Jessica Hausner über ihren Film „Amour Fou“


„Liebe ist eine Behauptung“

06.11.2014
Interview:  Matthias Greuling

Regisseurin Jessica Hausner: „Doppel-Selbstmord ist ein ziemlich absurdes Unterfangen“ © Stadtkino Verleih

Mit „Amour Fou“ hat die Wiener Regisseurin Jessica Hausner einen seltsamen Film über die Liebe gedreht. Es geht um die wahre Geschichte des deutschen Dichters Heinrich von Kleist und seine Suche nach einem Lebenspartner, der gemeinsam mit ihm Selbstmord begeht. In der vermeintlich todkranken Henriette Vogel scheint er eine passende Begleitung gefunden zu haben. Wir sprachen mit Jessica Hausner über die Hintergründe zur Filmidee.


FilmClicks: Heinrich von Kleist stand ja nicht am Beginn dieses Films, sondern die Idee eines gemeinsamen Selbstmordes. Was hat Sie daran interessiert?
Jessica Hausner: Wenn ich einen neuen Film beginne, starte ich meist mit einem kurzen Begriff, einer Idee, einer Art Logline, zu der ich selbst erst einmal herausfinden muss, was mich daran genau interessiert. In diesem Fall war es Doppelselbstmord. Meine schlichte Frage lautete: Warum bringen sich zwei Menschen eigentlich gemeinsam um? Der Film sollte in der Gegenwart spielen, und ich stieß auf das Theaterstück „norway.today“ von Igor Bauersima, in dem sich zwei junge Leute auf einer Internetplattform verabreden, gemeinsam von einer Kirche zu springen. Daran habe ich zunächst gearbeitet, aber das war mir letztlich zu schwerfällig. Später las ich einen Artikel über Heinrich von Kleist, in dem stand, dass er zunächst andere Menschen aus seinem Umfeld gefragt hatte, ob sie mit ihm sterben möchten. Er fragte seinen besten Freund, der wollte halt nicht. Dann fragte er seine Cousine, die wollte auch nicht. Schließlich hat er Henriette Vogel gefunden, die dachte, dass sie sterbenskrank sei, und hat deshalb zugestimmt. Da wusste ich: Ich habe mein Thema gefunden.
 
„Amour Fou“ : Jessica Hausner mit ihren Hauptdarstellern Christian Friedel und Birte Schnöink © Katharina Sartena

Worin begründet sich die Sehnsucht, gemeinsam sterben zu wollen?

Darin beinhaltet ist ein romantischer Absolutheitsanspruch, nämlich, dass man sich so sehr liebt, dass man sogar zusammen sterben will. Auf der anderen Seite steht die Realität: Wenn man dann wirklich damit konfrontiert ist, diese Idee umzusetzen, bemerkt man, dass man doch nur halbherzig bei der Sache ist und dass das Unterfangen ziemlich absurd erscheint, dass das Ganze an Banalitäten scheitern kann, und dass man im Moment des gemeinsamen Todes dann doch alleine ist. Es handelt sich hier ja eigentlich um einen Mord und einen Selbstmord.
 
Die romantische Vorstellung des gemeinsamen Todes setzt aber voraus, dass man eine lange Zeit miteinander verbracht hat, oder? Das ist in Kleists Fall ja nicht so.
Genau. Das ist es, was der Film erzählen will: Liebe ist eine Behauptung. Sie ist eine Wahl, und es kommt immer darauf an, ob die andere Person, mein Gegenüber, die richtige Leinwand ist, um meine Sehnsüchte darauf zu projizieren. Ist es möglich, im anderen das Bild zu sehen, was ich möchte, oder nicht? „Amour Fou“ erzählt nicht von der wahren, wahrhaftigen, echten und ewigen Liebe, sondern er erzählt: Liebe ist austauschbar, und es kommt darauf an, wem man begegnet und wie die Korrespondenz verläuft.
 
Das Romantische wird dadurch ziemlich unromantisch, wenn man sagt, Liebe wäre austauschbar. Das würde bedeuten, alle Menschen sind Egoisten.
Ganz genau. Ich finde das aber nicht so negativ, das heißt: Ich würde das nicht wertend behaupten. Ich glaube vielmehr, das hängt damit zusammen, dass jeder Mensch in seiner eigenen Wahrheit lebt. Jeder hat seine Wirklichkeit auf wie eine Sonnenbrille. Ich kann ja nur das sehen, was meine Augen sehen, und das fühlen, was meine Gefühle sind. Das ist mein Fenster der Wahrnehmung. Ich glaube, aus diesem Grund ist jeder sich selbst der Nächste. Man kann niemals wissen, was ein anderer denkt oder wirklich fühlt. Es gibt eine Stelle im Film, in der Henriette ihren Mann fragt, ob es denn überhaupt ein anderes Leben geben kann, ob überhaupt ein anderes Leben als dieses, ihres, möglich ist. Mir geht es um eine Condition humaine, es gibt im Film keinen Moment der Befreiung, nicht einmal der Tod am Schluss ist ein solcher Moment. Man weiß nicht, ob sie wirklich sterben wollte, oder lieber doch nach Paris reisen, um dort geheilt zu werden.
 
