Stacy Martin


„Das ist kein Porno, sondern der ultimative Liebesfilm!“

20.12.2013
Interview:  Peter Beddies

Stacy Martin spielt in „Nympomaniac“ eine junge Frau, die (nicht nur) mit Shia LaBeouf Sex hat © Filmladen

„Nymphomaniac“: Die 22-jährige Stacy Martin ist noch ein vollkommen unbekanntes Gesicht in der Filmwelt. Das wird sich bald ändern. Die Britin spielt eine Hauptrolle in  dem erotischen Kino-Zweiteiler von Lars von Trier.  Nach der erfolgreichen Berlinale-Premiere läuft „Nymphomaniac – Teil 1“ jetzt am 20. Februar im Kino an. Die weibliche Hauptfigur namens Joe kommt doppelt ins Bild: Die reife Joe (Charlotte Gainsbourg) erzählt ihr Leben - die junge Joe (Stacy Martin) entdeckt und zeigt ihren erotischen Heißhunger. Im FilmClicks-Interview berichtet Stacy Martin über den Dreh mit Lars von Trier: „Wir zeigen im Film normale Menschen beim Sex. Und das gibt es im Kino viel zu selten.“



FilmClicks: Auch wenn Sie bisher nur wenigen Menschen bekannt sind, kann man schon sagen, dass die Welt Sie jetzt anders sehen wird. Denn selten hat sich jemand in seinem Filmdebüt derart nackt gezeigt.
STACY MARTIN: Das stimmt. „Nymphomaniac“ ist mein allererster Film. Ich wusste nicht, was ich zu erwarten hatte. Und dann gleich so ein Knaller. Als ich den Film zum ersten Mal sah, wollte ich wissen, ob das alles nur ein Traum war, was ich vor einem Jahr bei den Dreharbeiten erlebte - oder ob es wahr ist, dass ich meinen ersten Film unter der Regie von Lars von Trier gedreht habe.
                             
Haben Sie bei der Vorführung die ganze Zeit hin- oder auch manchmal weggeschaut?
Weggeschaut? Auf keinen Fall! Ich war total gespannt, denn wir hatten ja keine Ahnung, wie der Film fertig aussehen würde.


 
Vielleicht sollte man erklären, dass Sie und die anderen Schauspieler keine Pornoszenen zu drehen hatten.
Das war von Anfang an klar. Ich habe gleich zu Lars gesagt, dass ich einen Vertrag habe und sein Projekt unterstütze, aber keinen Sex vor der Kamera haben werde. Und er sagte: „Auf keinen Fall. Dafür ist doch Cindy da!“. Jeder von uns hatte sein Sex-Double.
 
Ist das angenehm, so ein Double zu haben?
Absolut großartig! Ich wusste ja, dass ich als Hauptdarstellerin in einem Film mit diesem Titel nackt zu sein hatte. Aber alles, was im Film an konkreten Sexszenen zu sehen ist, das war nicht ich. Auch wenn es im Film anders aussieht. Ich hatte keinen Sex!
 
Das klingt nach einem sehr technischen Prozess.
Das war es auch. Zuerst wurden die Hardcore-Porno-Szenen gedreht. Und dann bekamen wir – zum Beispiel Shia LaBeouf und ich – Anweisungen, wie wir uns zu setzen oder hinzulegen hätten. Das musste alles identisch sein, bis hin zum kleinen Finger. Später wurden die Bilder von uns und jene der Porno-Darsteller zusammengemischt. Ein irrer Prozess. Als ich den Film sah, musste ich kurz überlegen, ob ich wirklich keinen Sex mit Shia LaBeouf hatte.  
 
Wie begegnet man einem Lars von Trier zum ersten Mal?
Das war etwas bizarr. In der Nacht vor unserem ersten Treffen hatte ich kaum geschlafen, weil ich so aufgeregt war. Dann stand ich vor ihm und wusste nicht, was ich sagen sollte. Und Lars ging es offenbar genau so. Denn er schwieg auch. Wir standen da und schauten uns einfach an. Vielleicht ein typischer Lars-von-Trier-Kennenlern-Moment.
 
Haben Sie ihn später gefragt, warum er Sie für die Hauptrolle haben wollte?
Nein, das habe ich nicht. Nur ganz am Anfang wollte ich wissen: „Lars, bist Du sicher?“. Und er meinte nur: „Ja!“.
 
