Brückenschlag von der Kunst zum Kino
11.11.2013
Interview:
Gunther Baumann
Erst geht man ins Kino. Und dann, ein paar Meter weiter, in die Ausstellung zum Film: Das Wiener Künstlerhaus lockt derzeit mit einem ungewöhnlichen Crossover-Projekt. Auf der Leinwand des Stadtkinos im Künstlerhaus läuft „Shirley – Visions of Reality“, das visuell überwältigende Film-Essay von Gustav Deutsch, das 13 Bilder von Edward Hopper zur Kulisse hat. Die Bilder wurden von Hanna Schimek als dreidimensionale Filmsets nachgebaut – und diese Kulissen bilden nun das Fundament der Ausstellung „Visions of Reality“, die bis zum 6. Januar 2014 zu sehen ist. Im FilmClicks-Interview erzählt Regisseur Gustav Deutsch über den Brückenschlag vom Kino zur Kunst.
Gustav Deutsch, Jahrgang 1952, ist zwar schon seit vielen Jahren in der österreichischen Filmszene aktiv, doch seinen hohen Ruf genießt er bis dato vornehmlich in Insider-Kreisen. Der Grund: Der studierte Architekt, der in den Siebzigern zu den Besetzern der Arena zählte, hat sich auf den Avantgarde-Bereich konzentriert. Als Mitglied von Sixpack Film realisierte er Experimentalfilme wie „Taschenkino“ (1995), „Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche“ (1999) oder „Die Mozarts“ (2006). Seine dreiteilige Reihe „Film ist“ basiert auf dem Found-Footage-Prinzip, also auf der Verwendung von gefundenen Bildern aus den ersten Jahrzehnten der Filmgeschichte.
Mit dem Edward-Hopper-Projekt „Shirley – Visions of Reality“, das bei der Viennale zur Premiere kam, hat Deutsch nun den Sprung zum Mainstream des Arthaus-Kinos angetreten. Sein Film feierte im Februar bei der Berlinale eine viel beachtete Weltpremiere und wurde seither von Festival zu Festival gereicht: München, Lissabon, Basel und Karlovy Vary, um nur einige zu nennen.
FilmClicks: Wie entstand die Idee zu Ihrem Film „Shirley – Visions of Reality“?
Gustav Deutsch: Eher zufällig. Ich sah 2004 in Museum Ludwig in Köln die Retrospektive von Edward Hopper. Nie zuvor hatte ich so viele Hopper-Gemälde nebeneinander gesehen -und ich dachte mir, das ist nicht nur ein malerisches Werk, das ist auch eine Geschichte. Diese Geschichte besteht aus mehreren Stills, aus Filmbildern, und um einen Film daraus zu machen, muss ich quasi nur die Leerstellen an der Wand füllen. Ich begann dann, zu recherchieren und über Hopper zu lesen. Zwei Tatsachen waren ausschlaggebend dafür, dass ich mich mit dem Projekt weiter befasste. Erstens: Edward Hopper war ein passionierter Kinogeher und ließ sich bei seiner Arbeit sehr vom Film beeinflussen. Der Film noir war etwas, das ihn bei der Umsetzung des Lichts und der Schatten sehr geprägt hat. Er war, glaube ich, einer der ersten Maler, die Kamera-Perspektiven eingenommen haben. Zweitens: Hopper war ein Maler, der wiederum Filmschaffende beeinflusst hat. Von Hitchcock bis zu Wim Wenders oder Scorsese.
Konnten Sie mit Ihrer Arbeit an dem Film einfach beginnen oder mussten Sie erst die große Hürde überwinden, um die Rechte für die Verwendung der Gemälde Hoppers zu bekommen?
Wir haben ganz unbedarft erst einmal damit begonnen, die Räume aus Hoppers Bildern nachzubauen und haben uns nicht um irgendwelche Rechte gekümmert. Mittlerweile sind natürlich alle Rechte geklärt, wobei wir kein echtes Hopper-Gemälde zeigen. Wir haben die Rechte, dreidimensionale Reproduktionen und, in Folge davon, einen Film von diesen Reproduktionen herzustellen.
Wie entstand die Geschichte, die im Film erzählt wird und die im Grunde ein erweiterter Monolog der Hauptfigur Shirley ist?
