.
 
Damit kann man den Zuschauer aber auch schnell verärgern.
Na und? In Amerika gab es allen Ernstes Leute, die sagten, sie hätten gerne einen Film nur über Depressionen gesehen. Aber genau das will ich doch nicht. Das ist doch dumm und langweilig. Das will ich im Kino nicht sehen. Keiner will das. Das sehen wir doch schon im echten Leben jeden Tag auf der Straße. Es ist doch geradezu genial, dass Scott Z. Burns hier den sozialen Kontext als trojanisches Pferd benutzt, in dem er den Thriller versteckt, um ihn dann langsam mitten im Film frei zu lassen. Filme wie „Side Effects“ haben im amerikanischen Kino eine lange Tradition und sind vor knapp zwanzig Jahren aus der Mode gekommen. Ich sage nur Hitchcock.
 
Sie scheinen solche Experimente zu lieben. Das Publikum mit etwas zu konfrontieren, dass den Seh-Gewohnheiten widerspricht.
Einer muss das Publikum ja fordern. Aber man muss auch immer vorsichtig sein mit Experimenten. Vor allem damit, nicht zu viel Geld auszugeben und im Notfall in den Sand zu setzen. Ein guter Freund hat mir mal verraten, dass er nach „Voll Frontal“ so sauer auf mich war, dass er mich am liebsten umgebracht hätte. Er konnte einfach nicht glauben, dass ich einen Film so enden lasse.
 
Wie haben Sie reagiert?
Ich hatte in dem Fall keine andere Wahl. Der Film musste so enden . Am Ende des Tages geht es doch um den stummen Vertrag zwischen Publikum und Filmemacher. Das auszuloten, war spannend. Es ist ein schmaler Grat, aber genau darum geht es beim Filmemachen. Kino ist immer eine Grenzerfahrung.