Eine Achterbahn der Gefühle
03.03.2014
Interview:
Anna Wollner
Der Aufwand hat sich gelohnt: Mit sieben Oscars war das Science-Fiction-Abenteuer „Gravity“ zahlenmäßig der große Sieger der Oscar-Nacht 2014. Damit ist eine „Achterbahn der Gefühle“ zum Stillstand gekommen. Denn als Achterbahn beschreibt der mexikanische Regisseur Alfonso Cuarón - der zwei Oscars für die beste Regie und den besten Schnitt in Empfang nahm - seinen Film. Dabei meint er allerdings nicht nur den Film an sich, sondern vor allem seinen Entstehungsprozess. Mehr als vier Jahre arbeitete er an dem Astronauten-Drama, in dem Sandra Bullock und George Clooney zu Weltraum-Schiffbrüchigen werden. Mit den Academy Awards wurde nicht zuletzt die sensationelle Optik des Films gewürdigt, die das 3D-Kino weiter vorantreibt. Wir trafen Alfonso Cuarón vor der Oscar-Gala in Zürich.
FilmClicks: Herr Cuarón, viele Filmreunde sagen, „Gravity“ sei ein Meisterwerk, ein moderner Klassiker. Sie aber wirken erschöpft und müde. Würden Sie einen Film wie „Gravity“ noch einmal machen?
Alfonso Cuarón: Nein, auf keinen Fall. Ich würde sofort ins Weltall fliegen, sollte mich irgendjemand einladen wollen. Aber ich würde unter keinen Umständen einen Film wie diesen noch einmal machen. Wobei ich mich kenne. Ich sage das jetzt so - und der nächste Film wird wieder so ein Wahnsinnsprojekt.
Warum so missmutig?
Der Film war eine große Fehlkalkulation. Ich dachte, „Gravity“ sei etwas Kleines, etwas Einfaches. Aber viereinhalb Jahre für einen einzigen Film ist mir zu lang. In der Zeit, in der ich „Gravity“ gemacht habe, haben Freunde von mir drei Filme gemacht. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich bin mehr als stolz auf den Film. Aber – und genau das kotzt mich an – in ein paar Monaten wird jemand daherkommen, einen ganz ähnlichen Film machen und nur ein paar Monate brauchen.
Sie spielen auf die Technik an. Was war so schwierig daran, George Clooney und Sandra Bullock zu zeigen, wenn sie im All schweben?
Die erste und vor allem größte Herausforderung war es natürlich, die Schwerkraft auszutricksen. Im Weltall gibt es keinen Widerstand. Die Dinge prallen nicht ab. Wenn man zum Beispiel einen Ball im All werfen würde, würde er ewig so weiterfliegen. Bis eine andere Kraft auf ihn einwirkt. In Kombination mit den langen Einstellungen, die wir gerade zu Beginn des Films haben, konnten wir mit der bisher existierenden Kinotechnik nicht arbeiten. Wir mussten also irgendwas erfinden. Das hat ziemlich aufgehalten.
Sie mussten ein neues Modell virtueller Realität und Special Effects erfinden, die sich ins All einfügen?
Wir haben Werkzeuge entwickelt, um genau das zu erreichen. Ich selbst habe aber von Technik keine Ahnung, ich weiß gerade, wie ich eine Mail verschicken kann oder im Internet das Kinoprogramm finde. Ich verstehe vielleicht die Grundlagen. Ich musste mich also mit wesentlich klügeren Leuten umgeben – wie meinem Kameramann Emmanuel Lubezki zum Beispiel.
Können Sie ein Beispiel geben?
Nein, ich will nicht verraten, wie genau wir alles gemacht haben. Die Leute sollen in erster Linie den Film genießen und nicht über die Technik nachdenken. Es ist ja eigentlich Zauberei, was wir da machen. Zauberer verraten auch nicht ihre Tricks. Ich will, dass die Zuschauer sich überraschen lassen.
Aber wäre es nicht gerade schön, den Zuschauer an Ihren Erfahrungen teilhaben zu lassen?
Die letzten viereinhalb Jahre waren für mich wie in einem Käfig. Wir haben mit ganz einfachen Entwürfen angefangen und uns Schritt für Schritt dem Weltraum angenähert. Wir haben gelernt, Probleme zu lösen und es besser zu machen. Die meisten Leute hatten ihre eigene Aufgabe, mussten sich um ein einziges Problem kümmern. Nur eine Handvoll Leute hat das ganze Ausmaß des Films überwacht und sich vorstellen können. Die anderen waren alle Genies in ihrem eigenen Aufgabenbereich. Zum Beispiel die Leute, die fürs Licht zuständig waren. Die haben mir ihre Probleme geschildert – ich habe aber einfach nur mit offenem Mund dagestanden und gestaunt, wie toll alles aussieht. Ich konnte ihre Probleme nicht nachvollziehen. Und dabei wollte ich mit dem Film gar nicht nur von der technischen Evolution erzählen.
Wovon dann?
Mein Sohn und Ko-Autor Jonas Cuarón erzählte mir bei seinem ersten Entwurf von einer Achterbahn der Gefühle, die man im Kino erleben soll. Visuell und emotional. Um das zu erreichen, mussten wir uns natürlich auch um die Narration kümmern. „Gravity“ ist ein Film über Wiedergeburt. Uns war wichtig, dass die Bilder von der emotionalen Reise nicht zu sehr ablenken würden.
Ich würde sagen, es lenkt nicht ab – die Bilder sind so perfekt, dass man einfach nicht über sie nachdenken muss.
Genau das ist aber das, was ich meine. Die Leute finden es im Moment noch viel interessanter,
wie wir die Dinge gemacht haben. Wenn die Leute dann aber auch noch die Metaphorik des Films in sich aufnehmen, habe ich alles richtig gemacht. Für mich geht es nicht um den „Outer Space“, den Weltraum, sondern den „Inner Space“. Es ist die Geschichte einer Frau, die mit Verlust umgehen muss. Und um das verarbeiten zu können, verlässt sie ihre Komfortzone. Sie driftet immer weiter ab. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie entfernt sich immer weiter weg von jeglicher menschlicher Kommunikation. Sie fängt an in einer Blase zu leben. Anstatt zu versuchen beide Füße wieder auf den Boden zu bekommen, geht sie ins Weltall. Und wird dort wiedergeboren. Man könnte das natürlich auch in einer Großstadt erzählen, es wäre aber nicht das Gleiche. Deswegen habe ich die Geschichte ins All verlagert.
Ist „Gravity“ die Zukunft des Kinos?
Kino wird es immer geben. Auch wenn es hauptsächlich Eventfilme sind. Leider. Denn das Kino, das ich so liebe, muss nicht immer so spektakulär sein.