In fast allen Gemälden, die ich auswählte, steht eine Frau im Mittelpunkt. Also dachte ich mir, man könnte aus all diesen Frauen eine Figur machen und die Geschichte dieser Frau erzählen. Diese Idee wurde durch die Tatsache unterstützt, dass Hopper seine Ehefrau 40 Jahre lang als Modell einsetzte. Josephine Nivison Hopper wollte ursprünglich Schauspielerin werden und wurde dann selbst Malerin. Dass sie als Malerin nicht reüssiert hat, ist ein anderes, sehr trauriges Kapitel. Für den Film wollte ich eine Frau erfinden, die stark ist und einen eigenen Weg geht. Die Figur sollte eine Schauspielerin sein, die in der Zeit, in welcher der Film spielt, nicht den Weg des Kompromisses geht und dem Ruf nach Hollywood folgt, sondern die ihren Prinzipien treu bleibt. Eine Frau, die mit Theatergruppen versucht, die gesellschaftliche Wirksamkeit von Theater auszuloten.
Der Film stellt zwischen den einzelnen Szenen – oder Bildern – stets einen zeitlichen Kontext her: Man hört Nachrichtenmeldungen aus der jeweiligen Zeit.
Das sind Schlagzeilen, Original-Nachrichten, das habe ich alles recherchiert. Es ist natürlich eine sehr subjektive Auswahl: Ich habe mich ein bisschen in unsere Filmfigur Shirley versetzt – was würde sie lesen? Was würde ihr auffallen?
„Shirley“ ist eine Art Stationen-Drama, und alle Episoden sind an einem 28. August des jeweiligen Jahres angesiedelt. Warum dieses Datum?
Der 28. August 1963 war der Tag des Civil Rights March in den USA, als 250.000 Menschen nach Washington marschierten und Martin Luther King seine „I have a dream“-Rede hielt. Der Tag war ein Wendepunkt in der amerikanischen Geschichte, was die Wahrnehmung und die Stimme der Schwarzen betraf. Dass ich meinen Film diesem Tag und diesem Ereignis widme, ist etwas, das ich Edward Hopper gerne entgegenhalten möchte. Denn Hopper war politisch ein streng konservativer Mensch, um nicht zu sagen, ein Rassist. In seinem Werk kommen keine Schwarzen vor.
Wie ist denn Ihr Verhältnis zu Edward Hopper?
Nun, je mehr ich mich mit ihm beschäftigte, um so mehr musste ich die Haltung einnehmen, dass man das Werk eines Künstlers vom Menschen trennen sollte. Sonst hätte ich diesen Film nicht weitermachen können.
Sie haben für die Titelrolle der Shirley im Film eine unbekannte, aber sehr eindrucksvolle und schöne Schauspielerin gefunden.
Das ist Stephanie Cumming. Sie ist eine Kanadierin, die in Wien lebt, und sie ist Tänzerin, kommt also nicht vom Schauspiel. In diesem Film geht es ja nicht um Action, es passiert nicht viel. Wir brauchten aber eine Hauptdarstellerin, die sich sehr genau bewegen kann. Im weitesten Sinne ist das ganze Stück eine Choreografie. Es war unglaublich, wie präzise Stephanie Cumming gearbeitet hat.
Wo wurde der Film gedreht?
In einer ehemaligen Fabrikshalle in Wien-Penzing. 600 Quadratmeter groß und acht Meter hoch. Das war ideal für uns. Wir haben sechs Wochen lang gedreht. Die Dekorationen wurden natürlich vorher gebaut und dann zerlegt in die Halle gebracht. Wir hatten immer drei Sets parallel aufgebaut: In einem wurde gedreht, im zweiten gemalt, im dritten auf- oder abgebaut. Das hat gut funktioniert.
Ist der Film ein sehr teures Projekt geworden?
Das hält sich im Rahmen. Für einen Spielfilm sind wir low budget.
Sie zeigen 13 Hopper-Motive im Film. Sein berühmtestes Bild, die Bar-Szene „Nighthawks“, kommt aber nicht vor.
Dieses Bild ist filmisch kaum umsetzbar, weil es nicht nur die Bar zeigt, sondern auch die Straße dahinter und hinter der noch eine Hausfassade. Dafür hätten wir eine noch viel größere Halle gebraucht. Außerdem ist „Nighthawks“ ein sehr hermetisches Bild: Alles findet innen statt, aber wir sind draußen. Das wäre eine sehr statische Sache geworden.