Ulrich Tukur


„Man bleibt immer der fremde Vater“

15.10.2013
Interview:  Peter Beddies

Ulrich Tukur und Samuel Schneider als Vater und Sohn in „Exit Marrakech“ © Constantin Film

FilmClicks präsentierte am 21. Oktober im Wiener Apollo-Kino die Österreich-Premiere von „Exit Marrakech“, dem neuen Film von Oscar-Preisträgerin Caroline Link („Nirgendwo in Afrika“). Ulrich Tukur spielt in der spannenden Story über ein sehr schwieriges Vater-Sohn-Verhältnis die Vater-Rolle. Im FilmClicks-Interview spricht er darüber, wie es ist, wenn die Karriere wichtiger wird als die eigene Familie (eine Situation, die der zweifache Vater aus eigener Erfahrung kennt).


FilmClicks: Der Künstler, der ständig unterwegs ist. Dem seine Arbeit wichtiger ist als seine Familie. Der die Familie bewusst vernachlässigt. Kam Ihnen das bekannt vor?
Ulrich Tukur: Sie meinen, ob ich mich in „Exit Marrakech“ selbst gespielt habe? Nein, das würde ich nicht sagen. Zuerst wollte ich mal in einem Film von Caroline Link mitspielen.
 
Warum?
Weil man als Schauspieler bei ihren Filmen immer das Gefühl hat, dass sie ihre Darsteller sehr gut behandelt. Dann schreibt sie sehr schöne präzise Dialoge. Und ich wollte wieder mal nach Marokko, das ich schon kannte.
 
Ist das eine bewusste Abwehr, so einen Stoff nicht zu persönlich zu nehmen?
Na ja, als ich das Drehbuch las, dachte ich schon: „Holla, da gibt es schon große Berührungspunkte zu mir.“ Zwar bin ich kein Theaterregisseur wie meine Figur Heinrich im Film. Aber ich habe viel Theater gemacht. Kenne auch diese Art Regisseur, diese Egozentriker, diese Götter im leeren Raum des Theaters, die da alles definieren. So einer ist der Heinrich. Der opfert seiner Karriere seine Familie und seine Kinder. Das habe ich auch getan und ich habe die Rechnung serviert bekommen. Und auch der Kampf um die Nähe, die wahrscheinlich nie da war, den kann ich sehr gut nachvollziehen.
 
Wenn man nach einer Weile zurückschaut und versucht, diese Zeit und das eigene Verhalten zu bereuen, ist das unrealistisch?
Völlig unrealistisch. Was passiert ist, ist passiert. Das können Sie nicht mehr zurückholen. Was Sie verloren haben, kriegen Sie nie mehr zurück. Was Sie nicht gegeben haben, das können Sie nicht mehr … obwohl, das stimmt nicht. Man kann im Nachhinein etwas geben. Aber man Zeit nicht zurückholen.
 
Wie schauen Sie auf eigene Versäumnisse zurück?
Indem ich auf dem aufbaue, was damals gewesen oder eben auch nicht gewesen ist. Das ist sehr anstrengend. Und man erkennt, dass die Nähe, die man als Vater hat vermissen lassen, als die Kinder klein waren, nie wieder herzustellen ist. Das sehe ich bei meinen Töchtern. Wir können uns noch so gut verstehen. Man bleibt immer der fremde Vater.
 
Es könnte aber noch schlimmer sein. Wenn man keinen Kontakt hat.
Stimmt. Man muss sehen, was man aus der Situation macht. Das sehe ich gerade an meiner älteren Tochter. Die studiert Fotodesign in New York. Bei meinem letzten „Tatort“ hat sie die  Set-Fotografie gemacht. Das fand ich ganz ganz toll. Und da war mir auch klar, dass es sehr wichtig ist, zu loben, sich zu interessieren, zu helfen und draufzugucken. Dass man wirklich zeigt, man ist da. Was man früher nicht getan hat.
 
