John Hurt


„,Snowpiercer‘ – dieser Film ist ein Denkmal für Hitchcock!“

26.04.2014
Interview:  Peter Beddies

John Hurt als weiser Mann im sensationellen Science-Fiction-Drama „Snowpiercer“ © Thim Film

Der Brite John Hurt, 74, ist eine Kino-Legende. Mehr als 180 Filme in den letzten 50 Jahren. Darunter  Klassiker wie „Midnight Express“, „Alien“ und „Der Elefantenmensch“. In Independent-Filmen fühlte er sich genauso wohl wie im Reich von „Harry Potter“. Nun ist John Hurt in „Snowpiercer“ zu sehen, dem aufregendsten Science-Fiction-Film des Jahres. Das Drama über die Überlebenden einer Umweltkatastrophe, die in einem Expresszug durch eine vereiste Welt rasen, hätte es beinahe nicht auf die Leinwand geschafft: US-Filmmogul Harvey Weinstein,  der in vielen Länden die Vertriebsrechte besitzt, erhob heftige Einwände. Dieses Thema steht am Beginn des FilmClicks-Interviews mit John Hurt. 


FilmClicks: Wir alle haben von Harvey Weinstein erfahren, dass „Snowpiercer“ 20 Minuten zu lang ist, eine Einleitung und einen Schlusskommentar bräuchte…
John Hurt: …vergessen Sie nicht, dass der Film zu kompliziert ist, als dass ihn jemand Ohio verstehen könnte. Armes Ohio. Immer muss dieser Staat für die Intoleranz von Filmstudios herhalten.
 
Eine verrückte Geschichte, die sich leider immer mal wiederholt. Der große Produzent  Harvey Weinstein greift gern in Projekte ein. Bei allem Respekt; glauben Sie, dass der Kerl wahnsinnig ist?
(lacht) Interessante Frage. Ich glaube, dass Harvey einen Zwang hat, alles ändern zu müssen, was er einmal begonnen hat. Man darf nicht vergessen, dass er sich um das europäische Kino in den Staaten sehr verdient gemacht hat. Er holte etliche Filme auf den US-Markt, die es ohne ihn nicht geschafft hätten. Daraus leitet er ab, dass er machen kann, was immer er will. Das geht bis zu einem gewissen Punkt. Aber bei „Snowpiercer“  musste er einsehen, dass er zu weit gegangen ist. Und was Ihre Frage angeht: Ein Hauch Wahnsinn ist bei diesem Mann immer mit im Spiel.
 
Sie haben in den letzten knapp 50 Jahren in sehr vielen Filmen mitgespielt. Was hat Sie am Projekt „Snowpiercer“ gereizt?
Ganz einfach. Ich wollte wissen, wie der koreanische Regisseur Bong Joon-ho das realisiert. Ich kannte die Comic-Vorlage. Ich wusste von dem Plan, daraus einen Film zu machen. Aber ich konnte mir einfach nicht vorstellen, wie man aus der Idee, einen Trupp Menschen in einem Zug durch die Welt zu schicken, einen spannenden Film macht. Das wollte ich unbedingt sehen.
 
Das Ergebnis ist großartig anzuschauen. Wie waren die Dreharbeiten?
Ich kann Ihnen einen Satz wiedergeben, den Tilda Swinton zu mir am letzten Drehtag gesagt hat: „Eigentlich will ich nie wieder mit einem anderen Regisseur arbeiten“. Dieses Gefühl hatten wir alle. Der Kerl ist bei der Arbeit höchst konzentriert, dazu noch sehr witzig. Und er arbeitet enorm ökonomisch. Wir mussten die Szenen nicht hundert Mal wiederholen. Er wusste sehr schnell, wann genug genug ist.
 
Auf der einen Seite fragt man sich, warum – seit ein paar Jahren schon – das asiatische Kino so spannend ist. Und auf der anderen Seite sieht ein Film wie „Snowpiercer“ gar nicht mehr asiatisch aus.
Da stimmen wir völlig überein. Und warum ist das so? Weil Bong seinen Hitchcock auswendig kennt. Er hat alle Filme von ihm gesehen und setzt ihm nun ein Denkmal. Aber er macht es eben nicht so, dass man ständig denkt, hier würde etwas kopiert. Regisseure aus Asien finden momentan die spannendsten Wege, um Geschichten zu erzählen. Amerika und Europa kommen da oft nicht mehr mit.

John Hurt: „Die Welt, die in ,Snowpiercer‘ gezeigt wird, ist unsere Welt“ © Thim Film
 
Wie weit sind wir heute im Jahr 2014 von der eisigen, menschlich kalten Welt entfernt, die in „Snowpiercer“ geschildert wird?
Das auf der Leinwand ist unsere Welt. Und wie in diesem Zug mit verschiedenen Problemen umgegangen wird – zum Beispiel mit der Überbevölkerung –, das entspricht ziemlich genau unserem heutigen Umgang mit Problemen. So schlimm es vielleicht klingen mag und so grausam verschiedene Dinge im Film ausschauen, es gibt für etliche Probleme keine humanitären Lösungen. Dafür hat die Menschheit zu lange auf Pump gelebt.
 
Denken Sie oft an die Zukunft?
Ja, aber machen wir das nicht alle?
 
Stimmt schon. Aber denkt man nicht häufiger an die Zukunft, wenn man älter wird?
Ja, da ist etwas dran. Aber man denkt eher über die Zukunft der anderen nach, weil einem selbst nicht mehr so viel Zukunft bleibt. Wenn man zum Beispiel erlebt, dass ein junger Mensch ohne einen Plan – nur von seinem Instinkt geleitet – durch sein Leben gleitet, ist man schon versucht, ihm ein wenig in seiner Entscheidung zu helfen. Aber das bringt meistens nichts. In diesem Zusammenhang: Es ist schade, dass man sich in der Jugend so wenig darum kümmert, was das große Ganze ist. Dieses Bewusstsein kommt erst später, bei der Einsicht: „Ich hatte meinen Spaß, jetzt denke ich an die Anderen“. Darum geht es zum großen Teil ja auch in „Snowpiercer“: An welchem Punkt fange ich an, Verantwortung zu übernehmen?!
 



Kritik
Snowpiercer
„Snowpiercer“ mit Chris Evans und Tilda Swinton ist einer der stärksten Science-Fiction-Filme seit langem. Der Plot: In einer bitterkalt gewordenen Welt überleben nur noch die Insassen eines Expresszugs, der Runde um Runde um den Planeten Erde dreht. Mehr...