Hubert Sauper
über seine Doku „We Come As Friends“, Afrika, Kolonialismus und Religion
„Religionen sind beängstigende Organisationen“
27.11.2014
Interview:
Matthias Greuling
In seiner Doku „We Come As Friends“ untersucht der Tiroler Filmemacher Hubert Sauper (Oscar-Nominierung 2006 für „Darwin’s Nightmare“) moderne Formen des Kolonialismus. Er hat sich dafür im seit 2011 zweigeteilten Sudan umgesehen. Dort traf er Lokalpolitiker, Rädelsführer, Leidtragende und Kriegsherren. Es entstand ein beklemmendes Porträt unserer globalisierten Welt. Wir trafen Sauper zum FilmClicks-Gespräch.
FilmClicks: Herr Sauper, weshalb ist der Sudan für Sie eine Modellregion für das Abbild eines modernen Kolonialismus?
Hubert Sauper: Der Sudan ist sehr speziell. Es hat eine lange, schmerzhafte Kolonialgeschichte, war gewissermaßen immer der „Hinterhof“ von Imperien. Der längste Krieg des afrikanischen Kontinents fand im Sudan statt, als Konsequenz der britischen Kolonisierung. Die Teilung des Sudan im Jahr 2011 in zwei kleine Staaten war wie ein Fenster in die Geschichte. Denn das fatalste, was diesem Kontinent passiert ist, war die koloniale Zerteilung in 50 Nationen. Die von den Europäern geschriebenen Grenzen sind Linien der Vernichtung, die von Millionen von Toten gesäumt wurden. Die neue Grenze durch die zwei sudanesischen Staaten zieht wie ein makaberer Witz genau durch die Ölfelder am oberen Nil, die man in „We Come As Friends“ sieht, und ich musste kein Prophet sein, um den nächsten Krieg vorauszusehen.
Für Ihre Filme gehen Sie teilweise uneinschätzbare Risiken ein, etwa wenn Sie bei sudanesischen Kriegsherren drehen. Wie funktioniert Ihre Arbeitsweise?
Die Risiken, die ich eingehe, sind aus meiner Sicht sehr wohl einschätzbar. Es ist mein Beruf, sie richtig einzuschätzen. Es stimmt, für die Filmarbeit gehe ich oft an die Grenze, aber nicht darüber. Ich finde, andere Leute riskieren viel mehr als ich: Man setzt das eigene Leben aufs Spiel, wenn man es nicht voll lebt. Und es wird dann voller Kompromisse und Komfort, Ruhe und falscher „Sicherheit“ sein.
Welchen Eindruck gewannen Sie aus der Arbeit am Film über das Thema „Religion, und wie sehr sie das Leben der Menschen bestimmt“?
Seit es Menschen gibt, suchen wir Antworten auf das Mystische, das nicht Erklärbare, wie zum Beispiel den Tod. Das ist phantastisch, spirituell, das definiert die Menschheit. Aber nicht Religion als Denkmonolith. Religionen sind für mich beängstigende Organisationen mit Methoden, Massen in den Wahnsinn und in den Tod zu treiben, Massen zu regieren. Religion ist ein Mittel zur Macht. In dem folgeschweren Satz der Bibel „Macht euch die Welt untertan und vermehret euch“ steckt eigentlich das ganze Unheil, in dem der Planet sich befindet.
Wie äußerte sich das beim Dreh zu „We Come As Friends“ im Sudan?
Im Sudan wurde mir mehr als klar, wie banal das funktioniert: Es heißt „Us against them“, Jesus gegen Mohammed, und schon fliegen die Fetzen. Die Anführer, diese grauenhaften Kriegsherren, von denen ich etliche kennenlernen musste, waren von Kindheit an vom Koran oder von der Bibel gedrillt. Aber es ist auch klar, dass Strukturen nötig sind, damit Millionen und Milliarden einzelne Leute zusammenleben können. Auch das liefern uns Religionen, und sehr bewundernswerte Menschen arbeiten innerhalb ihrer Struktur. Wenn eine Gruppe von Leuten zusammen mit dem imaginären Gott reden, oder zu ihm singen, dann „existiert“ dieser auch. Und dann wird viel gemeinsame, starke Energie frei. Ich kann also nicht jemanden verurteilen, der darin Lebensinhalt, und Orientierung findet. Ich suche lieber selber die Orientierung, und verirre mich manchmal dabei.
Welcher Zugang versteckt sich hinter der episodenhaften Form Ihres Films?
Was ich versuche, ist eine extreme, tief in unser Denken dringende Form zu finden. Meine Filme sind minutiös und sehr genau gestaltet, ich arbeite entsprechend viele Jahre an jedem Film. Die Filmkunst kann im idealen Fall die Brücke zwischen dem Wissen einerseits und dem Begreifen sowie dem Verstehen andererseits schlagen. Erst dann ist ein Eck im Hirn aktiviert. Erst dann werden Leute politisiert, engagiert, und, noch wichtiger, für die Enigmen des Menschen interessiert. Das ist ein phantastischer Effekt. Deshalb wird jedes Buch, Lied und jeder Film „die Welt verändern“. In welche Richtung genau, kann man als Autor kaum voraussehen. Jedenfalls wird’s nicht langweilig.