Woher kam die Todessehnsucht im Leben Heinrich von Kleists?
Ich glaube, er war aus damaliger Sicht in seinem Leben ein kompletter Versager. Kleist war adelig, und Adelige strebten damals entweder nach einer politischen oder einer militärischen Karriere. Viel Auswahl gab es nicht. Kleist entschied sich für eine militärische Karriere, war dafür aber offenbar zu sensibel und schied aus. Dadurch galt man als absoluter Versager. Dann wollte er Dichter werden, aber es war sehr schwer, als solcher anerkannt zu werden. Goethe war zum Beispiel auch Politiker. Dass man durch seine Kunst Anerkennung fand und auch davon leben konnte, das war selten. Kleist ist das nicht gelungen. Er war am Ende, sah keinen Ausweg mehr. In dem, was seine Gesellschaft damals für Möglichkeiten bot, war für ihn keine Möglichkeit mehr.
 
Wie funktioniert eigentlich die Zusammenarbeit mit Ihrem Kameramann Martin Gschlacht, dessen streng komponierte Bilder diesen Film prägen.
Ich beginne damit, Storyboards zu zeichnen, aber das muss man sich sehr rudimentär vorstellen. Das sind Strichmaxerln, mit denen ich Bildausschnitt und Komposition entwickeln will. Danach arbeite ich mit Martin das Drehbuch Szene für Szene durch. Martin hat ein fotografisches, szenisches Talent und weiß genau, welches Bild gemacht werden kann und ob es perspektivisch möglich ist. Sein Gespür besteht darin, welches Bild die Stimmung des Films richtig wiedergibt. Das ist unsere gemeinsame Ebene: Welche visuellen Mittel transportieren das, was wir sagen wollen.
 
Die Figuren im Film sprechen eine sehr altmodische, fast lyrische Sprache. Wie haben Sie zu diesem Ausdruck gefunden?
Ich habe sehr viel dazu recherchiert, nachdem ich zuvor schon den roten Faden meiner Geschichte festgelegt habe, damit ich mich später nicht durch die vielen historischen Fakten in einem Biopic verliere. Es geht mir nicht um einen Historienfilm, sondern um etwas Allgemeingültiges, Parabelhaftes. Ich habe viele Briefe, Memoiren und Tagebücher gelesen, um der gesprochenen Sprache von damals möglichst nahe zu kommen.
 
Inwieweit ist der Begriff Liebe auch von der Zeit, in der wir leben, oder von der Gesellschaftsform beeinflusst?
Was mir aufgefallen ist: Jede Zeit hat eine unterschiedliche Bewertung der immer gleichen Gefühle gebracht. Ich habe den Eindruck, dass das Bedürfnis zu lieben oder geliebt zu werden ein Generelles ist - das war vor 150 Jahren genauso wie heute.  Es verändert sich nur die Art und Weise, wie Gesellschaften das Zusammenleben organisieren und was man von den Menschen erwartet. Soll man fünf Frauen haben oder nur eine? Soll man heiraten oder nicht? Soll das ewig dauern, oder kann man wechseln? Das sind die Dinge, die sich immer wieder verändern. Aber die Problematik, dass man Liebe sucht, aber möglicherweise nur halbe Liebe findet, ist universell

Am Set: „Ich hinterfrage im Film das, was man persönliche Freiheit nennt“ © Stadtkino Verleih

Gibt es die eine große Liebe also gar nicht? Ist sie ein Selbstbetrug?
Es kommt darauf an, was man Liebe nennen will. Ich glaube, es gibt Momente, in der Liebe wirklich erfüllt wird, auch wenn es sich später vielleicht herausstellt, dass der andere eh was anderes gedacht hat in diesem Moment. Das wird man nie mit Sicherheit wissen. Ich will aber nicht behaupten, dass alles nur Kalkül ist. Das ist es sicher nicht. Ich glaube, grundsätzlich sind Gefühle stark von äußeren Umständen bestimmt. Als Mensch ist man insgesamt sicher fremdbestimmt, und das, was man stolz Individualität oder persönliche Freiheit nennt, hinterfrage ich in diesem Film.
 



Kritik
Amour Fou
„Amour Fou“, der neue Film der Wiener Regisseurin Jessica Hausner („Lourdes“), startet mit großen Vorschusslorbeeren im Kino: Das Drama über den Freitod des Dichters Heinrich von Kleist und seiner Gefährtin Henriette lief in Cannes und war Eröffnungsfilm der Viennale 2014. Mehr...