Der Regisseur und der Nachtclub-König
20.09.2013
Interview:
Matthias Greuling
„Er kam mir vor wie eine Figur aus einem Roman des 18. Jahrhunderts“: Der britische Regisseur Michael Winterbottom erzählt im FilmClicks-Interview über seinen neuen Film, das Bio-Pic „The Look of Love“. Winterbottom porträtiert den britischen Porno-König Paul Raymond, der in den sechziger und siebziger Jahren zum reichsten Mann Englands wurde.
FilmClicks: Der Nachtclub-Tycoon Paul Raymond war in Großbritannien eine schillernde, aber auch eine tragische Figur - man denke nur an den Drogentod seiner Tochter. Was war denn für Sie der Aspekt, den Sie im Film betonen wollten?
Michael Winterbottom: Raymond hatte eine sehr lange Karriere, und mir kam es vor, als wäre er einer dieser Figuren aus einem Roman des 18. Jahrhunderts. Sie wissen schon, all diese prunkvollen Hauptfiguren, die mal ganz unten und mal ganz oben sind, und deren Karrieren man als Leser begleitet. Raymond hatte so ein Leben. Und für Steve Coogan war die Motivation als Schauspieler sehr groß, denn er konnte eine große Perücke tragen, und lustige, opulente Mäntel. Es gibt an der Oberfläche einen sehr komödiantischen Aspekt an dieser Person, allein schon durch seine schrillen Outfits. Es gab aber auch persönliche Ereignisse in Raymonds Leben, über die wir nicht hinweg sehen konnten. Der Umstand, dass er seine Tochter verlor, die 1992 an einer Überdosis starb. Von da an zog er sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück, bis zu seinem Tod 2008. Das ganze tolle Leben, das er geführt hatte, war am Ende wertlos für ihn.
„The Look of Love“ erinnert ein bisschen an Ihren Film „24 Hour Party People“ über die Musikszene von Manchester. Dabei sind Sie doch ein Regisseur, der sich niemals wiederholen möchte…
Die Filme sind sich ähnlich, was ihre Erzählstruktur betrifft. Der Unterschied ist, dass man Raymonds Welt nicht als eine schöne Welt bezeichnen kann. Ja, an der Oberfläche, mit all den Clubs, dem Tanzen, der Party. Aber darunter sieht es anders aus. Mit der Zeit werden die Clubs immer schäbiger und der Mann wird immer abgestumpfter. Alles wird ganz offensichtlich unangenehmer. Das ergibt eine klassischere Filmdramaturgie: Eine Figur, die alles hat, und am Ende alles verliert. Seine Clubs, seine Frau, seine Kinder, seinen Einfluss. In „24 Hour Party People“ hingegen sind die Helden am Ende wieder wie am Anfang: Sie würden am liebsten alles noch einmal genauso machen.
Ist es ein Unterschied, ob Sie einen Film über eine reale Person oder einen über fiktionale Figuren drehen?
Ich habe viele Filme über tatsächlich existierende Personen gemacht. Ich weiß nicht warum. Eine simple Erklärung wäre, dass es leichter ist, weil man schon eine vorhandene Geschichte hat und nicht erst eine erfinden muss. Die Leute wollen kohärente Figuren und Geschichten. Etwas, das man am Anfang in einem Film erzählt, muss am Ende zu etwas führen. Die Hauptfigur muss eine Reise machen, muss etwas lernen, und so weiter. Ich hasse solche Regeln, denn sie sind so weit von unserem realen Erleben entfernt. Das sind dann im besten Fall künstlerische Reduktionen von Lebensläufen. Das Tolle an realen Figuren ist also, dass sie eben nicht kohärent sind und man ihre Lebensläufe nicht zurechtbiegen kann, nur um einem gängigen dramaturgischen Schema zu entsprechen. Es gibt Widersprüche und das gibt einem als Regisseur viel Freiraum.