„Wir wollten einen Film über einen talentierten Loser drehen“
02.12.2013
Interview:
Anna Wollner
Joel und Ethan Coen sind die erfolgreichsten Brüder im Filmgeschäft. Mit „Fargo“, „The Big Lebowski“ und „No Country For Old Men“ haben sie nicht nur düster-humorige Kultfilme für die Ewigkeit geschaffen, sondern auch jeweils vier Oscars im Schrank. Die Coen-Brüder treten meistens zusammen auf: Beim Schreiben, beim Inszenieren und auch bei Interviews. FilmClicks traf sie im Londoner SoHo-Haus, um mit ihnen über ihren neuen Film zu sprechen. „Inside Llewyn Davis“ ist ein melancholischer, beinahe schon regloser Film über das Leben eines Folkmusikers in New York. Die Coens wurden für die Produktion in Cannes mit dem großen Preis der Jury ausgezeichnet. Zusammen.
FilmClicks: „Inside Llewyn Davis“ spielt Anfang der Sechziger Jahre in New York, kurz vor dem großen Umbruch in der Pop-Kultur. Warum haben Sie den Film in der Prä-Dylan-Ära angesiedelt?
Joel Coen: Keiner kennt diese Zeit wirklich. Die Musik-Szene, die Bob Dylan groß gemacht hat, war vor seinem Erfolg winzig, fast schon wie eine kleine Insel, wie in einer Kleinstadt. Die große kommerzielle Ausschlachtung kam erst später. Der Reiz lag für uns im Unbekannten. Wer will schon einen Film über Bob Dylan machen? Wir jedenfalls nicht.
Ethan Coen: Wir hatten sowieso nie die Absicht, ein Bio-Pic zu machen. Weder über Dylan noch über den Folkmusiker Dave Van Ronk, auf dessen Biografie die Figur Llewyn Davis irgendwie aufbaute. Wir haben lediglich Van Ronks Repertoire benutzt und ein paar Momente seines Lebens geliehen, um unsere Geschichte zu erzählen.
Der Film zeigt, dass Erfolg nicht nur eine Frage des Talents, sondern auch eine des Timings ist. Ist das auch eine Art Selbstreflexion von Ihnen beiden?
Ethan: Natürlich finden wir uns auch selbst in der Geschichte wieder. Aber das kann jeder. Jeder kennt irgendjemanden, der zwar Talent hat, doch noch immer auf den großen Durchbruch wartet. Diese Ängste und existenziellen Fragen kamen uns sehr bekannt vor.
Joel: Deswegen haben wir uns auch bewusst dafür entschieden, sie nicht zu beantworten. Wir wollten einen Film über einen Typen machen, der zwar gut, aber auch ein Loser ist. Warum das so ist, weiß keiner. Es hat etwas Selbstzerstörerisches. Andere Leute können das vielleicht in Erfolg umwandeln. Bei Llewyn ist es einfach nur Pech und schlechtes Timing.
Können Sie sich Ihren eigenen Erfolg erklären?
Joel: Nein. Genauso wenig wie einen Misserfolg. Ich weiß nur, dass wir sehr viel Glück hatten. Aber ob das jetzt der Grundstein für unsere Karriere war? Wer weiß das schon.
Hätten Sie aus heutiger Sicht Dinge in ihrer Karriere anders gemacht?
Ethan: Natürlich. Wenn sich eine andere Gelegenheit ergeben hätte, warum nicht.
Joel: Ich kann gerne mal ein Beispiel aus unseren Anfängen geben. Als wir unser erstes Drehbuch geschrieben hatten und den Film drehen wollten, da suchten wir ewig nach Finanzierungsmöglichkeiten. Wir hatten überhaupt keine Erfahrung, keinen Ruf. Nichts. Wenn an diesem Punkt der Verzweiflung ein großes Studio auf uns zugekommen wäre und unseren Film produziert hätte, hätten wir wahrscheinlich zugesagt. Und wir hätten unsere Kontrolle abgeben müssen. Wir waren ja Anfänger. Das ist aber zum Glück nicht passiert. Wir mussten also selber Geld auftreiben. Hatten damit aber auch die absolute Kontrolle über den Film. Den Final Cut. Wir haben den Film also genauso gemacht, wie wir ihn machen wollten. Das war kein Prinzip, sondern einfach nur von Herzen aus optimistisch. Und es hat sich gelohnt.