Ihr Film-Sohn Ben in „Exit Marrakech“ übt wieder und wieder den Aufstand. Vater und Sohn liefern einander scharfe Dialoge. Wie und wo haben Sie sich an Ihrem Vater abgearbeitet?
Ich habe mich sehr schnell abgewandt von meinem Elternhaus. Ich habe nicht gekämpft, weil es da nichts zu kämpfen gab. Mein Vater war ein sehr verschlossener Mensch. Der hat mich nie angefasst. Mich nie geschlagen, aber auch sonst keinen Kontakt gesucht. Mein Vater hat mir nie eine persönliche Frage gestellt.

Was der Film zeigt, heißt in der Wissenschaft „vaterlose Gesellschaft“.
Richtig. Ein wahnsinnig großes Problem, das riesige kulturelle Auswirkungen haben wird. Denn wenn ein Kind immer nur mit einem Elternteil groß wird, fehlt die andere Hälfte, die ist weggebrochen. Ich habe das bei meinem eigenen Vater gesehen. Der ist ohne Vater aufgewachsen und hat sich zeitlebens nach dieser Person gesehnt. Deshalb ist er dieser traurige Mensch geworden.
 
Und trotzdem rennen viele Menschen immer häufiger auseinander, verlassen den Bund der Familie.
Ja, es war noch nie so leicht, aus einer Familie auszubrechen. Aber ich glaube, das wird sich spätestens dann wieder ändern, wenn es uns nicht mehr so gut geht und wenn wir die Güter dieser Welt wieder teilen müssen. Dann werden wir wieder darauf zurückkommen. Nicht nur auf den Gemüsegarten. Auch auf Familien, die funktionieren.
 
Dieser Tage erscheint auch wieder mal ein Buch von Ihnen. Profitiert der Schriftsteller vom Schauspieler Tukur?
Auf jeden Fall. „Die Spieluhr“ wäre ohne den Schauspieler Tukur wohl nie entstanden. Es ist ein paar Jahre her, als ich in dem französischen Film „Seraphine“ mitgespielt habe. Der wurde zum Teil auf einem riesigen alten Anwesen gedreht. Als ich Nachts nicht schlafen konnte, bin ich durch die Räume und da saß plötzlich in einem Raum ein kleiner Junge und schaute DVDs. Das war wie ein Loch in eine andere Zeit. Ich bin los und habe mich erkundigt, wer das Kind ist und wem das Haus gehört. Der Graf, dem das Haus gehörte, hat mir ganz viele Geschichten erzählt. So fing es an, dass ich Geschichte um Geschichte erfunden und aufgeschrieben habe. Und wenn ich warte, was man als Schauspieler oft tut, schreibe ich meistens ein bisschen was.
 
Sind Sie in der betreffenden Nacht gleich zurück aufs Zimmer und haben das iPad gezückt oder doch eher den Montblanc-Füller?
Nichts davon. Ich werde es Ihnen verraten, was ich gezückt habe (greift in seine Sakko-Innentasche). Hier sehen Sie, das ist etwas, ohne dass ich nichts schreiben könnte. Es ist ein Druckbleistift von Caran d´Ache. Dann habe ich immer ein schwarzes Notizbuch zur Hand. Einen Computer brauche ich dafür nicht. Nur Stift und Heft, um mir viele Details aufzuschreiben. Denn je mehr Details man hat, um so realistischer kann man eine erlogene Geschichte niederschreiben.

 





Kritik
Exit Marrakech
Der umjubelte Theater-Regisseur Heinrich (Ulrich Tukur) bekommt in „Exit Marrakech“ in Marokko Besuch von seinem entfremdeten,  17-jährigen Sohn Ben (Samuel Schneider). Als sich Ben in die Wüste aufmacht und keiner weiß, wo er ist, muss Heinrich Verantwortung übernehmen und seinen Sohn suchen. Mehr...