Der Film wird Ihr Leben verändern, egal, wie es jetzt bei Ihnen weitergeht. Aber hat sich auch Ihr Verhältnis zu Ihrem Körper und Ihrer Sexualität geändert?
Nein, warum sollte das passieren? Es ist nur ein Film, in dem ich mitgespielt habe. Meine Einstellungen bleiben davon unberührt. Ich bin keine Nymphomanin, das werde ich vielleicht demnächst häufiger erklären müssen. Und ich werde sicher auch betonen, dass ich nicht automatisch in jedem meiner nächsten Filme eine Sexszene haben möchte.
 
Was ist der große Vorzug dieses Films, wenn man alles Sensationelle oder Anrüchige, das man ihm vielleicht andichten wird, weglässt?
Sensationell mag der Film sein, anrüchig auf keinen Fall. Es ist auch kein Porno. Eher der ultimative Liebesfilm.
 
Wieso?
Weil er die Liebe so zeigt, wie sie wirklich jeden Tag geschieht. Mal wunderbar, mal widerwärtig. Die Körper können zauberhaft sein oder abstoßend. Auf jeden Fall aber zeigen wir im Film normale Menschen beim Sex. Und das gibt es im Kino viel zu selten. Liebe wird immer glorifiziert. Das trifft auf das Leben, das jeder kennt, nicht zu. Menschen haben Leidenschaften beim Sex. Das muss auch mal gezeigt werden dürfen. Beim Thema Sex lügen wir viel zu oft. Lars geht es dagegen darum, dass wir ehrlich zueinander sind.
 
Welche Szene war am absurdesten zu drehen?
Die im Zug, in dem ich einem Mann einen blasen soll. Lars meinte zu mir, dass ich so tun sollte, als würde ich das zum ersten Mal machen und dass ich nicht professionell wirken solle. Woraufhin ich ihm sagte: “Lars, das Ding ist aus Plastik und es schmeckt nach Kirsche. Wie soll das bitte romantisch aussehen, wenn ich daran nuckele?“
 
Haben Sie sich den Kirschgeschmack gewünscht?
Das war wohl eher Zufall. Ich dachte, ich höre nicht richtig, als man mich nach meiner Wunsch-Geschmacksrichtung fragte. Das war mir neu. Vielleicht hätte ich ja Vanille sagen sollen? Auf jeden Fall eine sehr absurde Szene.
 
Was sollte man den Zuschauern mit auf den Weg geben, die sich viel nackte Haut und Erregung von diesem Film erwarten?
Dass sie all das bekommen. Aber dass sie auf der anderen Seite nicht enttäuscht sein dürfen, wenn es auch um die ganz großen anderen Fragen des Lebens geht. Woran glaube ich? Bin ich der Außenseiter oder die anderen? Was ist Moral? Und vieles andere mehr. Man geht aus diesen fünfeinhalb Stunden nicht dümmer heraus.
 
Aber zuerst gibt es zwei Teile fürs Kino, die vier Stunden lang sind. Da Lars von Trier gerade keine Interviews gibt, die Frage an Sie. Warum die vierstündige Kurz- und fünfeinhalbstündige Langfassung?
Die kürzere Fassung ist so geschnitten, dass sie überall auf der Welt für Erwachsene gezeigt werden kann. Man kann die Fassung softer nennen. Die längere Fassung baut einige Storys aus und zeigt alles an direktem Sex, das man sich vorstellen kann. Diese Fassung wird wohl nur in den Ländern zu sehen sein, die keine großen Probleme mit Pornografie haben.
 
Glauben Sie, dass Lars von Trier mit diesem Film eine Debatte anstoßen wird?
Das wünsche ich mir sehr. Wir haben es so sehr hingenommen, in vielen Filmen Blut und Gedärme zu sehen. Es wird gestorben und gelitten, ohne dass es jemanden stört. Aber wenn man zwei Menschen beim Sex zeigt, ist das Geschrei groß. Das ist völlig widersinnig. Wenn die Gesellschaft darüber mal wieder anfängt zu diskutieren, dann ist schon ein großer Schritt getan. Und ich glaube fest daran, dass diese Debatte jetzt beginnen wird.



Kritik
Nymphomaniac - Teil 1
Lars von Trier hat mit „Nymphomaniac“  den Film des Jahres 2014 geschaffen: So viel verdichtetes Leben und zugleich Kunst in ein Kinodrama zu packen, das schafft nur er. Jetzt läuft der erste Teil. Der zweite folgt im April. Mehr...