Hat Sie Ihr Erfolg als Marke Coen Brothers überrascht?
Ethan: Unsere Karriere steckt voller Überraschungen. Wir sind erfolgreicher, als wir es jemals für möglich gehalten hätten. Ein Teil war Glück, ein Teil war Kalkulation. Bei jedem neuen Projekt wägen wir ab, was der Film kosten wird und wie viel Potenzial in der Geschichte steckt. Wie groß der kommerzielle Erfolg werden könnte. Selbst wenn viel dagegen spricht, machen wir den Film dann meist trotzdem.
Welcher Filmerfolg hat Sie am meisten überrascht?
Ethan: Das war „Fargo“. Ein kleiner Film, von dem wir uns wenig versprochen haben, den wir aber unbedingt machen wollten. Am Ende war er wesentlich erfolgreicher als angenommen.
Joel: „The Big Lebowski“! Wir haben im Leben nicht damit gerechnet, dass aus dem Film eine Art Religion wird.
Ethan: Wir haben mit dem Film kaum was verdient. Aber das Eigenleben, das „Lebowski“ mittlerweile entwickelt hat, ist fast schon beängstigend.
Zurück zu „Inside Llewyn Davis“. Nach „A Serious Man“ erzählen Sie schon zum zweiten Mal eine Geschichte aus den Sechzigern. Gibt es für Sie Parallelen zwischen den Filmen?
Joel: Das Setting aus „A Serious Man“ ist uns natürlich wesentlich vertrauter, denn genau in dieser Atmosphäre sind wir selbst groß geworden. Eine jüdische Gemeinde im mittleren Westen irgendwann in den Sechzigern. Das ist unsere Kindheit. Die Welt in „Inside Llewyn Davis“ ist auch für uns exotisch.
Hätte der Film auch in der Gegenwart spielen können?
Joel: In gewisser Weise tut er das. Gehen Sie doch heute einfach mal durch Brooklyn. Die jungen Leute da sehen genauso aus, tragen die gleichen Klamotten und gleichen Frisuren wie damals. Der einzige Unterschied: heute haben sie alle Tattoos. Aber abgesehen davon könnte man unseren Film heute genauso als Gegenwarts-Story in Brooklyn drehen.
Sie geben Oscar Isaac als Llewyn Davis nicht nur eine Gitarre in die Hand, sondern auch eine Katze. Wie kamen Sie denn auf diese Idee?
Joel: Wir haben irgendwann festgestellt, dass wir eine Story schreiben, die nicht unbedingt viel Inhalt hat. Wir haben dann die Katze zwar nicht aus Verlegenheit in den Film eingebaut, aber wir wollten die Geschichte damit vorantreiben. Unsere Hauptfigur im Film ist ein Einzelgänger. Das sind Katzen auch. Also haben wir ihm mit der Katze einen Gegenpunkt gesetzt.
Ethan: Nehmen wir einfach mal die Ausgangssituation. Wie ist er überhaupt zu der Katze gekommen? Sie wurde ausgesperrt. Die Mission der Katze war also, wieder nach Hause zu kommen. Sie war genauso getrieben wie Llewyn Davis.
FilmClicks: Wie schwer ist es, einer Katze Regieanweisungen zu geben?
Joel: Man kann Katzen leider nicht trainieren, geschweige denn ihnen irgendwelche Befehle geben. Wir hatten also für die unterschiedlichsten Dinge ganz unterschiedliche Katzen. Wenn wir bei „Inside Llewyn Davis“ eine Sache gelernt haben, dann die: Katzen sind untrainierbar.
Ethan: Wir hätten einen eigenen Film mit dem ganzen verschwendeten Material machen können: Katze läuft über Flur. Katze läuft in falsche Richtung. Katze guckt in die Kamera.
Sie haben die Katze also bereut?
Ethan: Jeden gottverdammten Tag, an dem wir mit der Katze gearbeitet haben. Ja.
Joel: Wir konnten sie aber nicht einfach feuern. Wir hatten auch schon zu viel mit ihr gedreht. Sie war für die Geschichte sehr wichtig geworden.